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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 12.1894

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Nr. 3
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Die Bemalung unserer Kirchen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15911#0023

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18

teren Beweises nicht Bedürfendes, bezeich-
net werden. Der entgegengesetzte Aber-
glaube heftete sich besonders lange und
besonders zäh an die hellenische Architektur
und Skulptur, bis Hittorf (Architecture
polychrome des Grecs) und Beule
(Histoire de l’art grec avant Pericles),
dann Semper (der Stil in den technischen
und tektonischen Künsten (2. Ausl. Mün-
chen 1878) ihn vollends verdrängten. Kuhn
sammelt in der Einleitung seiner Broschüre
in gedrängter Kürze die einschlägigen Zeug-
nisse (S. 1 —12). Das intime Zusam-
menarbeiten von Architektur itub Malerei
fand erst ein Ende in der Periode des
Barock-, Rococo- und Zopfstils, und von
daher datirt die Vorliebe für unbemalte
Architektur und die abergläubische Scheu
namentlich vor starken und ganzen Farben,
an welcher wir immer noch etwas kranken.
Bis auf den heutigen Tag haben wir
Mühe, Herr zu werden über eine gewisse
Farbenblindheit, über eine Augenk?ankheit
und Augenentzündnng, welche nervös re-
agirt gegen jeden voll angeschlagenen Far-
benton und nur die gemischten, verschwom-
menen Halbtöne, die bläulichen, grünlichen,
gelblichen, gräulichen, röthlichen Lnfttöne
zu ertragen vermag.

Nur in Einem Punkte wird Kuhn mit
Semper, dem er folgt, schwerlich ans rich-
tiger Fährte sein, in der Erklärung, war-
um jene Spätstile von der polychromen
Behandlung der Architektur abkamen. Nach
S. 13 wäre dafür kein anderer Grund
zu finden, als der allgemein verbreitete
Jrrthum, auch die Antike habe ihre Archi-
tektur und Skulptur farblos gelassen, ein
Jrrthum, dadurch wachgerufen, daß die
ausgegrabenen Antiken ihren polychromen
Schmuck verloren haben. Würde es sich
um die Renaissance handeln, so könnte
diese Erklärung annehmbar erscheinen;
denn diese verehrte in der Antike das un-
bedingte Vorbild und war bemüht, sich
ganz in ihren Linien zu halten. Beim
Barock, Rococo und Zopf ist sie nicht
mehr glaublich. Diese haben sich so sehr
emancipirt von der Antike und ließen
ihrem unbändigen Freiheitsdrang so alle
Zügel schießen, daß sicher das bloße Vor-
bild der Antike sie von der Beiziehung
der Farbe nicht abgehalten hätte, wäre
eine solche überhaupt in ihrem Sinne ge-

legen gewesen und hätten sie sich von ihr
etwas zur Hebung des Eindrucks ihrer
architektonischen Schöpfungen versprechen
können. Der Grund liegt tiefer. Eine
Bemalung der Architektur, vollends in der
bisher üblichen kraftvollen Weise, war für
diese Stile eine innere Unmöglichkeit. Nicht
als ob der malerische Sinn, der Farben-
sinn bereits erloschen oder am Erlöschen
gewesen wäre. Die vielen Wandgemälde
dieser Spätzeit, welche freilich bloß Ma-
lereien in der Kirche, keine Bemalung d er
Kirche waren, bezeugen das Gegentheil.
Aber ein inniges Zusammenarbeiten von
Architektur und Malerei war nicht mehr
möglich. Die beiden hatten sich entfremdet,
weil sie sich zu nahe gekommen waren,
weil sie sich gegenseitig Uebergrisfe hatten
zu Schulden kommen lassen. Die Archi-
tektur war malen gegangen, nicht mit
Farben, aber mit Linien, mit Licht- und
Schattenefsekten. Und die Malerei hatte
angefangen zu bauen, — mit welcher
Kühnheit oder Frechheit, zeigen die per-
spektivischen Deckengemälde dieser Periode
ohne Zahl. Die Architektur fragte nichts
mehr nach der Malerei, denn sie hatte in
sich selbst ein ungesundes malerisches Prin-
zip ausgenommen; die Malerei fragte
nichts mehr nach der Architektur, denn sie
liebte es selber, Architektur zu spielen. So
war freilich ein harmonisches Zusammen-
wirken beider nichtImehr denkbar; es war
zufällig, wenn sie sich in einem und dem-
selben Raum begegneten, und auch dann
blieben sie sich fern und fremd. Eine
Folge davon ist, daß nun wirklich auch
die Bauten des Barock- und Zopfstils eine
Bemalung in vollen und ganzen Farben
nicht vertragen können. Auch bezüglich
dieser praktischen Folgerung stehen wil-
dem Verfasser der Broschüre diametral
gegenüber, werden aber unfern entgegen-
gesetzten Standpunkt erst später näher zu
begründen haben.

Wir schließen unsererseits die geschicht-
liche Betrachtung ab, indem wir nur noch
darauf Hinweisen, daß die nach der Zopf-
periode eintretende Scheu vor vollen und
Vorliebe für halbe Farben doch nicht bloß
Folge einer hochgradigen Augenverwöh-
nung war, sondern zugleich Folge davon,
daß man die Gesetze der Farbenstimmung
verloren hatte, daß man sich nicht mehr
 
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