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KAPITEL XIII
Nabel und den Fersen gebildet wird, sich aber nicht im dazugehörigen
Holzschnitt wiederfindet, sondern auf folio 7 des Codex Huygens.54
Da sich Agrippa zur selben Zeit in Oberitalien aufhielt wie Leonardo, besteht
durchaus die Möglichkeit, daß er das in der Occulta philosophia verwendete
Material zur Proportionslehre von ihrem Urheber selbst mitgeteilt bekommen
hatte. Dies könnte entweder in Pavia oder aber in Mailand zwischen 1512 und
1516 geschehen sein.55 Ein späterer Zeitpunkt, etwa 1518, als Agrippa in Metz
und Leonardo in Fontainebleau weilte, ist unwahrscheinlich. Allerdings gibt es
keinen stichhaltigen Nachweis für ein solches Zusammentreffen.
Agrippas Übernahmen aus Pomponius Gauricus 1504 erschienener De
sculptura56 sind weniger signifikant. Nicht ganz folgerichtig, da dies den von
Leonardo übernommenen Rationes widerspricht, paraphrasiert Agrippa den
schon bei Michele Savonarola (vgl. Kap. IV.1) und erneut bei Gauricus
beschriebenen Neun-Köpfe-Kanon.
6. Agrippa und Francesco Giorgi
Agrippas Anlehnungen an Francesco Giorgi sind gegenüber seiner Verwendung
proportionsästhetischen Materials inhaltlich bedeutsamer; sie entstammen
größtenteils dem ersten Buch des dritten Gesangs der Harmonia mundi, nämlich
jenem Kapitel, in dem Giorgi mit der Proportionslehre Vitruvs beginnend die
Harmonie des mikrokosmischen Leibes beschreibt, um dann im anschließenden
Abschnitt zur Harmonie von Körper und Seele zu gelangen.57 Agrippa folgt dem
Procedere Giorgis und geht ebenfalls von der Erörterung der körperlichen
Harmonie des Mikrokosmos zu dessen Verbindung mit seiner Seele über. Er
beginnt dabei zunächst mit einer eigenständigen Formulierung zum Mikrokos-
mos, um dann Giorgis Bemerkung über dessen Bedeutung für die Architektur
zu paraphrasieren. Es folgt die übliche Beschreibung der Arche Noahs, die
allerdings nicht ursprünglichen Quellen wie der Genesis, Ambrosius oder
Augustinus, sondern wörtlich der Harmonia mundi58 entnommen ist. An der
Stelle, wo Giorgi ein ausführliches Zitat der Vitruvischen Proportionslehre
folgen läßt, wendet sich Agrippa den Erläuterungen seiner an Leonardo
orientierten Illustrationen zu. Erst dann beginnt er mit detaillierteren
Ausführungen zu den menschlichen Proportionen, die zwar Vitruvischen
Ursprungs sind, aber an dieser Stelle gänzlich dem Material Leonardos
entstammen. Agrippas mikrokosmologische Interpretation der Vitruvischen
Proportionsfigur findet also ohne eine Berücksichtigung des originalen Textes
von De architectura statt.
54 Vgl. F. ZÖLLNER, Agrippa, Leonardo and the Codex Huygens, in: Journal of the Warburg and
Courtauld Institutes 48.1985, S.229-234.
55 Agrippa war 1512 sowohl in Pavia als auch in Mailand, 1518 schließlich in Metz; vgl.
NAUERT, Agrippa and the Crisis, S.35-54, bes. S.37-39 und PROST, Les Sciences, Bd.l,
S.205-285, bes. S.213-215, 232-234 und S.242. Leonardo, der in diesem Zeitraum hauptsächlich
in Mailand, aber auch in anderen norditalienischen Städten weilte, verließ Oberitalien 1516.
56 POMPONIUS GAURICUS, De sculptura, hrsg. u. übers, v. H. Brockhaus, Leipzig 1886; ders.,
De sculptura. Edition annoUe et traduction par Andrd Chastel Robert Klein, Genf 1969.
57 Vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3, fols.lf.
58 Ebd., 3.1.1., fol.2r; vgl. die ursprünglichen Formulierungen Genesis 6.14-15.; AUGUSTINUS,
De civitate Dei 15.26., PL41, Sp.472; AMBROSIUS, De arca et Noe 6, PL 14., Sp.387.
