LEONARDO DA VINCI
79
Menschen; die ganze Hand sei der zehnte Teil des Menschen: das männliche Glied
beginnt in der Mitte des Menschen; der Fuß sei der siebte Teil des Menschen; von
unterhalb des Fußes bis unter das Knie sei der vierte Teil des Menschen; von
unterhalb des Knies bis zum Ursprung des Gliedes sei der vierte Teil des
Menschen. Die Teile, die sich zwischen dem Kinn, der Nase, den Augenbrauen
und den Haarwurzeln befinden - ein jedes dieser Teile ist für sich ähnlich der
[Länge] des Ohres und ein Drittel des Gesichts.5
Eine ganze Reihe der Proportionen, sowohl der Zeichnung als auch des
Textes - so etwa die des Kopfes, des Gesichts, der Hand, oder der Elle (cubito) -
stimmen mit den Angaben Vitruvs überein; diese hatte Leonardo spätestens seit
1487 in seine Proportionsstudien aufgenommen.6 Er geht aber noch weiter,
indem er das bei Vitruv nicht unmißverständlich erläuterte Proportionssystem
aufgreift und klarer darstellt. Vitruv hatte die Länge des erwachsenen und
wohlproportionierten Mannes mit vier Ellen (cubiti; Vitruv 3.1.2.) und später,
bei der Diskussion des Maß- und Münzsystems, die anthropomorphe Herleitung
der Fingerbreite, der Handbreite, des Fußmaßes und der Elle (digitus, palmus,
pes, cubitus; 3.1.5.) beschrieben. Daran anschließend führt er weiter aus, daß
die Elle sechs Handbreiten (palmi) oder 24 Fingerbreiten (digiti) entspreche
(3.1.7.), der Fuß aber vier Handbreiten (3.1.8.).7 Aufgeschlüsselt nach seinen
einzelnen Werten lautet dieses System: Die Höhe des Menschen beträgt 4 Ellen
oder 6 Fuß oder 24 Handbreiten oder 96 Fingerbreiten. Dazu kommen die Maße
für die Länge von Kopf und Gesicht, 1/8 und 1/10, die sich problemlos in die
obige Reihe von Brüchen mit geradem Nenner eingliedern lassen (Vgl. Kap. II).
Indem Leonardo dieses System prinzipiell übernimmt (etwa 1/10 für das
Gesicht, 1/8 für den Kopf und die Vierteilung der Körperlänge), ist auch
verständlich, wie die Skala unterhalb der Grundlinie des Quadrats, beschriftet
mit palmi diti, zustande kommt; ihre einzelnen Markierungen müßten in
Relation zur dazugehörigen Proportionsfigur beschriftet werden mit: 1/96 (d.i.
5 Vetruuio architecto mette nella sua opera d'architectura, che le misure dell'omo sono dalla
natura distribuite in questo modo cioö che 4 diti fa[nno] uno palmo e 4 palmi fa[nno] uno pid, 6
palmi fa[nno] un cubito 4 cubiti fa[nno] uno uomo e 4 cubiti fa[nno] uno passo e 24 palmi
fa[nno] uno uomo e queste misure son ne' sua edifiti; Se tu apri ta[n]to le ga[m]be che tu cali da
capo 1/14 di tua altezza e apri e alzi tanto le braccia che colle lunghe dita tu tochi la linia della
som[m]itä del capo, sappi che 'l cie[n]tro delle stremitä delle aperte me[m]bra fia il bellico e lo
spatio che si truova infra le ga[m]be, fia tria[n]golo equilatero. Tanto apre l'omo nelle braccia
qua[n]to b la sua altezza. Dal nascimento de' capegli al fine di sotto del mento ö il decimo dell'
altezza del uomo; dal di sotto del mento alla som[m]itä del capo b l'octauo dell' altezza dell'omo:
dal di sopra del petto alla som[m]itä del capo fia il sexto dell'omo; dal di sopra del petto al
nascime[n]to de' capegli fia la settima parte di tutto l'omo; dalle tette al di sopra del capo fia la
quarta parte dell'omo: la maggiore larghezza delle spalle contiene in s6 la quarta parte dell'omo,
dal gomito alla punta della mano fia la quarta parte dell'omo: da esso gomito al termine della
spalla fia la octaua parte d' esso omo: tutta la mano fia la decima parte dell'omo: il menbro virile
nascie nel mezzo dell'omo; il pib fia la settima parte dell'omo; dal di sotto del piö al di sotto del
ginochio fia la quarta parte dell'omo; dal di sotto del ginochio al nascime[n]to del membro fia la
quarta parte dell'omo: le parti che si truovano infra il me[n]to e '1 naso e '1 nascime[n]to de'
capegli e quel de' cigli ciascuno spatio per s6 ö simile all' orechio cd b 'l terzo del uolto.
