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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 20.1902

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Nr. 2
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Probst, Joseph: Ueber die Bedeutung des Hans Multscher für die Entwicklung der Ulmer Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.15935#0023

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Bedeutung derselben sofort erkannt und
von 1893 au im „Archiv für christliche
Kunst" eine Reihe von Artikeln über die
Person und Werke des Hans Multscher
und andere Beziehungen zwischen Tyrol
und Oberschwaben veröffentlicht mit dem
erfreulichen Erfolg, daß der hervorragende
Kunsthistoriker Franz v. Neber in München
sich der Sache energisch annahm und durch
seine Schrift: „Hans Multscher von Ulm"
1898 den Vorstand der Ulmer Werkstätte
als den Altmeister der Ulmer Schule
vollwerthig in die Kunstgeschichte einführte.

Hiemit war Klarheit und eine feste
Grundlage errungen, wenn auch zunächst
noch die Frage, ob Multscher die Eigenschaft
des Malers und Plastikers in seiner Per-
son vereinigt habe, in der Schwebe blieb.
Aber auch darüber wurde durch die In-
schrift eines Gemäldecyklus (1437), der
in neuester Zeit über London nach Berlin
gelangte, Aufschluß gegeben, so daß jetzt
allseitig Befriedigung und Klarheit besteht
und ein Bild der kunstgeschichtlichen Ent-
wicklung der Ulmer Schule sich gewinnen
läßt.

Seit dein Jahre 1427 befand sich hier-
nach daselbst eine rasch ausblühende Werk-
stätte, deren Vorstand in seiner Person die
beiden Kunstzweige der Malerei und der
Plastik vereinigte, so daß junge Talente,
an denen es in jener Zeit und Gegend
nicht fehlte, sich angezogen fühlen mußten,
um so mehr, als bei der erwachenden
Vorliebe für die Flügelaltäre eine Be-
kanntschnft.mit den genannten beiden künst-
lerischen Techniken sich als sehr vortheil-
hast erweisen mußte. Vierzig Jahre lang
lebte der Vorstand dieser Werkstätte, die
ihresgleichen im südlichen Deutschland nicht
hatte. Die große Bedeutung derselben
für Ulm selbst geht schon aus beit Jah-
reszahlen unmittelbar hervor, welche den
Arbeiten der schon betonten Meister zu-
kommen; der Dreisitz im Münster von
Syrlin entstand 1468; das Chorgestühl
daselbst 1469—1474; der Tiefenbronner
Altar von Schüchlin 1469. Ebenso leicht
erklärt es sich, daß nunmehr in Memntingen,
Ravensburg rc. Werkstätten eröffnet wer-
den ; es sind Verzweigungen der äl-
teren in Ulm florirenden Anstalt, die
jedoch ihre relative Selbstständigkeit sich
bewahren.

Aber der Einfluß der Ulmer Werkstätte
beschränkt sich nicht auf diese in den
Mauern von Ulm selbst und in der Nach-
barschaft ansässigen Betriebe.

Merlo hat nachgewiesen, daß der be-
rühmte Meister Stephan Lochner, ans
Meersburg bei Konstanz gebürtig, in Kölner
Urkunden seit 1442 vorkommt und da-
selbst 1451 gestorben ist. Aus seiner
eigenen Gegend fehlt jede Nachricht über
denselben; man ließ es deshalb geschehen,
daß er gänzlich für Köln in Anspruch ge-
nommen wurde, ohne auf ihn einen nach-
drücklichen Werth, den er doch gewiß ver-
dient, zu legen. Begreiflich! So lang
Multscher nur ein Name war ohne Werke,
wußte man Lochner gar nicht unterzn-
bringen; er schwebte vollständig in der
Luft. Andrerseits wurde durch das ernste
Studium der Kölner Schule und beson-
ders des Dombildes erkannt, daß Meister
Stephan es gelang, ein neues Ferment
in die schon alternde Manier der dort
ansässigen Schule (Meister Wilhelm, Herr-
mann Wynrich) hineinzuwerfen und auch
die Naturwahrheit zur Geltung zu bringen.
Nachdem aber Professor v. Neber auch
an den Werken Multschers schon einen
ganz übereinstimmenden Zug nachgewiesen
hat, so füllt damit auch auf Lochners
Bildungsgang ein deutliches Licht. Er
konnte in seiner Jugend in die Wirkungs-
sphäre der Multscher'schen Werkstätte auf
irgend eine Weise eintreten und so, wohl
vorbereitet schon von der Heimath aus,
seine ruhmvolle Laufbahn am Rhein voll-
enden. *

An den Meister Stephan schmiegte sich,
wie Merlo ferner nachwies, auch Hans
von Memmingen an, der ein Jahr nach
dem Tode desselben seine Wohnung käuf-
lich erwarb. Er war jünger und starb
in Köln 1491. Daß dieser Künstler seine
Schule in Ulm gemacht habe, läßt sich bei
der Nähe seiner Vaterstadt und bei dem
Ansehen, das diese Werkstätte damals sich
schon erworben hatte, sicher nicht in Ab-
rede stellen. Werke sind von ihm zwar
nicht bekannt, könnten sich aber leichtlich
unter der größeren Anzahl von Gemälden
befinden, die der Schule des Meisters
Stephan zugeschrieben zu werden pflegen.

Es wäre geradezu ein psychologisches
Näthsel, wenn eine so gut geleitete und
 
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