CESARE CESARIANO
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Quadratur.26 Der Mensch mit ausgebreiteten Armen wird umschrieben von
einem Quadrat, dessen Seitenlänge der Diagonale eines eingeschriebenen
kleineren Quadrats entspricht. Man kann Vitruvs Ausführungen zwar nicht
unmittelbar entnehmen, daß eine solche Auslegung des homo ad quadratum
gerechtfertigt ist, doch identifiziert Cesariano eine in dieser Figur enthaltene
praktische Bedeutung mit der aus der Baugeometrie des Mittelalters bekannten
Quadratur. Denn er schreibt, daß man durch eine solche symmetriata
quadratura nicht nur eine jede gewünschte Figur konstruieren, sondern auch die
Maße aller Plätze und Flächen jeglicher Ausdehnung bestimmen könne.27 Die
praktische Bedeutung dieser Aussage ergibt sich aus den proportionalen
Eigenschaften einander eingeschriebener Quadrate, die in einigen Illustrationen
Cesarianos28 sowie in seinen Plänen des Mailänder Doms wiederzufinden sind.
Wie eine flüchtige Zeichnung aus dem späten 14. Jahrhundert zeigt, ist dort,
entsprechend den Gepflogenheiten mittelalterlicher Baugeometrie, neben der
Triangulatur eben jene Proportionierungs- und Konstruktionsmethode
angewandt worden, die auf dem Verhältnis der Quadratseite zu ihrer Diagonale
beruht.29 Die auch in der Feldmeßkunst benutzte und für das Aufmaß des
Bauplatzes entscheidende Bedeutung der symmetriata quadratura erläutert
Cesariano ausführlicher in seinem Kommentar zum neunten Buch Vitruvs
(9.prooem.4-5.), nämlich anläßlich des Problems, wie ein quadratischer Platz
von 100 Fuß Flächeninhalt zu verdoppeln sei. Cesariano sieht hier eine Aufgabe
für die Feldmeßkunst, die, basierend auf dem geometrischen Verhältnis des
Quadrats zu seiner Diagonale, eine einfache Lösung anbietet. Denn da die
Länge der Diagonale die Wurzel aus der doppelten Seitenlänge ihres Quadrats
ist, ergibt sich das erwünschte Quadrat doppelten Flächeninhalts, wenn man
jene Diagonale als dessen Seitenlänge annimmt.30 Dies in der sogenannten
Quadratur enthaltene Prinzip der geometrischen Vermessung ebener Flächen
verweist auch auf den legendären Ursprung der Geo-metrie, die in ihren
Anfängen keine dem Papier verhaftete und der mathematischen Mystik
verpflichtete Theorie war, sondern eine zur Land- und Erdvermessung
gebrauchte Wissenschaft. In diesem Sinne erzählt Isidor die Geschichte von der
Erfindung der Geometrie durch die alten Ägypter, die aufgrund der alljährlichen
Nilüberschwemmung die Felder ständig neu vermessen mußten.31 Andere
Autoren bestätigen den agrimensorischen Ursprung der Geometrie32, und auf
26 Ebd., fol.49r; vgl. KRINSKY, Cesariano's Vitruvius, S.17-18.
27 CESARIANO, Vitruuio, fol.49v.
28 Ebd., fols.25r, 63v, 105r, 144r.
29 Ebd., fols.l3r-16v; vgl. P. BOOZ, Der Baumeister der Gotik, München/Berlin 1956, S.48-55;
M. LODYNSKA-KOSINSKA, Quelques remarques au sujet du dessin d'Antonio di Vicenzo et
de la gravure de Cesare Cesariano, in: II Duomo di Milano. Atti del congresso internazionale,
2Bde., Mailand 1969, Bd.l, S.129-131, und S. WILINSKI, Cesare Cesariano elogia la geometria
architettonica della Cattedrale di Milano, ebd., S.132-143; J. S. ACKERMAN, »Ars sine scientia
nihil est«. Gothic Theory of Architecture at the Cathedral of Milan, in: Art Bulletin 31.1949,
S.84-111; H. SAALMAN, Early Renaissance Architectural Theory and Practice in Antonio
Filarete's »Trattato di architettura«, in: Art Bulletin 41.1959, S.89-106, bes. S.98-102.
30 CESARIANO, Vitruuio, fols.l43v-145r.
31 ISIDOR VON SEVILLA, Etymologiarum libri XX 3.10.1-3, PL82, Sp.161-163.
32 Vgl. ARISTOPHANES, Nubes 202-204, und CASSIODORUS SENATOR, Varia 3.52., PL.69,
Sp.607-609.
