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FRANCESCO GIORGI

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innehaltend, einfugt: Kein Tempel kann in irgendeiner Symmetrie und Proportion
vernünftige Formgebung haben, wenn er nicht in sich die genaue Berechnung der
Glieder eines wohlgeformten Menschen hat. Denn die Proportion in der Archi-
tektur, sagt er, ist die Abmessung eines berechneten Teiles der Glieder und des
ganzen in jedem Werk, woraus die Symmetrie hervorgeht. Und darüberhinaus
bemüht er sich zu beweisen, daß aus den Gliedern des Körpers jegliche Zahl sowie
die Denarius und Sextertius genannten Zahlen hergeleitet wurden. Denn die Alten
zählten mit den Fingern, mit den Fingern zeigten sie die Nummern an, und alle
Gebäude wurden nach dem Maß des Körpers unterteilt. Das befürwortete der
höchste Architekt Gott sehr, als er, wie wir oben erklärt haben, Noah die Arche
nach dem Maß des menschlichen Körpers zu bauen lehrte. Überdies sah ich
Sachverständige auch die Abmessungen der Schiffe aus dem menschlichen Körper
herleiten. Ja, der höchste Schöpfer selbst hat sogar das ganze Gerüst der Welt
symmetrisch und gemäß dem menschlichen Körper und durchaus diesen
darstellend gestaltet. Nicht ohne Berechtigung wird daher jene die große, dieser
hingegen die kleine Welt genannt.62
Im Zusammenhang der gesamten Argumentation liegt die Betonung hier auf der
hervorragenden Ausstattung des menschlichen Körpers. Dessen Ebenmäßigkeit
sei so vorzüglich, daß die erfahrenen Architekten sich seines Maßes zur
Errichtung der Gebäude und all ihrer Teile bedient hätten. Es geht hier also nur
insofern um Architektur, als sie die Vollkommenheit des menschlichen Körpers
und seiner Proportionen verdeutlicht; diese werden daraufhin ausführlich
beschrieben, weil der dritte Gesang, beginnend mit dem menschlichen Körper,
vom Aufstieg des Menschen zu Gott handelt. Denn nur die einem Instrument
vergleichbare wohlgestimmte physische Konstitution des Körpers ermöglicht
die Verbindung zur wohlgestimmten Seele, die schließlich dem Pfad des
Geistes folgend die Übereinstimmung mit Gott anstrebt (s.o.). Um eine propor-
tionale Verbindung vom Körper zur Seele zu gewährleisten, versucht Giorgi
dann die von Vitruv übernommenen Proportionen mit jenen musikalischen
Harmonien in Einklang zu bringen, auf denen sowohl die Harmonie des
Kosmos als auch die Argumentation des Buches beruht. Mit offensichtlichem
Bezug auf Vitruvs Unterteilung der Körperhöhe in Viertel, Sechstel, Achtel und
Zehntel beschreibt er die musikalischen Äquivalente dieser Angaben:
Es sind nämlich alle Maße des menschlichen Körpers entweder nach vielfachen
oder superpartikularen Proportionen geteilt oder gemischt; aus ihnen ergibt sich
immer eine einfache oder eine zusammengesetzte Harmonie. Denn die zehnfache
Proportion ergibt eine dreifache Oktave und eine Quinte, die achtfache eine
dreifache Oktave, die vierfache eine Doppeloktave, die sechsfache eine
62 Tanta est corporis co[m]mensuratio, ut periti Architecti te[m]pla, edes, domos, colu[m]nas,
epistylia, bases, & o[mn]ia membra artificior[um] quaecunq[ue] sint, cu[m] suis partibus etia[m]
minutis/ toris, uidelicet, quadris, trochilis, plinthis, sup[er]ciliis, astragalis, modulis, spiris,
stylobatis, & quicq[uid] ad epistylia, bases, columnas, & ad antes p[er]tinet, uel ad quodcunq[uej
edificii genus/ ad meta[m] corporis humani partitu[m] sit: sicut huius doctrine facile princeps
Vitruuius longo sermone differens, interserit. Non potest aedes/ ulla symmetria atq[ue] propor-
tione rationem habere compositionis, nisi in se ho[min]is bene figurati me[m]bror[um] habuerit
exacta[m] rationem. Proportio n[amj architecture (ut inq[ui]t) est rate partis me[m]bror[um] in
omni opere/ totiusq[ue] modulatio/ ex qua ratio efficitur symmetriar[um]. Et ultra progressus/
p[ro]bare nititur ex articulis corporis numerfum] o[mn]em/ atq[ue] numeros, qui denarii/ uel
sextertii dicuntur, inuentos fuisse. Na[m] antiqui digitis numerabant/ & numeros indicabant
digitis ipsis: & edes omnes ad corporis me[n]sura[m] partiebantur. Cui nimis fauet su[m]mus
Architectus Deus/ qui Noe docuit fabricare arca[m] ad mensura[m] humani corporis/ ut supra
explicauimus. Insuper & nauigior[um] mensuras a peritis deducere uidi ex humano corpore:
Immo ipse opifex summus tota[m] mundi machina[m]/ symmetra[m] corpori humano & tota[m]
ei symbolica[m] fabricauit: unde no[n] i[m]merito ille magnus/ hie aut[em] paruus mundus
nuncupatur. GIORGI, De harmonia mundi 3.1.1., fol.2r.
 
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