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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 7.1889

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Nr. 7
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Keppler, Eugen: Deutschlands Riesenthürme, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15865#0071

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f>7

wirklich als lieblicher Vollmond im my-
stischen Dunkel, weshalb hier der Blick,
der in Köln gleich beim Eintritt von deö
hohen Chores Herrlichkeit festgehalten wird,
vielmehr unwillkürlich sich umwendet uub
nach rückwärts schaut.

Wie das kolossale Nadfenster, so legt
auch die ganze Anordnung unserer Fassade
den Vergleich mit dem Pariser Dom ita^e;
aber nur wieder, um die Originalität des
größten unserer mittelalterlichen Meister
im hellsten Licht erscheinen zu lassen und
die ungemeine Ueberlegenheit seines Wer-
kes über alle Vorbilder erst recht fühlbar
zu machen. Im untersten Stockwerk die
prachtvollen mit herrlichen Ziergiebeln be-
krönten und mit einer Welt von Statuen
—- jedoch ohne drückende Ueberfülle —-
geschmückten drei Portale, welche fast den
ganzen verfügbaren Raum ausfüllen und
von denen das mittlere wie immer das
größte ist; im zweiten Thurmgeschoß gu
beiden Seiten der das Mittelschiff erhel-
lenden „großen Rose" zwei riesige, schon
über dem Gewölbe der Seitenschiffe be-
findliche Fensteröffnungen; im dritten, et-
was höheren, jederseits drei schöne, schlanke,
lanzettförmige Durchbrechungen neben ein-
ander; den drei Abschnitten in der Breite
entsprechend drei in der Höhe, hervorge-
bracht durch die zwei Gallerten, welche die
Stockwerke in wagrechter Linie trennen,
so daß hier nirgends die aufsteigende Be-
wegung über die ruhig lagernde vorwiegt.
Und wie diese Eintheilnng, so erinnern auch
die dekorativen Grnndelemente an die
Vorbilder französischer Kathedralen. Aber
wie ist hier das dort gegebene (mit Kug-
ler zu sprechen) „zu lebendiger Grazie, zu
flüssigerem Adel" fortgebildet! Welch ein
Reichthnm von Bildungen umspinnt — je-
doch ohne die klare einfache Grundanlage
zu verwischen oder zu verwirren ■— so-
wohl den mächtigen Gliederban der sich
verjüngenden Strebepfeiler als die durch
sie umrahmten Flächen! Die Pfeiler sind
abgesehen von ihrem Statuenschmnck —
darunter eine Anzahl Reiterstatuen in den
größeren Nischen, deren Baldachine zum
Teil wieder kleinere Standbilder tragen ■—
durch die sie umziehenden Gallerten und
durch Gesimse reich gegliedert und außer-
dem mit Blenden wie mit einem seinen
Netz übersponnen; die Flächen aber sind

durch eine sich davor hinrankende, je nach
der Beschaffenheit des dahinter Liegenden
bald dichtere bald durchsichtigere, immer
aber vollkräftige Vegetation ganz in leben-
dige Gliederung aufgelöst. Vor den Fen-
stern im zweiten Stockwerk ist dies (nach
Analogie der die Prachtrose umziehenden
Schwebebögen) eine luftige Vergitterung
mit Wimbergekrönnng, und vor den festen
Flächen (über den Portalen) ist es ein
feines bronzegußartiges Stabwerk mit
zierlichere Ausfüllungen: eben noch durch-
sichtig genug, um von dem festen Kern
des Baues soviel dnrchschimmeru zu lassen,
daß das Auge den beruhigenden Eindruck
gewinnt, es sei das, was es schaut, Wirk-
lichkeit und nicht bloß ein schöner luftiger
Traum. — „Eine Entmaterialisirung deö
Materials bei vollendet künstlerischem Sinn
für die Gliederung, welche vereint dem
Erwin'schen Werk bei größerem Liebreiz
nicht minder klassischen Werth geben, als
ihn die Kölner Fassade des Meisters Jo-
hannes besitzt." (Dohme S. 227.) Auch
hier hat der Stein Steines Art verloren
und erkühnt sich, durch die Macht deö
Genius beflügelt, zum Höchsten emporzu-
steigen. So herrscht hier, trotz der vor-
waltenden Horizontal-Linie im Ganzen,
wie in den einzelnen Theilen ein reges
auf das reichste gegliedertes Leben: aller-
dings nicht fieberhaft bewegt, nicht
gewaltsam emporgetrieben; im Gegentheil:
feierliche Ruhe, ruhigste Klarheit, wahrhaft
klassische Maßhaltuug bei einer Ueberfülle
von Schmuck, eine (so lautet ein Göthe'scher
Ausdruck, der uns hier anwendbar scheint)
zwar durchaus „geregelte aber nicht ge-
ängstete" Kunst. Ebensowenig ist das
Leben an dieser Fassade kühl berech-
net, verstandesmäßig zurechtgemacht und
deßwegeu auch nicht mit kühler Berech-
nung zu genießen. Vielmehr wallt es
warm wie das Blut ans dem Herzen „her-
vor ans nie entdeckten Quellen" und er-
greift den Beschauer sogleich im tiefinner-
steu Gemüthe; hat doch auch bei der gei-
stigen Empsängniß dieses Riesenplanes die
Kunst den (mit Besonnenheit) sich hinge-
benden Meister einst ergriffen und in
Besitz genommen —- nicht aber hat dieser
mit Anstrengung der Kunst sich zu be-
mächtigen gesucht!

Außer diesen Gegensätzen von Ruhe
 
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