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Zöllner, Frank
Vitruvs Proportionsfigur: quellenkrit. Studien zur Kunstliteratur im 15. u. 16. Jh. — Worms: Wernersche Verl.-Ges., 1987

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73563#0155
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GUILLAUME PHILANDRIER

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reichende Beherrschung konnte im Falle Philandriers dazu führen, daß er als
Humanist nicht nur die sekretarialen Aufgaben seines kulturell interessierten
Arbeitgebers erfüllte, sondern sich zum eigenen Ruhm und dem seines Mäzens
als mit umfassender Bildung ausgestatteter Gelehrter profilierte. Diese Profi-
lierung begann im Fall Philandriers mit seinen 1534 vollendeten und 1535
erschienenen Kommentaren zu Quintilian. Gleichzeitig versah Philandrier für
seinen Gönner architektonische Aufgaben, als dieser begann, die Gebäude
seiner Diözese und den Zustand seiner privaten Immobilien zu verbessern. Er
griff hierbei auf seinen Sekretär zurück, der zwar, wie sein Biograph Philibert
de la Mare im 17. Jahrhundert schreibt, damals in der Baukunst noch nicht
bewandert, doch in den freien Künsten hinreichend ausgebildet war. Von der
Autorität seines Mäzens angetrieben, widmete er sich architektonischen Studien
und übernahm die Aufsicht der Arbeiten an der Kathedrale von Rodez.4 Das
Studium der Architektur selbst begann den Angaben Philandriers zufolge erst in
Venedig unter Sebastiano Serlio, den er seinen ersten Lehrer in jener Kunst
nennt.5 Ab 1536 in Venedig und besonders ab 1539, als George d'Armagnac
Gesandter Franz I. in Rom wurde, betrieb er sowohl philologische als auch
archäologische Studien, die schließlich die Grundlage für den 1541 abgeschlos-
senen und 1544 zuerst erschienenen Vitruvkommentar bildeten. Seine
Veröffentlichung war nicht geplant und ergab sich - so Philandriers Version in
der Widmung an Franz I. - erst auf Anraten seiner Gönner. Die zunächst noch
ohne den Text erschienenen Annotationes erfreuten sich bereits im folgenden
Jahr einer Neuauflage. Basierend auf den Giocondoeditionen von 1511 und
1513 veranstaltete dann der Straßburger Drucker Georg Messerschmidt 1550
eine von ihm selbst verbesserte Ausgabe, die in ihren Illustrationen auf
Cesariano und Philandrier zurückging und den Kommentar des letzteren aus
dessen 1545 erneut erschienenen Annotationes vollständig übernahm. Ein von
Philandrier selbst revidierter Text erschien schließlich zusammen mit seinen um
ein Drittel erweiterten Annotationes 1552 und 1586 in Lyon.6
2. Humanist und Antiquar
Die Bezeichnung Humanist, verstanden als eine Prägung des 18. und 19. Jahr-
hunderts7, ist ein Begriff, der mehr oder weniger genau die literarische, philolo-
gische, archäologische oder allgemein antiquarische Tätigkeit an der Antike
interessierter und gelehrter Männer bezeichnet. Ihre gesellschaftliche und

4 DE LA MARE, Vita Philandri, S.21-22 und S.41-42.

5 GUILLAUME Philandrier, M. Vitruvii Pollionis de architectura libri decern, ad Caesarem
Augustum, omnibus ornnium editionibus longe emendatiores, collatis veteribus exemplis, Lyon
1586, S.102.

6 Vgl. G. POLENI, Exercitationes Vitruvianae primae, Padua 1739, S.46-50, 68-72; J. G.
SCHNEIDER (Hrsg, und Komment.), Marei Vitruvii Pollionis de architectura libri deccm, 2Bde.,
Leipzig 1807-1808, Bd.l, S.XXI-XXII; L. A. CIAPPONI, Vitruvius, in: Catalogus translationum
et commentariorum. Mediaeval and Renaissance Latin Translations and Commentaries, Bd.3,
Washington D. C. 1976, S.399-409, 403-406.

7 Vgl. A. CAMPANA, The Origin of the Word »Humanist«, in: Journal of the Warburg and
Courtauld Institutes 9.1946, S.60-73; E. KESSLER, Das Problem des frühen Humanismus. Seine
philosophische Bedeutung bei Coluccio Salutati, München 1968, S.9-11; C. TRINKAUS,
Humanism, in: Encyclopedia of World Art, Bd.7, London etc. 1963, S.702-743; und M.
BAXANDALL, Giotto and the Orators. Humanist Observers of Painting in Italy and the
Discovery of Pictoral Composition 1350-1450, 2.Aufl., Oxford 1986, S.1-8.
 
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