2 §. 2, Geschichtliche Entwickelung des Staatbegriffes.
schon Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, sind schon von
selbst in dem Begriffe einer völkerschaftlichen Einigung ent-
halten4).
§■ 2.
Geschichtliche Entwickelung des Staatsbegriffes.
I. Nach der übereinstimmenden Auffassung aller modernen
christlichen europäischen Völker ist der Staat, so sehr auch
die wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen von einander
abweichen mögen, der Zustand des Bestehens eines sesshaften
Volkes unter einer seine Gesa mm (Interessen leitenden,
d. h. vernunftgemäss herrschenden, obersten Gewalt1).
II. Das römische und griechische Alterthum sah dagegen
einen solchen Zustand der Geltung und Herrschaft der Gesammt-
interessen nur in den städtischen Gemeinwesen
civitas, respublica), indem man nur hierin ein soziales Leben
grösserer Volksmassen auf einer rechtlichen und sittlichen
Grundlage, Rechtsgleichheit und Freiheit der Individuen,
erkennen wollte oder für möglich hielt, und hieraus erklärt sich
zugleich, warum man noch jetzt den Staat als politischen
Zustand bezeichnet. Solche städtische Gemeinwesen herrsch-
ten nicht selten über ganze Länder als Provinzen, ohne deren
Bevölkerung für vollberechtigte Mitglieder des herrschenden
4) Siehe unten §. 5 und 6.
') Obschon Jedermann in Europa im Staate lebt und dieser eine täg-
lich vor Augen stehende Erscheinung ist, so herrscht doch über nichts
grössere Verschiedenheit, als in den Ansichten über den Staatsbegriff,
was sich nur aus der Reichhaltigkeit und umfassenden Bedeutung des
Stoffes erklären lässt. Eine Zusammenstellung älterer und neuerer Be-
griffsbestimmungen vom Staate findet sich bei H. A. Zachariae, deut-
sches Staats- und Bundesrecht, 2. Aufl. 1853, Bd. 1. §. 12; auch bei
Bluntschli, allgem. Staatsrecht, 1850. S. 28 folg. — Die meisten dieser
Begriffsbestimmungen leiden an dem Fehler, dass sogleich die Angabe des
Staatszweckes, oder sogar einer willkührlich erdachten Entstehungsart,
wie z. B. Vertrag, herbeigezogen und eben dadurch von vorneherein
Streit erregt wird. — Ara verwerflichsten ist es, wenn der Staat, wie
z. B. selbst noch bei Stahl, Rechtsphilosophie, Bd. 2, Abth. 2, S. 110,
als „Anstalt“ bezeichnet wird, als wenn er überhaupt etwas Ge-
machtes sein könnte. Sieh noch unten §. 5. Note 6.
schon Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, sind schon von
selbst in dem Begriffe einer völkerschaftlichen Einigung ent-
halten4).
§■ 2.
Geschichtliche Entwickelung des Staatsbegriffes.
I. Nach der übereinstimmenden Auffassung aller modernen
christlichen europäischen Völker ist der Staat, so sehr auch
die wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen von einander
abweichen mögen, der Zustand des Bestehens eines sesshaften
Volkes unter einer seine Gesa mm (Interessen leitenden,
d. h. vernunftgemäss herrschenden, obersten Gewalt1).
II. Das römische und griechische Alterthum sah dagegen
einen solchen Zustand der Geltung und Herrschaft der Gesammt-
interessen nur in den städtischen Gemeinwesen
civitas, respublica), indem man nur hierin ein soziales Leben
grösserer Volksmassen auf einer rechtlichen und sittlichen
Grundlage, Rechtsgleichheit und Freiheit der Individuen,
erkennen wollte oder für möglich hielt, und hieraus erklärt sich
zugleich, warum man noch jetzt den Staat als politischen
Zustand bezeichnet. Solche städtische Gemeinwesen herrsch-
ten nicht selten über ganze Länder als Provinzen, ohne deren
Bevölkerung für vollberechtigte Mitglieder des herrschenden
4) Siehe unten §. 5 und 6.
') Obschon Jedermann in Europa im Staate lebt und dieser eine täg-
lich vor Augen stehende Erscheinung ist, so herrscht doch über nichts
grössere Verschiedenheit, als in den Ansichten über den Staatsbegriff,
was sich nur aus der Reichhaltigkeit und umfassenden Bedeutung des
Stoffes erklären lässt. Eine Zusammenstellung älterer und neuerer Be-
griffsbestimmungen vom Staate findet sich bei H. A. Zachariae, deut-
sches Staats- und Bundesrecht, 2. Aufl. 1853, Bd. 1. §. 12; auch bei
Bluntschli, allgem. Staatsrecht, 1850. S. 28 folg. — Die meisten dieser
Begriffsbestimmungen leiden an dem Fehler, dass sogleich die Angabe des
Staatszweckes, oder sogar einer willkührlich erdachten Entstehungsart,
wie z. B. Vertrag, herbeigezogen und eben dadurch von vorneherein
Streit erregt wird. — Ara verwerflichsten ist es, wenn der Staat, wie
z. B. selbst noch bei Stahl, Rechtsphilosophie, Bd. 2, Abth. 2, S. 110,
als „Anstalt“ bezeichnet wird, als wenn er überhaupt etwas Ge-
machtes sein könnte. Sieh noch unten §. 5. Note 6.