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Über Dürers Leben und Schaffen.
hinreißt. Man würde indes sehr irren, wenn man annehmen wollte,
daß jene der Wirklichkeit zugewandte Richtung auf die Heimat der
van Eycks beschränkt gewesen sei. Wenn wir z. V. an ihre etwas
jüngeren Zeitgenossen wie Lukas Moser von Weil, Konrad Witz
von Basel, Hans Multscher von Ulm, den Meister „Pfenning" in Nürn-
berg, oder um nach dem Norden auszugreifen an Meister Franke
in Hamburg uns erinnern, so überzeugen wir uns sofort, daß jene
Strömung die allgemeine Grundrichtung war, nur machte sich dies
nirgends so entschieden geltend wie an dem Genter Ultar und anderen
auf uns gekommenen Werken Jan van Eycks. Setzte dann, wie dies
neben anderen Grten auch in Nürnberg der Fall war, später direkter
Einfluß von den Niederlanden her ein, so konnte er sich um so leichter
ausbreiten, da der Boden vorbereitet war. So hatte sich überall
eine von dem mittelalterlichen Ideal wesentlich abweichende Strömung
durchgesetzt, als Dürer das Licht der Welt erblickte. Uber das Ver-
hältnis zur Wirklichkeit bestand nicht sowohl im Erfassen und Durch-
dringen des Ganzen der Erscheinungen als in dem mehr oder weniger
glücklichen herausgreisen von hervorstechenden Einzelheiten. Was
der Kunst fehlte, waren darum Persönlichkeiten, die dem breiten
Strome sich anvertrauend und das Wesen der Dinge allseitig erfassend
schöpferisch und geistesmächtig in die Erscheinung treten lassen konnten,
worauf die Zeit hindrängte. Für die Entwickelung der Kunst im
Norden war es dann bei der Eigenart der deutschen Phantasie von
höchster Bedeutung, daß durch den Holzschnitt und Kupferstich die
Möglichkeit geboten war, künstlerisch sich in neuer und höchst persön-
licher Weise auszusprechen, wobei es sich günstig traf, daß diese beiden
Urten der Technik bereits nicht nur einer gewissen Ausbildung, sondern
auch einer weitverbreiteten Popularität sich erfreuten.
Im besonderen kommt natürlich für die Beurteilung Dürers in
Betracht, was ihm die damalige dem Umfang nach höchst bedeutende
Nürnberger Kunstübung bieten konnte. Wenn wir aus seinen Werken
auf die Grundstimmung seiner Seele schließen, so war er von Natur
realistisch gerichtet. Er kann später nicht ost genug empfehlen, bei
allem Schaffen an die Natur sich zu halten, doch versteht er darunter
selbstverständlich nicht etwa das Bestreben, die Natur nach Möglich-
keit zu kopieren. Dürer wußte sehr wohl, daß alles Kunstschaffen
ein Übersetzen in der Sprache der Kunst ist. Genau an die Natur
Über Dürers Leben und Schaffen.
hinreißt. Man würde indes sehr irren, wenn man annehmen wollte,
daß jene der Wirklichkeit zugewandte Richtung auf die Heimat der
van Eycks beschränkt gewesen sei. Wenn wir z. V. an ihre etwas
jüngeren Zeitgenossen wie Lukas Moser von Weil, Konrad Witz
von Basel, Hans Multscher von Ulm, den Meister „Pfenning" in Nürn-
berg, oder um nach dem Norden auszugreifen an Meister Franke
in Hamburg uns erinnern, so überzeugen wir uns sofort, daß jene
Strömung die allgemeine Grundrichtung war, nur machte sich dies
nirgends so entschieden geltend wie an dem Genter Ultar und anderen
auf uns gekommenen Werken Jan van Eycks. Setzte dann, wie dies
neben anderen Grten auch in Nürnberg der Fall war, später direkter
Einfluß von den Niederlanden her ein, so konnte er sich um so leichter
ausbreiten, da der Boden vorbereitet war. So hatte sich überall
eine von dem mittelalterlichen Ideal wesentlich abweichende Strömung
durchgesetzt, als Dürer das Licht der Welt erblickte. Uber das Ver-
hältnis zur Wirklichkeit bestand nicht sowohl im Erfassen und Durch-
dringen des Ganzen der Erscheinungen als in dem mehr oder weniger
glücklichen herausgreisen von hervorstechenden Einzelheiten. Was
der Kunst fehlte, waren darum Persönlichkeiten, die dem breiten
Strome sich anvertrauend und das Wesen der Dinge allseitig erfassend
schöpferisch und geistesmächtig in die Erscheinung treten lassen konnten,
worauf die Zeit hindrängte. Für die Entwickelung der Kunst im
Norden war es dann bei der Eigenart der deutschen Phantasie von
höchster Bedeutung, daß durch den Holzschnitt und Kupferstich die
Möglichkeit geboten war, künstlerisch sich in neuer und höchst persön-
licher Weise auszusprechen, wobei es sich günstig traf, daß diese beiden
Urten der Technik bereits nicht nur einer gewissen Ausbildung, sondern
auch einer weitverbreiteten Popularität sich erfreuten.
Im besonderen kommt natürlich für die Beurteilung Dürers in
Betracht, was ihm die damalige dem Umfang nach höchst bedeutende
Nürnberger Kunstübung bieten konnte. Wenn wir aus seinen Werken
auf die Grundstimmung seiner Seele schließen, so war er von Natur
realistisch gerichtet. Er kann später nicht ost genug empfehlen, bei
allem Schaffen an die Natur sich zu halten, doch versteht er darunter
selbstverständlich nicht etwa das Bestreben, die Natur nach Möglich-
keit zu kopieren. Dürer wußte sehr wohl, daß alles Kunstschaffen
ein Übersetzen in der Sprache der Kunst ist. Genau an die Natur