AGRIPPA VON NETTESHEIM
195
wird nämlich zu sechs Palmen, der Fuß aber zu vier Palmen, und die Palme zu vier
Zoll berechnet. Die gesamte Länge des Menschen [beträgt] sechs Fuß [...] [oder]
sechsundneunzig Zoll41
Eine Bemerkung über die Verkürzung des homo ad circulum beseitigt
schließlich jeden Zweifel daran, daß Agrippa jene durch die Zeichnung in der
Venezianischen Akademie überlieferten Proportionsstudien Leonardos kannte:
Wenn bei dergestalt erhobenen Armen die Füße und Beine soweit
auseinandergestellt werden, daß der Mensch um den vierzehnten Teil seiner
aufrechten Stellung kürzer ist, so bildet die Entfernung seiner Füße unter sich und
vom untersten Teile des Schambeines aus ein gleichseitiges Dreieck, und wenn
man den Mittelpunkt in den Nabel setzt, so wird die Peripherie eines Kreises die
Finger- und Zehenspitzen berühren.42
Diese Bemerkung über den homo ad circulum ist nur in Leonardos Studie zur
Vitruvischen Proportionsfigur zu finden. Eine weitere Passage aus demselben
Kapitel der Occulta philosophia verdeutlicht darüberhinaus, daß Agrippa nicht
nur einen auf Leonardo zurückgehenden Text benutzt, sondern auch dessen
Zeichnung eingehend studiert hatte:
Der Durchmesser der Weichen, der Raum zwischen der Handwurzel und dem
Ellenbogengelenk, die Entfernung von der Brust aus zwischen beiden Brustwarzen
aufwärts bis zu den Lippen und abwärts bis zum Nabel, der Raum zwischen
beiden Knochenenden, welche am obersten Teile der Brust die Kehle umgeben,
die Entfernung von der Ferse bis zum Beginn der Wade und von da bis zum
Kniegelenk, dies sind lauter gleiche Maße und betragen den siebenten Teil der
ganzen Länge.43
Die meisten dieser Rationes lassen sich mit hinreichender Exaktheit der
Zeichnung Leonardos entnehmen. Dabei sind allerdings drei Werte ungenau,
nämlich die beiden für die Entfernungen von der Brustmitte bis zu den Lippen
und von der Wade bis zum Kniegelenk. Eklatant abweichend von der
Zeichnung in Venedig ist die Angabe, daß die Distanz zwischen den beiden
Knochenenden unterhalb der Kehle 1/7 betrage; sie kann dort nämlich eindeutig
als 1/8 identifiziert werden. In Anbetracht dieser offensichtlichen Verbindungen
zwischen Leonardo und Agrippa dürfte es auch kein Zufall sein, daß die
41 Circuitus ho[m]i[n]is sub alis, medietate[m] suae co[n]tinet lo[n]gitudinis, cuius mediu[m] est
in imo pectine: abinde uero sursum ad mediu[m] pectus inter utrasq[ue] mamillas & ä medio
pectore in summu[m] uertice[m], utrobiq[ue] pars quarta: similiter ab imo pectine usq[ue] sub
genua, & inde ad extremos talos, pars ho[m]i[n]is quarta. Eade[m] est latitudo spatularu[m] ab
uno extremo in alterum: eade[m] est longitudo ä cubito in extremu[m] longioris digiti, ideoq[ue]
hic cubitus dicit[ur]: hinc quatuor cubiti constituunt longitudine[m] hominis: latitudine[m] uero
quae in spatulis est, cubitus unus: quae uero in cinctura est, pes unus, cubitum autem constituunt
palmi sex: pedem uero quatuor, & quatuor digiti palmum, totaq[ue] hominis lo[n]gitudo
palmorum uigintiquatuor, pedem sex, [...] digitorum sex & nonaginta. AGRIPPA, Occulta philo-
sophia, 1533, 2.27., fol.166; zum entsprechenden Text Leonardos vgl. RICHTER, Literary Works
of Leonardo, Bd.l, S.255-256, bes. Zeile 2-4 und 10-14 (zit. Kap. V).
42 Quod si manibus sic eleuatis taliter pedes & crura panda[n]tur, quo homo decimaquarta parte
erectae staturae suae breuior sit, tune pedum distantia ad imum pecten relata, aequilaterum
triangulum faciet, & centro in umbilic[o] posito circunductus circulus manuum pedumq[ue]
extrema continget. AGRIPPA, Occulta philosophia, 1533, 2.27., fol.165; vgl. RICHTER, Literary
Works of Leonardo, Bd.l, S.255, Par. 343, Zeile 4-6.
43 Deniq[ue] cincturae diameter, & quod ä restricta manus usq[ue] in interiorem plicaturam cubiti
Spatium est: & quod ä pectore usq[ue] ad utrasq[ue] mamillas sursum ad suprema labra, siue
deorsum usque ad umbilicum est, quodq[ue] est inter extrema ossium supremi pectoris gula[m]
cingentiam, & quod ä planta pedis ad fine[m] lacerti, & exinde in mediam genu rotulam, omnes
hae me[n]surae sibi coaequafes sunt, & septima[m] totius altitudinis constituu[n]t. AGRIPPA,
Occulta philosophia, 1533, 2.27., fol.166-167.
