AGRIPPA VON NETTESHEIM
191
zeremoniellen Magie und Religion, um hier als das vollkommenste Ebenbild
Gottes, als Mikrokosmos und Band der Welten der göttlichen Erkenntnis
teilhaftig zu werden. Agrippa beschreibt diesen letzten Schritt seiner Magie mit
Formulierungen, die er teilweise wörtlich Francesco Giorgis 1525 erschienener
Harmonia mundi entnommen hat:32
Der Mensch ist also das vollkommenste Ebenbild Gottes, insofern er alles in sich
enthält, was in Gott ist. Allein Gott enthält alles nach seiner Kraft und auf eine
einfache Weise, als die Ursache und der Ursprung von allem, in sich; dem
Menschen dagegen hat er die Eigenschaft verliehen, daß er ebenso alles enthält,
aber in der Wirklichkeit und nach einer gewissen Zusammensetzung, als Band und
Verknüpfung von allem.33
In einer an Pico orientierten Ausführung wiederholt er dann, durch welche
Stufen und Eigenschaften der Mensch als Mikrokosmos zu den Sphären der
göttlichen Erkenntnis gelangt34 und wie er durch die Kenntnis dieser in ihm
selbst enthaltenen Stufen das Wahre in Gott erschauen darf. Wiederum mit
einem Zitat aus Giorgis Harmonia mundi vervollständigt er seine Argumen-
tation:
Auch findet sich nichts im Menschen, keine einzige Anlage, worin nicht etwas
von der Gottheit schimmert; und ebenso ist nichts in Gott, was sich nicht auch
beim Menschen zeigt. Wer daher sich selbst kennengelemt hat, der wird in sich
alles, vornehmlich Gott erkennen, nach dessen Bild er gemacht ist; er wird die
Welt kennen, deren Spiegel er ist; er wird alle Kreaturen kennen, mit denen er
Verwandtschaft hat; er wird wissen, welche Nahrung, was er von den Steinen, den
Pflanzen, den Tieren, den Elementen, den Himmeln, den Dämonen, den Engeln,
kurz von einem jeden erlangen kann [...].35
Damit ist die Idee des Mikrokosmos - der Mensch als das Erde und Himmel
verbindende Lebewesen - vollständig in jenes magische Procedere Agrippas
eingearbeitet, das seinerseits, allerdings sukzessiv, vom Sterblichen und
Sublunaren zum Unsterblichen und Göttlichen voranschreitet. In der dann
folgenden Argumentation erklärt Agrippa, warum die dritte und letzte Stufe der
Magie nach ihrer traditionell scholastisch-aristotelischen Einteilung theologisch
und gemäß ihrer eigentlich magischen, auf Plinius zurückgehenden Gliederung
religiös und zeremoniell ist. Wie Agrippa bereits in der Widmung zum dritten
Buch schreibt, sei es schon immer das Bestreben der Magier gewesen, die Seele
auf den richtigen Weg der Gotteserkenntnis zu schicken, was durch den
32 GIORGI, De harmonia mundi (zit. Kap. XII); vgl. PERRONE COMPAGNI, Una fonte di
Agrippa.
33 Est igitur homo expressissimum dei simulachru[m], quando homo omnia in se continet, quae in
deo sunt: sed deus per eminentiam quandam omnia continet uirtute sua & simpliciter, sicut
omniu[m] causa et principium: homini autem dedit uirtutem, ut similiter co[n]tineret omnia, sed
actu & compositione quadam, uelut ornnium nexus, uinculum atq[ue] nodus. AGRIPPA, Occulta
philosophia, 1533, 3.36., fol.285; vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3.6.3., fol.58r; 1.5.10.,
fol.91r, und PERRONE COMPAGNI, Una fonte di Agrippa, S.64. Die deutsche Übersetzung ist,
mit gelegentlichen Korrekturen, zitiert nach HEINRICH CORNELIUS AGRIPPA VON
NETTESHEIM, Die magischen Werke, Wiesbaden 1982.
34 Vgl. PICO, De hominis dignitate etc., Ed.Garin, S.304-306.
35 nec reperitur aliquid in ho[m]i[n]e, non ulla dispositio, in quo no[n] fulgeat aliquid diuinitatis:
nec quicq[uam] est in deo, quod ipsum non etia[m] repraesentet[ur] in homine. Quicunq[ue] igitur
seipsum cognouerit, cognoscet in seipso omnia, cognoscet in primis deu[m], ad cui[us]
imagine[m] factus est: cognoscet mundum, cuius simulacru[m] gerit: cognoscet creaturas omnes,
cu[m] q[ui]bus symbolu[m] habet: & q[ui]d fomenti ä lapidibus, ä plantis, ab animalibus, ab
elementis, ä coelis, ä daemonibus, ab angelis, & ab unaquaq[ue] re habere & impetrare possit [...].
AGRIPPA, Occulta philosophia, 1533, 3.36., fol.286; vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3.6.1.,
fol.56r und 3.1.7., fol.7v.
