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Literatur.
Paul Charles und Simon Louis Du Ry,
eine Künstlerfamilie der Barockzeit. Von
Otto Gerland (Stuttgart, Paul Nest 1895).
Vom Ende des 17. dis zum Ende des
18. Jahrhunderts herrschte in Kassel ein be-
deutendes künstlerisches Leben, dessen Spuren
heute noch deutlich sichtbar sind und das ins-
besondere mit den 9tameit Dn Ny,
näherhin Paul, Charles und Simon
Louis Du Nh verknüpft ist. Jean Paul
Du Ny, gebvreit 1640 in Paris, verlies;
ans Anlaß der Hngenottenverfvlgnng 1665
Fraitkreich und begab sich in die Niederlande.
Landgraf Karl von Hessen bedurfte eben damals
ztir Ausführung seiner großen Baupläne eines
tüchtigen Architekten und tvandte sich, da die
französische Baukunst zu jener Zeit die maß-
gebende war, an Wilhelm v. Oranien mit der
Bitte, ihm aus der Zahl der in die Niederlande
geflohenen Franzosen einen solchen zu empfehlen.
Die Wahl fiel ans Paul Du Ny, und dieser
trat 1685 in Kassel die Stelle eines Hofban-
meisters an. Als solcher ballte er die Kasseler
Neustadt, Karlshafen unb mehrere ländliche
Kolonien (für die französischen Emigranten).
Seine eigentlich künstlerische Tüchtigkeit konnte
er am landgräflichen Kllnsthans unb am
Orangerieschloß zn Kassel zeigen, welch letzteres
— in heiterem Barockstil — „zu den malerischesten
Leistungen französischer Architektur in Deutsch-
land" gerechnet tvird (Gurlitt: Geschichte des
Barockstils :c., Stuttgart 1888). Er starb 1714.
Sein Sohn Charles Du Ry >var 22 Jahre alt,
als der Vater starb: doch tvnrde er alsbald
dessen Nachfolger int Amte. Es setzte den Ban
der Obernensladt fort mtd führte eine Anzahl
protestantischer Kirchen einfacher Bauart in Kassel
und auf dem Lande ans. Die Hauptgebäude,
mit denen sein Name in Berbindltng steht, sind
die frühere Kasseler Gemäldegallerie und das
Lustschloß Wilhelmsthal. An den zwei letzt-
genannten war sein Sohn Simon Louis, welcher
den Namen Du Ny berühmt machen sollte, mit-
thätig.
Genial angelegt erregte dieser früh schon das
Interesse des Statthalters, späteren Landgrafen
Wilhelms VIII. Mit dessen Hilfe ging Simon
Louis zuerst nach Stockholm, dann nach Paris
und trat hier in die Bauakademie des nament-
lich als Lehrer ausgezeichneten Jacques Francois
Blondel ein. Dieser >var ein Gegner des Rokoko
rmd vertrat einen feinen Klassici'smns. Die
Vorliebe für den klassischen Stil, welche durch
diese Schule in Du Ny geweckt wurde und dessen
solider, strenger Charakterrichtnng ohnehin ent-
sprach , fand durch eilten fast dreijährigen Auf-
enthalt in Italien Bestärkung. Am 12. Oktober
1753 schrieb er ans Italien: „Unglücklicherweise
herrscht hier wie in Frankreich und bei uns in
Deutschland der moderne Geschmack, und man
lauft Gefahr, für einen schwerfälligen Geist und
als erfüllt von Vornrtheilen für die Alten zn
geltcit, wenn man es wagt, die gegenwärtige
Dekorativnsweise herabznsetzen; aber dies reicht
nicht hin, um mich zu verhindern, den guten
Werken der Alten inehr zn folgen als den
Launen der Modernen." (S. 72 f.) Trotzdem
mußte auch er nach seiner Rückkehr in die
hessische Heimat gerannte Zeit in dem ihm so
wenig zusagenden Stile bauen. Sein Vater
starb 1757. Sinton Louis tvar der Nachfolger.
Er vollendete Schloß Wilhelmsthal. Unter seiner
Leitung und unter Beihilfe des trefflichen Malers
Tischbein und des ebenso tüchtigen Joh. Ang.
