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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 1
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Zimmerle, Karl: Reformation und Geschichte der deutschen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0012
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lichkeit, sondern das der Gemeinde, die für
den Klerus bestimmten langgezogenen Chöre
fallen weg" (S. 278). Sollten in der
That die großen mächtigen Tempel voran-
gegangener Jahrhunderte gebaut worden fein
für die Geistlichen, daß diese sich darin ver-
lieren und langweilen? Es ist sehr ver-
ständig und für denkende Leser auch ver-
ständlich, wenn sofort 1. c. beigefügt wird:
„Das war freilich auch schon die Tendenz
der städtischen Pfarrbauten seit länger als
einen: Jahrhundert [nur?!] gewesen, lag im
Wesen der Hallenkirchen überhaupt." In der
That! Kirchen, in welchen keine Mönche,
kein Klerus zum Stundengebet sich versammel-
ten, sondern in welchen, inehr oder minderzahl-
reiche Gemeinden sich 311111 Gottesdienst um
ihren Pfarrer schaarten, bedurften des Lupus
großer Choranlagen nicht. Ans den Spe-
zialforschnngen eines Loh, Dehn-Notfelser
ii. a. geht unzweifelhaft hervor, daß man
namentlich bei Erbauung von Pfarrkirchen
sich von den praktischen Bedürfnissen der
Predigt leiten ließ und den Wünschen der
Stifter ans der Mitte der Bürgerschaft („der
Gemeinde") jederzeit willige Rechnung
trug. Der Unterschied von Kloster- und
Pfarrkirchen, also der Zweck der Kirchenge-
bände wird wohl jederzeit in erster Linie
für die Gestaltung des Bauplans ausschlag-
gebend gewesen sein.

Diese ererbten Vornrtheile bilden endlich
für den Verfasser der Geschichte der deutschen
Baukunst eine Art von Binde um die Augen,
welche ihn hindert, der Thatsa che ge-
recht zu werden, welche diese Geschichte
für die letzten drei Jahrhunderte hinsichtlich
des U n t e r s ch i e d e s in derBanthäti g-
k e i t zwischen der katholischen und
p r 0 t e st a n t i s ch e n Kirche Deut s ch-
lands feststellt. Zwar die Thatsache selbst
wird von Dohme wiederholt nnnmwnnden
zngestanden. Wir lesen betreffs der ersten
Periode dieses Zeitraums, der deutschen Re-
naissance S. 288: „Sind auch Vorkomm-
nisse, wie jenes Brannschweiger, äußerst
selten, wo der Bau des Thurmes der St.
Andreaskirche eingestellt wird, weil man zur
Lehre Luthers übergetreten, so hat doch un-
verkennbar die reformatorische Bewegung zu-
nächst in hohem Maße ungünstig aus den
Kirchenban bei Katholiken und Protestanten
gewirkt. Die Zahl der nennenswerthen Ar-
beiten der Art im ganzen 16. Jahrhundert
beträgt kaum ein Dutzend," von welchen
überdies der bedeutendere Teil ans Seite der
Katholiken zu suchen ist (S. 364—370),
denn „ungünstiger noch als für die katho-
lischen Länder lag die Entwicklnngsmöglich-
keit der Kirchenbaukunst in den protestanti-

schen. An die italienische Entwickelung anzu-
schließen, die „papistische" Kunst anfzunehmen
verbot in jenem Jahrhundert des Kampfes
die religiöse Ueberzeugung", was man aher
selbständig und eigenartig zu leisten versuchte,
war ein „architektonisches Ungeheuer", wel-
ches Schickhardt ans Befehl von Herzog
Friedrich von Württemberg 1599 für Freu-
denstadt baute (S. 368 s.). Da Dohme
sein Urteil über den Einfluß der Refor-
mation in dem oben genannten Satze
(S. 288) durch den Zusatz „zunächst" ein-
schränkt, so erweckt er im Leser die Erwar-
tung, daß das später besser geworden sei.
Dohme muß aber bei Schilderung der zweiten
Periode gestehen, daß die Besserung haupt-
sächlich den Katholiken zu gute kommt. Es
wird eingeräumt, daß sofort nach den
Greueln des 30jährigen Krieges „die katho-
lische Kirche auch diejenige Macht ist, deren
Mittel zuerst wieder für größere bauliche
Unternehmungen erstarken", daß ferner in
den achtziger' Jahren des 17. Jahrhunderts
bereits eine seit der Uebergangszeit unerhörte
Banlust im ganzen weiten Gebiet rege war,
die bis in die dreißiger Jahre des folgenden
Jahrhunderts eine noch immer nicht über-
sehene Fülle mächtiger Kloster-, Kathedral-,
Pfarr- und Stiftskirchen schuf, und daß hie-
bei geistliche und weltliche Fürsten mit den
vornehmen Mönchsorden, getragen von hoher
Monumentalität der Bangesinnnng, wett-
eiferten (375 f. 406). Dagegen „treten
neben den Bauten der katholischen Kirche,
die der evangelischen zurück" (S. 372).
„Selbst der künstlerisch bedeutendsten unter
den protestantischen Kirchen fehlt jener Zug
von Phantastik und fröhlichem Reichthum,
der nicht nur im allgemeinen die katholischen
Kirchen der Zeit auszeichnet, sondern gerade
in Dresden die katholische Hofkirche in Ge-
gensatz zur evangelischen Frauenkirche stellt.
Denn mehr noch als in der Renaissance
macht sich jetzt in der protestantischen Kirchen-
banknnst ein nüchtern-utilitaristischer Geist
geltend" (S. 4021.

Was tvir nun aber gegenüber dem Znge-
ständniß dieses thatsächlichen großen Unter-
schieds vermissen, ist eine genügende Er-
klärung und prinzipielle richtige
Würdigung der geschichtlich en That-
s a ch e. Der Versuch wird einmal bescheiden
gemacht, fällt aber auch sehr bescheiden ans.
Dohme charakterisiert „den großen Gegensatz
zwischen der Architektur des 16. Jahrhun-
derts und der der älteren Perioden in
Deutschland" (S. 290) dahin, daß letztere
das Bild bieten fortschreitenden Ausreifens
einem bestimmten Ziele zu, an dessen Ver-
wirklichung die Künstler der verschiedenen
 
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