Cod. Pal. germ. 142: 'Pontus und Sidonia'

Die Einnahme Collongnes durch die Heiden und die Flucht der Kinder (Cpg 142, fol. 2v)

Die Handschrift wurde um 1475 in der Werkstatt des Ludwig Henfflin für Margarethe von Savoyen angefertig und enthält 131 gerahmte Miniaturen, die wertvolle Einblicke in das Bedürfnis des damaligen Adels nach Selbstdarstellung und Repräsentation gestatten. Sie überliefert die Geschichte der Liebenden Pontus und Sidonia.

Literarisch geht die Erzählung auf einen anglo-normannischen "Chanson de geste" mit dem Titel "Horn et Rimenhild" zurück. Dieser um 1180 entstandene französische Text bildete die Vorlage für das Prosa-Werk "Ponthus et la belle Sidoyne" des Geoffrey de la Tour Landry, welches in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gleich zweimal ins Deutsche übersetzt wurde. Der Cod. Pal. germ. 142 bietet die Bearbeitung eines unbekannten Übersetzers.

Der Inhalt

Pontus und Sidonia (Cpg 142, fol. 64r)

Im Vordergrund steht die Geschichte des Königssohnes Pontus aus der Stadt Collongne im Königreich Galicia. Der Sohn eines Sultans hatte einst Pontus‘ Vater Tiburt besiegt, Stadt und Land erobert. Dennoch war es gelungen, Pontus und andere vornehme Kinder nach Britannia (Bretagne) zu retten. Dort wächst Pontus am Hof des Königs auf und gewinnt, erwachsen geworden, die Liebe der Königstochter Sidonia. Bis er sie schließlich heiraten kann, muß Pontus allerlei gefährliche Abenteuer, Verleumdungen und höfische Intrigen überstehen. Schließlich - um ihr zu beweisen, daß er ihrer würdig ist, - befreit er sein Reich von den Heiden und erobert es zurück.

Die Absicht

Pontus und die Kinder vor dem Sohn des Sultan (Cpg 142, fol. 4r)

Die unterhaltende Geschichte wird ausführlich von kunstvollen Dialogen, in denen ritterlich-christliche Tugenden und Lebensführung vorgeführt werden, begleitet. Ihre Äußerungen und ihr Handeln lassen die fiktiven Personen zu Figuren werden, mit denen sich die Mitglieder des Adels identifizieren konnten.

Vor allem Pontus, der Titelheld, ist hierbei von Bedeutung. Damit der Betrachter ihn wiedererkennt, wird er durchgehend in jedem Lebensalter und in jeder sozialen Position mit einer Krone gekennzeichnet. So z. B. auf fol. 4r: Pontus wird mit den anderen geflohenen Kindern vor den Sultanssohn geführt. Um sich zu schützen, behauptet er, sie seien armer Leute Kinder. Dennoch trägt Pontus in der Miniatur eine Krone auf dem Kopf. Das Tragen der Krone bedeutet aber auch: Egal in welcher Situation sich ein Königssohn befindet, er bleibt immer ein Königssohn und in seinem Handeln seiner Herkunft verpflichtet. Erzählung und Illustrationen vermitteln ein ideales Bild des Rittertums und seiner Aufgaben.

Die glorreiche Vergangenheit

Die Befreiung Galiciens von den Heiden durch Pontus und sein Heer (Cpg 142, fol. 105v)

Zu letzteren gehörte, das Christentum und seine heiligen Stätten vor den Heiden zu schützen. So spielt auch der Roman vor einem tatsächlichen historischen Hintergrund: die Besetzung der iberischen Halbinsel durch die Araber und ihre Befreiung von der islamischen Vorherrschaft während des 8. Jahrhunderts.

Zur Zeit als die Handschrift entstand, nahm der Adel jedoch diese vornehmste seiner Aufgaben nicht mehr war. Byzanz und das byzantinische Reich waren 1453 unter türkische Herrschaft geraten. Pontus dagegen schafft es, sein Reich von den Heiden zu befreien. Text und Illustrationen werten die ruhmreiche Vergangenheit des Adels als Beschützer und Verteidiger des Christentums auf.

Homepage: Web Gallery of Art, Konrad Witz,

So ist der Gegensatz "schlechte Heiden - gute Christen" in vielen der Schlachtendarstellungen faßbar, besonders deutlich wird er jedoch auf fol. 105v. Die Szene zeigt den Kampf um die Befreiung von Galicien, Pontus’ Heimat. Die christlichen Ritter, gekennzeichnet durch Kreuze auf ihren Rüstungen, und die heidnischen Soldaten, kenntlich durch ihre Turbane, sind zum Nahkampf übergegangen. Die Illustration verrät aber schon seinen Ausgang: Die Christen werden siegen. Ihre Kreuzesfahne weht siegreich im Wind, während der Wimpel des heidnischen Heeres bereits gebrochen ist. Das Attribut der gebrochenen, heidnischen Lanze ist übrigens typisch für spätmittelalterliche Darstellungen der Synagoge, wie z.B. auf einer Tafel des Heilsspiegelaltars von Konrad Witz.

Einblicke und Ausblicke

Pontus und seine Freunde tanzen verkleidet bei einem Bankett vor Sidonia und ihren Hofdamen (Cpg 142, fol. 122r)

Miniaturen und Text des Cod. Pal. germ. 142 spiegeln höfisches Leben wider. Dieses findet in der Eleganz der dargestellten Figuren, ihrer Kleidung und Gestik sowie im Detailreichtum, der stark in die Bildtiefe ausgedehnten Illustrationen seinen Ausdruck. Vermutlich zeigen die Darstellungen jedoch eine prachtvollere Form des Hofes als sich viele Adlige leisten konnten. Die Wirklichkeit dürfte teilweise anders ausgesehen haben. Es ist ein idealisiertes Bild: So wollte man sein und leben.

Das gilt auch für das aufsteigende Bürgertum: Bürger, die es bis in die Räte der aufblühenden Städte geschafft hatten, strebten nach dem hier vorgestellten Lebensstil und seinen Ausdrucksformen. So wie einst Pontus vor Sidonia tanzt noch heute einmal im Jahr auf der Rheinbrücke zu Basel ein "wilder Mann", um das Selbstbewußtsein der Kleinbasler Bürgerszunft "Zur Hären" darzustellen.

Literatur

© Ulrike Spyra, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 9/2008