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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 14.1896

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Nr. 9
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Schwäbische Kruzifixbilder nebst Kruzifixbetrachtungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15913#0091

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verficht in dem gefurchten Antlitz; zwischen
beiden reiht sich das jugendliche Sterben
des Rohrdorser Krnzisixns ein, ans dessen
rundlichem, fast kindlichem Gesichte Rnhe-
seligkeit und Sanstmnth ihren Sitz auf-
geschlagen. Gegenüber dem Wiblinger
Krenzbilde, wo alle Bande reißen, tritt
uns in Nördlingen die sanftere Wehmuth
des langsam siegenden, schließlich als Er-
lösung erscheinenden Todes entgegen, wäh-
rend ans dem Krenzaltar zu Tiefenbronn
sich die positive Erhabenheit des Willens
mitten in den tragischen Schmerzen offen-
bart. Neben das Effektvolle und dra-
matisch Belebte sehen wir die monumen-
tale Trauer von Maulbronn oder Schwaigern
treten; neben die positive Form des Pa-
thetischen im Sinne der erhabenen Leiden-
schaft (Tiefenbronn) die negative des er-
habenen Leidens (Frendenstadt — Wib-
lingen) ; neben die Kraft — Weichheit
und süße gemüthsvolle Weibe (Rohrdorf
und Heilbronn). Besonders klar und nn-
mittelbar mnthet uns der Rathschlnß der
Erlösung ans dem vielfach gemischten Aus-
druck an, dem wir ans diesen Gesichtern
Christi begegnen und wodurch sie sich
hauptsächlich ans der Höhe ihres Vor-
wurfes zeigen. Alles, was die Menschen-
natnr an Freud und Leid, an reinen,
überirdischen Regungen und Entzückungen
je erfahren kann, der Heiland hat es em-
pfunden, ohne daß seine Freuden oder
Leiden die majestätische Ruhe und die un-
beschreibliche Größe des Gottmenschen
hätten stören können. Wenn nun ein
Verschmelzen verschiedenartiger, ja schein-
bar widersprechender Züge zum erhabenen
Gesichtsausdrnck nothwendig gehört, wie
sehr ist dann eine solche Verschmelzung
erforderlich, um das Antlitz des Gott-
menscben und vollends eines Gottmenschen
am Kreuze zu bilden! So sehen wir
hier in herrlichen Gestalten die Gesinnungen
freithätiger Liebe und demüthigen Gehor-
sams, die tiefste Verlassenheit und das
höchste Gottvertranen, anscheinende Nieder-
lage und Siegesbewnßtsein, Todesschatten
und Himmelöklarheit in einanderspielen.
„Gerechtigkeit und Barmherzigkeit umarmen
sich," hat der Prophet von dem Geheimnisse
des Kreuzes vorhergesagt und ans mehr als
einem Antlitze des Gekreuzigten leuchtet uns
der Retter und der Richter zugleich entgegen ! |

Heben sich so unsere Kruzisipbilder in
Bezug ans individuelle Auffassung und ans
die von dem Darsteller ihnen eingeprägten
Charakterzüge deutlich genug von einander
ab, so lassen sie sich dagegen nach klei-
neren, oft so vielsagenden Eigenthümlich-
keiten nicht klassifiziren. Man hat es be-
kanntlich dahin gebracht, nach gewissen
unscheinbaren Merkmalen die Herkunft
eines namenlosen Gemäldes und die Be-
deutung, welche ihm znkommt, viel sicherer
zu bestimmen, als dieses auf Grund
äußerer Zeugnisse möglich wäre. Man
sagt nur: dieses Ohrläppchen weist es dem
Sandro Botticelli zu; diese Haltung des
kleinen Fingers ist ausschließlich Guido
Reni eigen; dieses Haarlöckchen über dem
Ohre kann von keinem andern als von
Tizian sein n. s. w. Ich ziehe nun jede
Möglichkeit in Abrede, an der Hand solcher
und ähnlicher Kennzeichen unsere schwä-
bischen Krnzifixbilder zu einander ins Ver-
hältnis; setzen zu können. Zwar unter-
scheiden sie sich in diesem und jenem, wen
wird das wundern? So sind die von
beit Dornen herrührenden Blntspnren an
Stirne, Hals und Brust, soviel man ans
den Ueberresten der Bemalung (3. B. an
dem Blaubenren-Stnttgarter und an dem
Haller Bilde) ersehen kann, nicht jedesmal
gleich angebracht und vertheilt, eine Ver-
theilnng, die sonst nicht für bedeutungslos
angesehen wird. Das dorngekrönte Haupt
ist in Hall und Zwiefalten von einem
mächtigen goldenen Strahlenkranz, in
Tiesenbronn von einem einfachen Heiligen-
schein umrahmt, sonst überhaupt ohne
Nimbus. Das Kreuz, welches in einem
Fall an den Enden kleeblattförmig ge-
zeichnet fein mag und am Stuttgarter
Oelberg als Baum des Lebens anfgefaßt
und, wiewohl Steinsknlptnr, als natür-
licher Baumstamm behandelt ist, nimmt
in Frendenstadt die Form eines ägyptischen
Kreuzes (crux commissa) an, so daß
der.Querarm unmittelbar über dem Haupte
Christi den Titel trägt. Dieser selbst mit
den Anfangsbuchstaben J. N. R. J. oder
mit vollständiger (auch hebräischer) In-
schrift ist ans dein Tiefenbronner und dem
Rohrdorser Kreuz als gewundenes Spruch-
band gestaltet und fehlt in Maulbronn
am Kopfe des Balkenendes (der crux
immissa) ganz. Das sind nun ge>oiß
 
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