RICHTER, Literary Works, Par. 343, Bd.l, S.255-256. Die falsche Lesart Richters, im Original
Zeile 12, »la quinta parte«, ist geändert in »la quarta parte« nach PEDRETTI, Commentary, Bd.l,
S.244.
6 Etwa auf einem zwischen 1487 und 1490 zu datierenden Blatt des Codex Atlanticus, fol.358r
(RICHTER, Literary Works, Bd.l, Par.340), wo die Gesichts-, Kopf- und Brustmaße mit 1/10,
1/8 und 1/4 angegeben sind. Vitruvs Ratio von 1/6 für die Entfernung von der Brust bis zum
Haaransatz findet sich in der vor 1490 entstandenen Zeichnung W.19130r ([25r|; RICHTER,
Bd.l, Par. 334). Zur Frage der Datierungen vgl. PEDRETTI, Commentary.
7 Vgl. auch H. KLAIBER, Leonardostudien, Straßburg 1907, bes. S.100-109; H. OST, Leonardo-
Studien, Berlin/New York 1975, S.19-29.
79
Menschen; die ganze Hand sei der zehnte Teil des Menschen: das männliche Glied
beginnt in der Mitte des Menschen; der Fuß sei der siebte Teil des Menschen; von
unterhalb des Fußes bis unter das Knie sei der vierte Teil des Menschen; von
unterhalb des Knies bis zum Ursprung des Gliedes sei der vierte Teil des
Menschen. Die Teile, die sich zwischen dem Kinn, der Nase, den Augenbrauen
und den Haarwurzeln befinden - ein jedes dieser Teile ist für sich ähnlich der
[Länge] des Ohres und ein Drittel des Gesichts.5
Eine ganze Reihe der Proportionen, sowohl der Zeichnung als auch des
Textes - so etwa die des Kopfes, des Gesichts, der Hand, oder der Elle (cubito) -
stimmen mit den Angaben Vitruvs überein; diese hatte Leonardo spätestens seit
1487 in seine Proportionsstudien aufgenommen.6 Er geht aber noch weiter,
indem er das bei Vitruv nicht unmißverständlich erläuterte Proportionssystem
aufgreift und klarer darstellt. Vitruv hatte die Länge des erwachsenen und
wohlproportionierten Mannes mit vier Ellen (cubiti; Vitruv 3.1.2.) und später,
bei der Diskussion des Maß- und Münzsystems, die anthropomorphe Herleitung
der Fingerbreite, der Handbreite, des Fußmaßes und der Elle (digitus, palmus,
pes, cubitus; 3.1.5.) beschrieben. Daran anschließend führt er weiter aus, daß
die Elle sechs Handbreiten (palmi) oder 24 Fingerbreiten (digiti) entspreche
(3.1.7.), der Fuß aber vier Handbreiten (3.1.8.).7 Aufgeschlüsselt nach seinen
einzelnen Werten lautet dieses System: Die Höhe des Menschen beträgt 4 Ellen
oder 6 Fuß oder 24 Handbreiten oder 96 Fingerbreiten. Dazu kommen die Maße
für die Länge von Kopf und Gesicht, 1/8 und 1/10, die sich problemlos in die
obige Reihe von Brüchen mit geradem Nenner eingliedern lassen (Vgl. Kap. II).
