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AGRIPPA VON NETTESHEIM

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4. Der Mikrokosmos und Vitruvs Proportionsfigur
Francesco Giorgi hatte in seinen De harmonia mundi cantica tria zwar
ebenfalls den Aufstieg des Mikrokosmos zu Gott beschrieben, dabei aber statt
der Magie die musikalischen Harmonien als seinen Argumentationsrahmen
benutzt. Während Agrippa im oben erörterten Mikrokosmoskapitel des dritten
Buches die Macht der Musik auch dort fortläßt, wo es seine Übernahmen aus
den musiktheoretisch durchdrungenen Ausführungen Giorgis nahegelegt
hätten38, kommt er im zweiten Buch, das von der mathematisch-astrologischen
Magie handelt, naturgemäß auf die Macht der Zahlen, der Geometrie und der
Musik zurück. Dieses Buch besteht zu einem guten Teil aus eben jenen
Ergänzungen, die Agrippa aufgrund seiner neuen Betonung der mathematischen
Wissenschaften in die Occulta philosophia von 1533 aufgenommen hatte (s.o.).
Hier, im 27. Kapitel, findet sich auch jene mikrokosmologische Auseinander-
setzung mit der Vitruvischen Proportionsfigur, die als die umfangreichste
Erörterung ihrer Art im 16. Jahrhundert anzusehen ist.
Agrippas Erörterung der arithmetischen, geometrischen, musikalischen und
astrologischen Grundlagen des Mikrokosmos steht als Bestandteil der mathema-
tisch-astrologischen Magie, deren Gegenstand die himmlische Sphäre ist,
zwischen den Auseinandersetzungen mit Zahlen und Musik einerseits und der
Diskussion der himmlischen Körper, ihrer Macht und ihrer Seelen andererseits.
Das umfangreiche Kapitel vereinigt nicht nur umfangreiches Material über die
menschliche Physis, sondern berücksichtigt auch eine ganze Reihe gängiger
Vorstellungen zum Menschen als Mikrokosmos. Seiner Struktur nach zerfällt es
in einen arithmetischen und in einen geometrischen Abschnitt. Diese Unter-
teilung bezieht sich offensichtlich auf die vorher gemachte Bemerkung, daß die
geistigen Teile im Menschen nach arithmetischen, die körperlichen aber nach
geometrischen Gesichtspunkten angeordnet seien.39 Auch hiermit wird die
Stellung des Mikrokosmos zwischen elementarer und geistiger Welt
ausgedrückt. In dessen Beschreibung beginnt Agrippa mit einer eigenen
Formulierung, wechselt dann aber recht bald zu Paraphrasierungen ähnlicher
Passagen Francesco Giorgis über:
Der Mensch als das schönste und vollendetste Werk Gottes, als sein Ebenbild und
als eine Welt im Kleinen, hat einen vollkommeneren und harmonischeren
Körperbau als die übrigen Geschöpfe und enthält die Zahlen, Maße, Gewichte,
Bewegungen, Elemente, kurz alles, was zu seiner Vollendung gehört, in sich [...].
Ja Gott selbst lehrte Noah seine Arche nach dem Maße des menschlichen Körpers
bauen, sowie er selbst die ganze Weltmaschine gemäß dem menschlichen Körper
symmetrisch gemacht hat; daher wird jene die große, dieser die kleine Welt
genannt.40

38 Vgl. GIORGI, De harmonia mundi 3.1.7., fol.7v, dessen musikalische Metaphorik des Körpers
Agrippa (zit. in Anm.35) ausläßt.

39 AGRIPPA, Occulta philosophia, 1533, 2.3., fols.102-103.

40 Homo quonia[m] pulcherrimu[m] absolutissimu[m]q[ue] dei opus & imago, & minor mundus,
ideoq[ue] etia[m] perfectiore co[m]positione ac suauiori harmonia, sublimioriq[ue] dignitate
o[mn]es numeros, me[n]suras, po[n]dera, motus & eleme[n]ta, ceteraq[ue] omnia illu[m]
co[m]ponentia, in se continet [...]. Quin & ipse deus docuit Noe fabricare arcam ad humani
corporis me[njsura[m], ut qui ipse tota[m] mundi machina[m] humano corpori symmetra[m]
fabricauit: unde ille magnus, hic uero minor mu[n]dus nu[n]cupatur. AGRIPPA, Occulta philoso-
phia, 1533, 2.27., S.160; der letzte Teil des Zitats und die dann folgenden Ausführungen
entstammen GIORGI, De harmonia mundi 3.1.1., fol.2r, Zeile 20-21 und 23-25; 1.6.3., fo!.101r,
Zeile 23-25 und fol.101v, Zeile 9-10.
 
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