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LUCA PACIOLI

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sechs Fuß enthält; dadurch entspräche ein Fuß in der Zeichnung (oder im
Modell) einem Klafter im Original. Andere Proportionen ergeben sich aus den
Konventionen der anthromorphen Metrologie: da der Fuß vier Handbreiten
enthält, entspräche in diesem Fall einem Viertel des Maßstabes in der
Zeichnung dem anthropomorphen Maß einer Handbreite; die Handbreite
wiederum wäre im Original eine Elle, denn der Klafter wird zu vier Ellen
gerechnet.
Daß Pacioli in seiner Diskussion der Vitruvischen Proportionsfigur
tatsächlich die in dieser Figur enthaltene Proportionalität maßstäblicher
Übertragung (vgl. Kap. II) im Sinn hatte, belegen jene Ausführungen, mit denen
er den Abschnitt über die menschlichen Proportionen abschließt. Dort stellt er
die als Standardmaße verstandenen menschlichen Proportionen ausdrücklich in
einen Zusammenhang mit dem Prinzip maßstäblicher und damit proportionaler
Übertragung:
Den schon angegebenen Proportionen gemäß könnt ihr in euren Werken eine
andere größere oder kleinere [Proportion] annehmen, welche, wenn sie gut in ihre
Unterabteilungen geteilt, seiner Höhe entsprechen wird, sei es ein Riese oder ein
Zwerg, und man wird sie richtig verkleinert (degradate) nennen. Und nach
ähnlicher Methode verhalten sich die Kosmographen in ihren Welt- und sonstigen
Seekarten, indem sie ihre Maßstäbe (gradi) zur Seite setzen, mit denen sie die
ganze Welt proportionieren u.s.w. Es würden hierüber viele andere im Menschen
gelegte Teile zu nennen sein, sofern er von den Weisen kleine Welt genannt
worden. Gleichwohl, da ich hier nicht beabsichtige, von besagter Architektur, wie
wir vorher gesagt haben, vollständig zu handeln, indem wir uns die schon
erwähnten für mehr Muße vorbehalten, so will ich sie für euren Zweck
hinsichtlich der Skulptur genug sein lassen.63
Wie möglicherweise vor ihm schon Ristoro d'Arezzo (vgl. Kap. III.4)
handelt Pacioli an dieser Stelle zunächst von maßstäblichen Vergrößerungen
und Verkleinerungen, die aufgrund der Proportionalität der benutzten Maßstäbe
vorgenommen werden. Die maßstäbliche Übertragung, deren Anwendung in
der Architektur er auch an anderer Stelle beschreibt64, illustriert er mithilfe einer
in Zehntel eingeteilten Linie, die neben dem Text abgebildet ist. Von dem auf
diese Weise illustrierten Maßstab, der entsprechend dem Proportionskanon
Vitruvs zehn gleichlange Teile aufweist, werden mit dem Zirkel die
gewünschten Maße abgenommen. Pacioli bezieht sich dabei auf dieselbe
Methode maßstäblicher Übertragung, die auch Philo von Byzanz für die
Verkleinerung und Vergrößerung von Geschützen empfiehlt (vgl. Kap. II.4).
Während Philo für das Modell seiner Kriegsmaschine einen kleinen und für das
zu konstruierende Original einen größeren Maßstab identischer Kalibrierung
anlegte, denkt Pacioli an einen gezehnteilten Maßstab für die Originalgröße des
Menschen und an einen ebenso unterteilten für seine Vergrößerung oder
Verkleinerung. Pacioli kalibriert seinen Maßstab allerdings nicht wie Philo
duodezimal, sondern in Anlehnung an Vitruvs Bestimmung, daß ein Zehntel der
63 Secondo legia dette proportioni. porrete in lopere vostre proporne vnaltra magior e menore la
qual ben diuisa in suoi gradi respondera ala sua altezza siando gigante e ancor nanino e
chiamaranse debitamente degradate. E asimil maniera se reggano li cosmographi in lor
mappamondi e altre carti nauiganti ponendo lor gradi da parte con li quali proportionano tutto el
mondo et cetera. Seria circa cio da dir molte altre parti nell homo poste conciosia ehe dali sapienti
lui sia chiamato mondo piccolo non dimeno per che qui non intendo de dicta architectura comme
disopra dicemmo apieno tractare reseruandoci apiu ocio legia dette voglio al proposito vostro
della scultura sieno bastanti. PACIOLI, Divina proportione, S.138.

64 Ebd., S.140.
 
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