Indem Leonardo dieses System prinzipiell übernimmt (etwa 1/10 für das
Gesicht, 1/8 für den Kopf und die Vierteilung der Körperlänge), ist auch
verständlich, wie die Skala unterhalb der Grundlinie des Quadrats, beschriftet
mit palmi diti, zustande kommt; ihre einzelnen Markierungen müßten in
Relation zur dazugehörigen Proportionsfigur beschriftet werden mit: 1/96 (d.i.
5 Vetruuio architecto mette nella sua opera d'architectura, che le misure dell'omo sono dalla
natura distribuite in questo modo cioö che 4 diti fa[nno] uno palmo e 4 palmi fa[nno] uno pid, 6
palmi fa[nno] un cubito 4 cubiti fa[nno] uno uomo e 4 cubiti fa[nno] uno passo e 24 palmi
fa[nno] uno uomo e queste misure son ne' sua edifiti; Se tu apri ta[n]to le ga[m]be che tu cali da
capo 1/14 di tua altezza e apri e alzi tanto le braccia che colle lunghe dita tu tochi la linia della
som[m]itä del capo, sappi che 'l cie[n]tro delle stremitä delle aperte me[m]bra fia il bellico e lo
spatio che si truova infra le ga[m]be, fia tria[n]golo equilatero. Tanto apre l'omo nelle braccia
qua[n]to b la sua altezza. Dal nascimento de' capegli al fine di sotto del mento ö il decimo dell'
altezza del uomo; dal di sotto del mento alla som[m]itä del capo b l'octauo dell' altezza dell'omo:
dal di sopra del petto alla som[m]itä del capo fia il sexto dell'omo; dal di sopra del petto al
nascime[n]to de' capegli fia la settima parte di tutto l'omo; dalle tette al di sopra del capo fia la
quarta parte dell'omo: la maggiore larghezza delle spalle contiene in s6 la quarta parte dell'omo,
dal gomito alla punta della mano fia la quarta parte dell'omo: da esso gomito al termine della
spalla fia la octaua parte d' esso omo: tutta la mano fia la decima parte dell'omo: il menbro virile
nascie nel mezzo dell'omo; il pib fia la settima parte dell'omo; dal di sotto del piö al di sotto del
ginochio fia la quarta parte dell'omo; dal di sotto del ginochio al nascime[n]to del membro fia la
quarta parte dell'omo: le parti che si truovano infra il me[n]to e '1 naso e '1 nascime[n]to de'
capegli e quel de' cigli ciascuno spatio per s6 ö simile all' orechio cd b 'l terzo del uolto.
RICHTER, Literary Works, Par. 343, Bd.l, S.255-256. Die falsche Lesart Richters, im Original
Zeile 12, »la quinta parte«, ist geändert in »la quarta parte« nach PEDRETTI, Commentary, Bd.l,
S.244.
6 Etwa auf einem zwischen 1487 und 1490 zu datierenden Blatt des Codex Atlanticus, fol.358r
(RICHTER, Literary Works, Bd.l, Par.340), wo die Gesichts-, Kopf- und Brustmaße mit 1/10,
1/8 und 1/4 angegeben sind. Vitruvs Ratio von 1/6 für die Entfernung von der Brust bis zum
Haaransatz findet sich in der vor 1490 entstandenen Zeichnung W.19130r ([25r|; RICHTER,
Bd.l, Par. 334). Zur Frage der Datierungen vgl. PEDRETTI, Commentary.
7 Vgl. auch H. KLAIBER, Leonardostudien, Straßburg 1907, bes. S.100-109; H. OST, Leonardo-
Studien, Berlin/New York 1975, S.19-29.