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Quadratur.26 Der Mensch mit ausgebreiteten Armen wird umschrieben von
einem Quadrat, dessen Seitenlänge der Diagonale eines eingeschriebenen
kleineren Quadrats entspricht. Man kann Vitruvs Ausführungen zwar nicht
unmittelbar entnehmen, daß eine solche Auslegung des homo ad quadratum
gerechtfertigt ist, doch identifiziert Cesariano eine in dieser Figur enthaltene
praktische Bedeutung mit der aus der Baugeometrie des Mittelalters bekannten
Quadratur. Denn er schreibt, daß man durch eine solche symmetriata
quadratura nicht nur eine jede gewünschte Figur konstruieren, sondern auch die
Maße aller Plätze und Flächen jeglicher Ausdehnung bestimmen könne.27 Die
praktische Bedeutung dieser Aussage ergibt sich aus den proportionalen
Eigenschaften einander eingeschriebener Quadrate, die in einigen Illustrationen
Cesarianos28 sowie in seinen Plänen des Mailänder Doms wiederzufinden sind.
Wie eine flüchtige Zeichnung aus dem späten 14. Jahrhundert zeigt, ist dort,
entsprechend den Gepflogenheiten mittelalterlicher Baugeometrie, neben der
Triangulatur eben jene Proportionierungs- und Konstruktionsmethode
angewandt worden, die auf dem Verhältnis der Quadratseite zu ihrer Diagonale
beruht.29 Die auch in der Feldmeßkunst benutzte und für das Aufmaß des
Bauplatzes entscheidende Bedeutung der symmetriata quadratura erläutert
Cesariano ausführlicher in seinem Kommentar zum neunten Buch Vitruvs
(9.prooem.4-5.), nämlich anläßlich des Problems, wie ein quadratischer Platz
von 100 Fuß Flächeninhalt zu verdoppeln sei. Cesariano sieht hier eine Aufgabe
für die Feldmeßkunst, die, basierend auf dem geometrischen Verhältnis des
Quadrats zu seiner Diagonale, eine einfache Lösung anbietet. Denn da die
Länge der Diagonale die Wurzel aus der doppelten Seitenlänge ihres Quadrats
ist, ergibt sich das erwünschte Quadrat doppelten Flächeninhalts, wenn man
jene Diagonale als dessen Seitenlänge annimmt.30 Dies in der sogenannten
Quadratur enthaltene Prinzip der geometrischen Vermessung ebener Flächen
verweist auch auf den legendären Ursprung der Geo-metrie, die in ihren
Anfängen keine dem Papier verhaftete und der mathematischen Mystik
verpflichtete Theorie war, sondern eine zur Land- und Erdvermessung
gebrauchte Wissenschaft. In diesem Sinne erzählt Isidor die Geschichte von der
Erfindung der Geometrie durch die alten Ägypter, die aufgrund der alljährlichen
Nilüberschwemmung die Felder ständig neu vermessen mußten.31 Andere
Autoren bestätigen den agrimensorischen Ursprung der Geometrie32, und auf
26 Ebd., fol.49r; vgl. KRINSKY, Cesariano's Vitruvius, S.17-18.
27 CESARIANO, Vitruuio, fol.49v.
28 Ebd., fols.25r, 63v, 105r, 144r.
29 Ebd., fols.l3r-16v; vgl. P. BOOZ, Der Baumeister der Gotik, München/Berlin 1956, S.48-55;
M. LODYNSKA-KOSINSKA, Quelques remarques au sujet du dessin d'Antonio di Vicenzo et
de la gravure de Cesare Cesariano, in: II Duomo di Milano. Atti del congresso internazionale,
2Bde., Mailand 1969, Bd.l, S.129-131, und S. WILINSKI, Cesare Cesariano elogia la geometria
architettonica della Cattedrale di Milano, ebd., S.132-143; J. S. ACKERMAN, »Ars sine scientia
nihil est«. Gothic Theory of Architecture at the Cathedral of Milan, in: Art Bulletin 31.1949,
S.84-111; H. SAALMAN, Early Renaissance Architectural Theory and Practice in Antonio
Filarete's »Trattato di architettura«, in: Art Bulletin 41.1959, S.89-106, bes. S.98-102.
30 CESARIANO, Vitruuio, fols.l43v-145r.
31 ISIDOR VON SEVILLA, Etymologiarum libri XX 3.10.1-3, PL82, Sp.161-163.
32 Vgl. ARISTOPHANES, Nubes 202-204, und CASSIODORUS SENATOR, Varia 3.52., PL.69,
Sp.607-609.