Nahl, ivard daraus, tvie die dem Buche beige-
gebenen Phototypien zur Gettüge darthnn, ein
tvahres Schmnckkästlein des Rokoko. Sein letztes
Werk in diesent Stil war das Hans des ge-
nannten Bildhauers Nahl. Voit jetzt an baute
er nur noch im klassicistischcn Stil. Unter
den Bauwerken dieser Zeit — es sind viele;
fast alle Prachtbauten Kassels stammen von
Simon Louis Du Ry — nenne ich noch die
katholische Kirche in Kassel, das einzige katho-
lische Gotteshaus, das er baute. Es ist ein
interessanter - Bau, äußerlich einem Wohnhanse
ähnlich, weil die Katholiken damals noch nicht
freie Religivnsübnng in Hessen hattett, inwendig
ein Prunkstück von einer Kapelle. Sie galt als
vorzügliche Leistung. Du Ry selbst nannte sie
sein bestes Werk, das einzige, an dem er nichts
zn verbessern tvnßte. — Seine berühmteste
Schöpfung ist übrigeits Schloß Weißenstein, ein
entschieden klassicistischer Ban mit großartigen
Anlagen, — zugleich sein letztes größeres Werk.
Simon Louis st a r b 1 799.
Der Verfasser vorliegender Moitographie ist
ein Abkömmling Du Rys mütterlicherseits.
Darum durchzieht ein ivarmer Hauch von Pietät,
die aber der historischen Objektivität des Werks
keinen Eintrag thnt, die Schrift. Diese ist eine
ans ausgedehntem Quellenstudium beruhende,
mit großer Akribie verfaßte Arbeit, ein schätzens-
werther Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte.
Das Buch ist vornehm ansgestattet und mit
vielen guten Jllnstralionen versehen. Schiller.
Annoncen.
-
>
Adolf Sehell,
©iTenburg, gaden.
■
Anstalt für kirehliehe
Glasmalerei.
m
Stilgerechte: und künstle-
rische Ausführung.
Grösste heistungsfähig-
keit. Gegründet 1360.
n
Dieser Nummer ist eine Beilage beige-
legt von dem Verlag von B e tt z i g e r & C o.
in E i n s i e d e l n, W a l d s h u t ult d K ö l n,
bekr. btschöfl. apprvb. Unterrichts- und Gebet-
bücher re.
luttgart, Buchdruckeret der Akt.-Ges. „Deutsches Botksblatt".
Literatur.
Paul Charles und Simon Louis Du Ry,
eine Künstlerfamilie der Barockzeit. Von
Otto Gerland (Stuttgart, Paul Nest 1895).
Vom Ende des 17. dis zum Ende des
18. Jahrhunderts herrschte in Kassel ein be-
deutendes künstlerisches Leben, dessen Spuren
heute noch deutlich sichtbar sind und das ins-
besondere mit den 9tameit Dn Ny,
näherhin Paul, Charles und Simon
Louis Du Nh verknüpft ist. Jean Paul
Du Ny, gebvreit 1640 in Paris, verlies;
ans Anlaß der Hngenottenverfvlgnng 1665
Fraitkreich und begab sich in die Niederlande.
Landgraf Karl von Hessen bedurfte eben damals
ztir Ausführung seiner großen Baupläne eines
tüchtigen Architekten und tvandte sich, da die
französische Baukunst zu jener Zeit die maß-
gebende war, an Wilhelm v. Oranien mit der
Bitte, ihm aus der Zahl der in die Niederlande
geflohenen Franzosen einen solchen zu empfehlen.
Die Wahl fiel ans Paul Du Ny, und dieser
trat 1685 in Kassel die Stelle eines Hofban-
meisters an. Als solcher ballte er die Kasseler
Neustadt, Karlshafen unb mehrere ländliche
Kolonien (für die französischen Emigranten).
Seine eigentlich künstlerische Tüchtigkeit konnte
er am landgräflichen Kllnsthans unb am
Orangerieschloß zn Kassel zeigen, welch letzteres
— in heiterem Barockstil — „zu den malerischesten
Leistungen französischer Architektur in Deutsch-
land" gerechnet tvird (Gurlitt: Geschichte des
Barockstils :c., Stuttgart 1888). Er starb 1714.
Sein Sohn Charles Du Ry >var 22 Jahre alt,
als der Vater starb: doch tvnrde er alsbald
dessen Nachfolger int Amte. Es setzte den Ban
der Obernensladt fort mtd führte eine Anzahl
protestantischer Kirchen einfacher Bauart in Kassel
und auf dem Lande ans. Die Hauptgebäude,
mit denen sein Name in Berbindltng steht, sind
die frühere Kasseler Gemäldegallerie und das
Lustschloß Wilhelmsthal. An den zwei letzt-
genannten war sein Sohn Simon Louis, welcher
den Namen Du Ny berühmt machen sollte, mit-
thätig.
