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Dürer, Albrecht
Albrecht Dürer in seinen Briefen — Leipzig, Berlin: Teubner, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.75394#0024
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Über Dürers Leben und Schaffen.

Nissen seiner Künstlerseele, und immer sind diese inneren Geschehnisse
für uns von hohem Interesse, wir stehen nicht planlosem hin- und
herschwanken gegenüber, sondern einem ernsthaft ringenden Durch-
arbeiten von Problemen.
Zum Verständnis des Umschwunges, der sich in der Kunst durch
Dürer vollzog, sei noch auf etwas anderes hingewiesen. Im Norden
hatte die Gotik das Nuge auch für die menschliche Gestalt in eine
ganz bestimmte Richtung künstlerischer Vorstellung gedrängt. Man
war gewohnt so zu sehen wie noch Dürer z. B. seine Madonna aus
dem frühen nach den drei Hasen benannten Holzschnitt bildet; man
kann sagen, die Gestalt bestehe nur aus Kopf, Händen und Falten,
wer mit offenem Rüge italienische Körperlichkeit hinter der Gewandung
sich zum Bewußtsein gebracht hatte, der mußte, zumal wenn er wie
Dürer von Natur plastisch veranlagt war, bald mit sich im reinen
sein, wie er zur Erscheinung der Wirklichkeit sich zu stellen habe.
Ruch nach einer anderen Leite hin stand die Gotik mit der Natur
in Widerspruch. Ihre Körper hatten nicht selten, allerdings in künst-
lerischer Konsequenz, architektonischen, eng nebeneinander aussteigenden
Linien durch Strecken sich anbequemen müssen. Zo standen die
Gestalten kaum fest aus den Füßen, während der Italiener, der Natur
folgend, seine Figuren sich frei in den Hüsten wiegen ließ. Das gab
Dürer den Nnstoß, oder bestärkte ihn vielmehr nur darin, die alten
Wege zu verlassen und einem neuen Kunstempfinden zu folgen. Der
Sinn für das Körperhafte wurde ihm zur anderen Natur und führte
ihn auch dazu, ähnlich dem Italiener in Einzelfiguren sich aus-
zusprechen, die wir öfter bei ihm finden, hier konnte er seinem Drang
nach allseitiger Durchbildung am freiesten Genüge leisten, von einem
solchen Gesichtspunkte aus gewinnt z.B. die treffliche Gestalt des Fähn-
richs mit der burgundischen Fahne erst ihr volles künstlerisches Ver-
ständnis. Bei dieser Figur ist in scheinbar selbstverständlicher weise
der bewegte Organismus des menschlichen Körperbaues in freiem Zu-
sammenwirken der tragenden und getragenen Glieder gegeben, und
doch wäre eine solche Gestalt damals ohne den Einfluß Italiens un-
denkbar, wie wölfslin gezeigt hat.')
1) wer „Heinrich wölfflin, die Kunst Klbrecht Dürers, München 1905"
zur Hand nimmt, um sich in das Verständnis des Meisters einführen zu lassen,
wird das Buch reich belehrt aus der Hand legen.
 
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