191
zeremoniellen Magie und Religion, um hier als das vollkommenste Ebenbild
Gottes, als Mikrokosmos und Band der Welten der göttlichen Erkenntnis
teilhaftig zu werden. Agrippa beschreibt diesen letzten Schritt seiner Magie mit
Formulierungen, die er teilweise wörtlich Francesco Giorgis 1525 erschienener
Harmonia mundi entnommen hat:32
Der Mensch ist also das vollkommenste Ebenbild Gottes, insofern er alles in sich
enthält, was in Gott ist. Allein Gott enthält alles nach seiner Kraft und auf eine
einfache Weise, als die Ursache und der Ursprung von allem, in sich; dem
Menschen dagegen hat er die Eigenschaft verliehen, daß er ebenso alles enthält,
aber in der Wirklichkeit und nach einer gewissen Zusammensetzung, als Band und
Verknüpfung von allem.33
In einer an Pico orientierten Ausführung wiederholt er dann, durch welche
Stufen und Eigenschaften der Mensch als Mikrokosmos zu den Sphären der
göttlichen Erkenntnis gelangt34 und wie er durch die Kenntnis dieser in ihm
selbst enthaltenen Stufen das Wahre in Gott erschauen darf. Wiederum mit
einem Zitat aus Giorgis Harmonia mundi vervollständigt er seine Argumen-
tation:
Auch findet sich nichts im Menschen, keine einzige Anlage, worin nicht etwas
von der Gottheit schimmert; und ebenso ist nichts in Gott, was sich nicht auch
beim Menschen zeigt. Wer daher sich selbst kennengelemt hat, der wird in sich
alles, vornehmlich Gott erkennen, nach dessen Bild er gemacht ist; er wird die
Welt kennen, deren Spiegel er ist; er wird alle Kreaturen kennen, mit denen er
Verwandtschaft hat; er wird wissen, welche Nahrung, was er von den Steinen, den
Pflanzen, den Tieren, den Elementen, den Himmeln, den Dämonen, den Engeln,
kurz von einem jeden erlangen kann [...].35
Damit ist die Idee des Mikrokosmos - der Mensch als das Erde und Himmel
verbindende Lebewesen - vollständig in jenes magische Procedere Agrippas
eingearbeitet, das seinerseits, allerdings sukzessiv, vom Sterblichen und
Sublunaren zum Unsterblichen und Göttlichen voranschreitet. In der dann
folgenden Argumentation erklärt Agrippa, warum die dritte und letzte Stufe der
Magie nach ihrer traditionell scholastisch-aristotelischen Einteilung theologisch
und gemäß ihrer eigentlich magischen, auf Plinius zurückgehenden Gliederung
religiös und zeremoniell ist. Wie Agrippa bereits in der Widmung zum dritten
Buch schreibt, sei es schon immer das Bestreben der Magier gewesen, die Seele
auf den richtigen Weg der Gotteserkenntnis zu schicken, was durch den
32 GIORGI, De harmonia mundi (zit. Kap. XII); vgl. PERRONE COMPAGNI, Una fonte di
Agrippa.
33 Est igitur homo expressissimum dei simulachru[m], quando homo omnia in se continet, quae in
deo sunt: sed deus per eminentiam quandam omnia continet uirtute sua & simpliciter, sicut
omniu[m] causa et principium: homini autem dedit uirtutem, ut similiter co[n]tineret omnia, sed
actu & compositione quadam, uelut ornnium nexus, uinculum atq[ue] nodus. AGRIPPA, Occulta
philosophia, 1533, 3.36., fol.285; vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3.6.3., fol.58r; 1.5.10.,
fol.91r, und PERRONE COMPAGNI, Una fonte di Agrippa, S.64. Die deutsche Übersetzung ist,
mit gelegentlichen Korrekturen, zitiert nach HEINRICH CORNELIUS AGRIPPA VON
NETTESHEIM, Die magischen Werke, Wiesbaden 1982.
34 Vgl. PICO, De hominis dignitate etc., Ed.Garin, S.304-306.
35 nec reperitur aliquid in ho[m]i[n]e, non ulla dispositio, in quo no[n] fulgeat aliquid diuinitatis:
nec quicq[uam] est in deo, quod ipsum non etia[m] repraesentet[ur] in homine. Quicunq[ue] igitur
seipsum cognouerit, cognoscet in seipso omnia, cognoscet in primis deu[m], ad cui[us]
imagine[m] factus est: cognoscet mundum, cuius simulacru[m] gerit: cognoscet creaturas omnes,
cu[m] q[ui]bus symbolu[m] habet: & q[ui]d fomenti ä lapidibus, ä plantis, ab animalibus, ab
elementis, ä coelis, ä daemonibus, ab angelis, & ab unaquaq[ue] re habere & impetrare possit [...].
AGRIPPA, Occulta philosophia, 1533, 3.36., fol.286; vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3.6.1.,
fol.56r und 3.1.7., fol.7v.