KAPITEL XIII
Nabel und den Fersen gebildet wird, sich aber nicht im dazugehörigen
Holzschnitt wiederfindet, sondern auf folio 7 des Codex Huygens.54
Da sich Agrippa zur selben Zeit in Oberitalien aufhielt wie Leonardo, besteht
durchaus die Möglichkeit, daß er das in der Occulta philosophia verwendete
Material zur Proportionslehre von ihrem Urheber selbst mitgeteilt bekommen
hatte. Dies könnte entweder in Pavia oder aber in Mailand zwischen 1512 und
1516 geschehen sein.55 Ein späterer Zeitpunkt, etwa 1518, als Agrippa in Metz
und Leonardo in Fontainebleau weilte, ist unwahrscheinlich. Allerdings gibt es
keinen stichhaltigen Nachweis für ein solches Zusammentreffen.
Agrippas Übernahmen aus Pomponius Gauricus 1504 erschienener De
sculptura56 sind weniger signifikant. Nicht ganz folgerichtig, da dies den von
Leonardo übernommenen Rationes widerspricht, paraphrasiert Agrippa den
schon bei Michele Savonarola (vgl. Kap. IV.1) und erneut bei Gauricus
beschriebenen Neun-Köpfe-Kanon.
6. Agrippa und Francesco Giorgi
Agrippas Anlehnungen an Francesco Giorgi sind gegenüber seiner Verwendung
proportionsästhetischen Materials inhaltlich bedeutsamer; sie entstammen
größtenteils dem ersten Buch des dritten Gesangs der Harmonia mundi, nämlich
jenem Kapitel, in dem Giorgi mit der Proportionslehre Vitruvs beginnend die
Harmonie des mikrokosmischen Leibes beschreibt, um dann im anschließenden
Abschnitt zur Harmonie von Körper und Seele zu gelangen.57 Agrippa folgt dem
Procedere Giorgis und geht ebenfalls von der Erörterung der körperlichen
Harmonie des Mikrokosmos zu dessen Verbindung mit seiner Seele über. Er
beginnt dabei zunächst mit einer eigenständigen Formulierung zum Mikrokos-
mos, um dann Giorgis Bemerkung über dessen Bedeutung für die Architektur
zu paraphrasieren. Es folgt die übliche Beschreibung der Arche Noahs, die
allerdings nicht ursprünglichen Quellen wie der Genesis, Ambrosius oder
Augustinus, sondern wörtlich der Harmonia mundi58 entnommen ist. An der
Stelle, wo Giorgi ein ausführliches Zitat der Vitruvischen Proportionslehre
folgen läßt, wendet sich Agrippa den Erläuterungen seiner an Leonardo
orientierten Illustrationen zu. Erst dann beginnt er mit detaillierteren
Ausführungen zu den menschlichen Proportionen, die zwar Vitruvischen
Ursprungs sind, aber an dieser Stelle gänzlich dem Material Leonardos
entstammen. Agrippas mikrokosmologische Interpretation der Vitruvischen
Proportionsfigur findet also ohne eine Berücksichtigung des originalen Textes
von De architectura statt.
54 Vgl. F. ZÖLLNER, Agrippa, Leonardo and the Codex Huygens, in: Journal of the Warburg and
Courtauld Institutes 48.1985, S.229-234.
55 Agrippa war 1512 sowohl in Pavia als auch in Mailand, 1518 schließlich in Metz; vgl.
NAUERT, Agrippa and the Crisis, S.35-54, bes. S.37-39 und PROST, Les Sciences, Bd.l,
S.205-285, bes. S.213-215, 232-234 und S.242. Leonardo, der in diesem Zeitraum hauptsächlich
in Mailand, aber auch in anderen norditalienischen Städten weilte, verließ Oberitalien 1516.
56 POMPONIUS GAURICUS, De sculptura, hrsg. u. übers, v. H. Brockhaus, Leipzig 1886; ders.,
De sculptura. Edition annoUe et traduction par Andrd Chastel Robert Klein, Genf 1969.
57 Vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3, fols.lf.
58 Ebd., 3.1.1., fol.2r; vgl. die ursprünglichen Formulierungen Genesis 6.14-15.; AUGUSTINUS,
De civitate Dei 15.26., PL41, Sp.472; AMBROSIUS, De arca et Noe 6, PL 14., Sp.387.