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wird nämlich zu sechs Palmen, der Fuß aber zu vier Palmen, und die Palme zu vier
Zoll berechnet. Die gesamte Länge des Menschen [beträgt] sechs Fuß [...] [oder]
sechsundneunzig Zoll41
Eine Bemerkung über die Verkürzung des homo ad circulum beseitigt
schließlich jeden Zweifel daran, daß Agrippa jene durch die Zeichnung in der
Venezianischen Akademie überlieferten Proportionsstudien Leonardos kannte:
Wenn bei dergestalt erhobenen Armen die Füße und Beine soweit
auseinandergestellt werden, daß der Mensch um den vierzehnten Teil seiner
aufrechten Stellung kürzer ist, so bildet die Entfernung seiner Füße unter sich und
vom untersten Teile des Schambeines aus ein gleichseitiges Dreieck, und wenn
man den Mittelpunkt in den Nabel setzt, so wird die Peripherie eines Kreises die
Finger- und Zehenspitzen berühren.42
Diese Bemerkung über den homo ad circulum ist nur in Leonardos Studie zur
Vitruvischen Proportionsfigur zu finden. Eine weitere Passage aus demselben
Kapitel der Occulta philosophia verdeutlicht darüberhinaus, daß Agrippa nicht
nur einen auf Leonardo zurückgehenden Text benutzt, sondern auch dessen
Zeichnung eingehend studiert hatte:
Der Durchmesser der Weichen, der Raum zwischen der Handwurzel und dem
Ellenbogengelenk, die Entfernung von der Brust aus zwischen beiden Brustwarzen
aufwärts bis zu den Lippen und abwärts bis zum Nabel, der Raum zwischen
beiden Knochenenden, welche am obersten Teile der Brust die Kehle umgeben,
die Entfernung von der Ferse bis zum Beginn der Wade und von da bis zum
Kniegelenk, dies sind lauter gleiche Maße und betragen den siebenten Teil der
ganzen Länge.43
Die meisten dieser Rationes lassen sich mit hinreichender Exaktheit der
Zeichnung Leonardos entnehmen. Dabei sind allerdings drei Werte ungenau,
nämlich die beiden für die Entfernungen von der Brustmitte bis zu den Lippen
und von der Wade bis zum Kniegelenk. Eklatant abweichend von der
Zeichnung in Venedig ist die Angabe, daß die Distanz zwischen den beiden
Knochenenden unterhalb der Kehle 1/7 betrage; sie kann dort nämlich eindeutig
als 1/8 identifiziert werden. In Anbetracht dieser offensichtlichen Verbindungen
zwischen Leonardo und Agrippa dürfte es auch kein Zufall sein, daß die
41 Circuitus ho[m]i[n]is sub alis, medietate[m] suae co[n]tinet lo[n]gitudinis, cuius mediu[m] est
in imo pectine: abinde uero sursum ad mediu[m] pectus inter utrasq[ue] mamillas & ä medio
pectore in summu[m] uertice[m], utrobiq[ue] pars quarta: similiter ab imo pectine usq[ue] sub
genua, & inde ad extremos talos, pars ho[m]i[n]is quarta. Eade[m] est latitudo spatularu[m] ab
uno extremo in alterum: eade[m] est longitudo ä cubito in extremu[m] longioris digiti, ideoq[ue]
hic cubitus dicit[ur]: hinc quatuor cubiti constituunt longitudine[m] hominis: latitudine[m] uero
quae in spatulis est, cubitus unus: quae uero in cinctura est, pes unus, cubitum autem constituunt
palmi sex: pedem uero quatuor, & quatuor digiti palmum, totaq[ue] hominis lo[n]gitudo
palmorum uigintiquatuor, pedem sex, [...] digitorum sex & nonaginta. AGRIPPA, Occulta philo-
sophia, 1533, 2.27., fol.166; zum entsprechenden Text Leonardos vgl. RICHTER, Literary Works
of Leonardo, Bd.l, S.255-256, bes. Zeile 2-4 und 10-14 (zit. Kap. V).
42 Quod si manibus sic eleuatis taliter pedes & crura panda[n]tur, quo homo decimaquarta parte
erectae staturae suae breuior sit, tune pedum distantia ad imum pecten relata, aequilaterum
triangulum faciet, & centro in umbilic[o] posito circunductus circulus manuum pedumq[ue]
extrema continget. AGRIPPA, Occulta philosophia, 1533, 2.27., fol.165; vgl. RICHTER, Literary
Works of Leonardo, Bd.l, S.255, Par. 343, Zeile 4-6.
43 Deniq[ue] cincturae diameter, & quod ä restricta manus usq[ue] in interiorem plicaturam cubiti
Spatium est: & quod ä pectore usq[ue] ad utrasq[ue] mamillas sursum ad suprema labra, siue
deorsum usque ad umbilicum est, quodq[ue] est inter extrema ossium supremi pectoris gula[m]
cingentiam, & quod ä planta pedis ad fine[m] lacerti, & exinde in mediam genu rotulam, omnes
hae me[n]surae sibi coaequafes sunt, & septima[m] totius altitudinis constituu[n]t. AGRIPPA,
Occulta philosophia, 1533, 2.27., fol.166-167.