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XI. DANIELE BARBARO

Daniele Barbaro (1514-1570), der einer angesehenen Familie von Humanisten
und Aristokraten des Veneto entstammte, studierte ab 1535 Philosophie,
Mathematik, Astronomie, Medizin und Optik an der Universität zu Padua;
ebendort erwarb er im Jahre 1540 die Doktorwürde.1 Neben Barbaros
politischer und klerikaler Karriere, markiert durch seine Ernennung zum
Botschafter in England (1548) und durch seine Wahl zum Patriarchen von
Aquileia (1550), stehen seine intellektuellen Tätigkeiten, die sich nicht nur auf
die Herausgabe der Schriften seines Onkels, des Humanisten Ermolao Barbaro
beschränkten, sondern auch Kommentare zu antiken Schriftstellern wie
Porphyrius sowie eigene Schriften zur Rhetorik und Perspektive umfaßten.
Neben diesen gelangte besonders seine kommentierte Vitruvübersetzung zu
besonderer Bekanntheit. Ihre Entstehungszeit reichte nach Barbaros eigenen
Angaben2 bis auf das Jahr 1547 zurück, und das Unternehmen einer neuen
Vitruvübersetzung umfaßte möglicherweise von Beginn an die Mitarbeit
Andrea Palladios, dessen Zeichnungen für die Illustrationen vielleicht schon vor
1550 entstanden sind.3 Barbaros erster 1556 erschienenen kommentierten
Übersetzung Vitruvs folgten 1567 zwei geringfügig revidierte Neufauflagen in
italienischer4 und in lateinischer Sprache.5
In den folgenden Ausführungen wird versucht, Barbaros Verständnis der
Vitruvischen Proportionsfigur in den Zusammenhang seiner kunsttheoretischen
Ansichten zu stellen. Philologische Gesichtspunkte der Vitruvausgabe
Barbaros, die bereits an anderer Stelle Aufmerksamkeit gefunden haben6,
werden hierbei übergangen, weil sie, anders als das in den Kommentaren
Philandriers der Fall ist, keine wesentliche Bedeutung für Barbaros Kunst-
theorie haben. Die folgende Erörterung dieser Theorie beruht auf der Prämisse,
daß weder ihre theoretische Absicht noch ihr intellektueller Gehalt ohne
Berücksichtigung der von Barbaro benutzten Quellen rekonstruiert werden
kann. Die Rekonstruktion aus den Quellen ist hierbei ein Versuch, innerhalb der
aus ihnen entwickelten Terminologie zu argumentieren, um so mit der
Erörterung der Begriffe die mit ihnen bezeichnete Kunsttheorie zu verstehen.
Hierbei werden terminologische Probleme, die sich aus dem Gebrauch
verschiedener Sprachen ergeben, nicht eigens diskutiert; dasselbe gilt für die

1 Vgl. G. ALBERIGO, Daniele Barbaro, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd.6, Rom 1964,
S.89-95; weitere Literatur bei A. FOSCARI/M. TAFURI, L'armonia e i conflitti. La chiesa di San
Francesco della Vigna nella Venezia del'500, Turin 1983, S.167-168; M. TAFURI, Venezia e il
Rinascimento, Turin 1985, S.179-198.

2 DANIELE BARBARO, I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio, Venedig 1556, S.274; für
weitere Informationen zu den Editionen und den erhaltenen Handschriften vgl. Architettura e
utopia nella Venezia del Cinquecento a cura di Lionello Puppi, Mailand 1980, S.178-179.

3 Vgl. H. SPIELMANN, Andrea Palladio und die Antike. Untersuchung und Katalog der
Zeichnungen aus seinem Nachlaß, o.O. 1966, S.22.

4 DANIELE BARBARO, I dieci libri dell'architettvra di M. Vitrvvio, Venedig 1567.

5 DANIELE BARBARO, M. Vitrvvii Pollionis de architectura libri decem, Venedig 1567.

6 Vgl. G. POLENI, Exercitationes Vitruvianae primae, Padua 1739, S.91-93.
 
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