Genial angelegt erregte dieser früh schon das
Interesse des Statthalters, späteren Landgrafen
Wilhelms VIII. Mit dessen Hilfe ging Simon
Louis zuerst nach Stockholm, dann nach Paris
und trat hier in die Bauakademie des nament-
lich als Lehrer ausgezeichneten Jacques Francois
Blondel ein. Dieser >var ein Gegner des Rokoko
rmd vertrat einen feinen Klassici'smns. Die
Vorliebe für den klassischen Stil, welche durch
diese Schule in Du Ny geweckt wurde und dessen
solider, strenger Charakterrichtnng ohnehin ent-
sprach , fand durch eilten fast dreijährigen Auf-
enthalt in Italien Bestärkung. Am 12. Oktober
1753 schrieb er ans Italien: „Unglücklicherweise
herrscht hier wie in Frankreich und bei uns in
Deutschland der moderne Geschmack, und man
lauft Gefahr, für einen schwerfälligen Geist und
als erfüllt von Vornrtheilen für die Alten zn
geltcit, wenn man es wagt, die gegenwärtige
Dekorativnsweise herabznsetzen; aber dies reicht
nicht hin, um mich zu verhindern, den guten
Werken der Alten inehr zn folgen als den
Launen der Modernen." (S. 72 f.) Trotzdem
mußte auch er nach seiner Rückkehr in die
hessische Heimat gerannte Zeit in dem ihm so
wenig zusagenden Stile bauen. Sein Vater
starb 1757. Sinton Louis tvar der Nachfolger.
Er vollendete Schloß Wilhelmsthal. Unter seiner
Leitung und unter Beihilfe des trefflichen Malers
Tischbein und des ebenso tüchtigen Joh. Ang.
Nahl, ivard daraus, tvie die dem Buche beige-
gebenen Phototypien zur Gettüge darthnn, ein
tvahres Schmnckkästlein des Rokoko. Sein letztes
Werk in diesent Stil war das Hans des ge-
nannten Bildhauers Nahl. Voit jetzt an baute
er nur noch im klassicistischcn Stil. Unter
den Bauwerken dieser Zeit — es sind viele;
fast alle Prachtbauten Kassels stammen von
Simon Louis Du Ry — nenne ich noch die
katholische Kirche in Kassel, das einzige katho-
lische Gotteshaus, das er baute. Es ist ein
interessanter - Bau, äußerlich einem Wohnhanse
ähnlich, weil die Katholiken damals noch nicht
freie Religivnsübnng in Hessen hattett, inwendig
ein Prunkstück von einer Kapelle. Sie galt als
vorzügliche Leistung. Du Ry selbst nannte sie
sein bestes Werk, das einzige, an dem er nichts
zn verbessern tvnßte. — Seine berühmteste
Schöpfung ist übrigeits Schloß Weißenstein, ein
entschieden klassicistischer Ban mit großartigen
Anlagen, — zugleich sein letztes größeres Werk.
Simon Louis st a r b 1 799.
Der Verfasser vorliegender Moitographie ist
ein Abkömmling Du Rys mütterlicherseits.
Darum durchzieht ein ivarmer Hauch von Pietät,
die aber der historischen Objektivität des Werks
keinen Eintrag thnt, die Schrift. Diese ist eine
ans ausgedehntem Quellenstudium beruhende,
mit großer Akribie verfaßte Arbeit, ein schätzens-
werther Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte.
Das Buch ist vornehm ansgestattet und mit
vielen guten Jllnstralionen versehen. Schiller.
Annoncen.
-
>
Adolf Sehell,
©iTenburg, gaden.
■
Anstalt für kirehliehe
Glasmalerei.
m
Stilgerechte: und künstle-
rische Ausführung.
Grösste heistungsfähig-
keit. Gegründet 1360.
n
Dieser Nummer ist eine Beilage beige-
legt von dem Verlag von B e tt z i g e r & C o.
in E i n s i e d e l n, W a l d s h u t ult d K ö l n,
bekr. btschöfl. apprvb. Unterrichts- und Gebet-
bücher re.
luttgart, Buchdruckeret der Akt.-Ges. „Deutsches Botksblatt".