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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 20.1902

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Nr. 8
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Detzel, Heinrich: Ein Gang durch restaurirte Kirchen, [22]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15935#0099

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88

Augen besäten Gewände, in der rechten
eine Kugel haltend, in welcher der Sünden-
fall dargestellt ist und wodurch die Stamm-
eltern in ihrer Jugend und im Falle einer-
seits und im Alter und der Erlösung an-
dererseits sich gegenüber gestellt sind. Links
von: Throne steht der Seraph mit den
sechs Flügeln, in den Händen eine Kugel
mit dem dreimal „Heilig". Hinter den
Vertretern des alten Bundes ragt der
Tempel Jehovas empor, während links
St. Peter als Symbol der christlichen
Kirche sichtbar ist. Was die Technik des
großen Tympanon-Bildes anlangt, so ist
es in Temperafarben ans die Wand ge-
malt, während der Untergrund fämmt-
licher Vergoldungen wie bei dieser, so
auch bei allen anderen Darstellungen in
Stuck aufgetragen ist.

Der Plafond des Mittelschiffes enthält,
wie schon gesagt, sieben Darstell-
ungen ans denl Leben des hl. Mar-
tinus, des Patrons der Kirche; er ist
zur Aufnahme dieser Bilder in drei große
Bildflächen und vier Medaillons abgetheilt.
Die erste große Konception am Eingänge
der Kirche stellt die bekannte Legende aus
dem Leben des Heiligen dar, wie er
mit einem Bettler seinen Mantel
theilt. Martinus mußte nach dem Willen
feines Vaters in den Kriegsdienst ein-
treten und wurde mit 15 Jahren in
die römische Reiterei eingereiht. Er
wurde nach seinem Lebensbeschreiber Sul-
pitins Severns bald Offizier und machte
im Jahre 351 die Feldzüge des Kaisers
Konstantins gegen den Usurpator Maxen-
tins mit. Noch als Soldat empfing er,
wahrscheinlich zu Amiens, wo er die
Winterquartiere bezogen hatte, die heilige
Taufe. Kurz vorher hatte er einem vor
Kälte zitternden, halbnackten Bettler, der
ihn an einem Thore der Stadt Amiens
um ein Almosen angefleht hatte, unbe-
kümmert um den Spott der Umstehenden,
die ihn verlachten, die Hälfte seines Man-
tels geschenkt. Diesen Vorgang haben
wir in unserem ersten großen Bilde ge-
malt. Es ist Winterzeit und frisch ge-
fallener Schnee bedeckt die Straßen, Häuser
und Bäume und deutlich haben Hufe von
Pferden in bem weichen Schnee auf der
Straße vor den Thoren der Stadt ihre
Spuren zurückgelassen. Reiter des römi-

schen Heeres nämlich nähern sich den be-
festigten Stadtthoren Amiens, während
sie ein halbnackter Bettler um ein Al-
mosen anfleht: die drei ersten Soldaten
ziehen an ihm vorüber, während der letzte,
unser Heiliger, kurz entschlossen mit seinem
Schwerte seinen Soldatenmantel zerschnei-
det und die eine Hälfte dem zitternden
Alten reicht. Daß die vorausreitendeil
Kameraden seine wohlthätige Handlung
verlachen, läßt unseren christlichen Helden
unberührt. Dieser Vorgang nun ist von
Meister Fuget ebenso naturwahr als ein-
fach und ivürdig geschildert. Der jugend-
liche römische Offizier mit bem goldenen
Heiligenschein bildet den Mittelpunkt des
Bildes und in herrlicher Perspektive ver-
folgen ivir seine Begleiter und die Stadt-
thore im Hintergründe.

In der dieser cbfen Handlung folgen-
den Nacht sah, wie die Biographie des
Heiligen weiter erzählt, der junge Krieger
im Traum den Heiland mit seinem dem
Bettler geschenkten Mantel bekleidet vor
sich stehen und hörte ihn die Worte sprechen:
„Martinus, obwohl noch Katechumene, hat
nnch mit diesem Mantel bekleidet." Diesen
Vorgang schildert das erste der zwei fol-
genden Medaillons: man sieht, wie sich
der jugendliche Mann, überrascht von der
Erscheinung, von seinem Lager halb er-
hebt und den Heiland mit erschrockenein
Blicke ansieht. Christus, bekleidet
Nl i t de nl halben M a n t e l, st e h t
wirklich wie eine Erfcheinun g
ans höherer Welt vor ihm.

Das zweite Medaillon zeigt llns den
Heiligen in der Einsamkeit. Als der
heilige Bischof Hilarius im Jahre 360 die
Erlaubnis erhielt, in seine Diözese zurück-
zukehren, folgte ihm der hl. Martinus
nach Poitiers nach. So wie die Einsam-
keit von Jugend an Martins Woilne bil-
dete, so errichtete er nun, von Hilarius
mit einem Stück Land beschenkt, zwei
Stunden von Poitiers das Kloster Lo-
guge (Locociagense), das erste Kloster
in Gallien und eines der ältesten im ganzen
Abendlande. Wir sehen den Heiligen mit
aufgehobenen Händen vor einem von ihm
in der Einsamkeit aufgepflanzten Kreuze
beten und damit den Ort bezeichnet, wo
das erste Kloster Galliens entstehen soll.
Mehr im Hintergrund sieht man bereits
 
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