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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 8
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Baur, Ludwig: Tempelmaße, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0089

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78

ltuö Dehio macht schon gegenüber dem ,
Einwand „der Ungleichheit, ja Inkon-
sequenz in der Wahl der entscheidenden
Punkte" geltend: „Die geforderte Kon-
sequenz gehört allein dem Gesetz. Eine
von Menschen ersonnene und überlieferte
Regel erweist gerade darin ihre Lebens-
fähigkeit, daß sie mit der Zeit elastischer
gernacht und nmgestaltet rvird."

Das trifft auch hier zu. Keine Spur
von Monotonie irr der Anwenduugs-
rveife des Hexagrarnms, sonderrr
die g r ö ss t e Mannigfaltigkeit. ltub
doch nirgends Willkür, sondern es lassen
sich deullich verschiedene ans bestimnrte
Grundtppeu znrückgehende Anwendnngs-
typen der Hexagrammkonstruktionen er-
kennen, die jeweils ganz verschiedene Ranm-
fornren zur Folge haben, in denen allen
doch wieder das gleiche Proportionsgesetz
rvaltet. Eben in dieser Tatsache liegt
zrveifellos ein gewichtiges Moment, das
nach unserer Ueberzengung gewisse historische
Zusammenhänge noch airfznhellen geeignet
sein dürste.

Es ist zweifellos den Tatsachen ent-
sprechend uub eine schiverwiegende Instanz
für die Nichtigkeit der angenonlnienen
Proportion, wenn P. Odilo Wolfs sein
Ergebnis dahin znsammenfassen konnte:
„Kein einziges dieser Bauwerke war, das
sich nicht nwllte öffnen lassen. Sämtlich
entsprechen sie dem gleichen Gesetz, das
seine Geltung zu behalten scheint bis ans
die Revolution der Gotik, die mit der
allen Ueberliefernug brach."

Literarische Zeugnisse für das Hexa-
gramin als Proportionsgesetz ließen sich
bis jetzt nicht Nachweisen, denn die ver-
hältnismäßig nur spärlich erhaltene Lite-
ratur schiveigt über diesen Punkt über-
haupt. — Die einzigen greifbaren histo-
rischen Grundlagen bilden nach Wolsf die
Absteckung und Abmessung bei den antiken
Sakralbauten, die ihren Nachklang im
Ritus der katholischen Kirchweihe lutb
Kirchhofweihe noch haben. Ans sie rekur-
riert denn auch P. Odilo Wolfs. Das
Hexagramm (Sechseck), das einen sechs-
teiligen Stern bildet, ist ein uraltes, bei
den ältesten Kulturvölkern vorkommendes
Symbol mit religiösem Charakter. —
Bon den Hebräern wissen wir, daß das

Hexagramm über der Pforte des Tempels
angebracht war als „Siegel Salomos"
uub als „Schild Davids". Desgleichen
war es das Monogramm des Bnndes-
gottes Jehovah. — Die römischen Augu-
ren verfuhren als Agrimensoren bei der
Absteckung eines für den Tempelbau be-
stimmten Grundrisses in einer Weise, die
in bem Ritus der Kirchweihe bei Bildung
des sog. Andreaskreuzes ihre Nachwirkung
bat. Sie zogen zunächst den Cardo,
d. h. die Meßlinie von Nord nach Süd.
Dann rechtwinklig dazu die Ost-Westlinie,
den Deknmanns. Der Krenznngspnnkt
wurde durch einen Pflock in der Erde be-
zeichnet. Ec hieß Terminus medius
oder Tetrans. Damit waren die beiden
Hanptlinien für das Tempelqnadrat ge-
wonnen. Am Krenznngspnnkt wurde ein
Tan (B) Kreuz ausgestellt und mittels
vier anderer Kreuze wurde Anfang und
Ende des Cardo und Deknmanns bestimmt
(genau wie die fünf Kreuze bei der Kirch-
hosweihe). Um den Mittelpunkt wurde
nur der weiteste Kreis gezogen. In die
Punkte, welche die Schnittpunkte des
Kreises mit Cardo und Deknmanns bil-
deten, fetzte er daun den Zirkel (Pflock)
ein und gewann niittels des Halbmessers
des Umkreises die vier Punkte, welche das
Andreaskreuz ergaben, d. h. zugleich die
Basis für die zwei ineinandergeschobenen
gleichseitigen Dreiecke, die das Hexagramm
bilden. Dann vollendete er das Hexa-
gramm tlnd erhielt damit die zwei inein-
ander liegenden gleichseitigen Dreiecke, und
bestimmte dann ans ihnen die Maßver-
hältnisse für Grundriß mtb Allfriß des
Tempels nach den Proportionsmaßen, die
sich alls der wiederholten Anwendung des
Hexagramms ergaben. Darüber muß das
Nähere bei Wolfs, Tempelnraße, selbst
nachgelesen werden.

Die Untersuchungen des ?. Odilo Wolfs
über die Tempelmaße mtb ihre Ergebnisse
sind so bedeutend, daß sie in Zukunft in
der Geschichte der Kunst und Kunstästhetik
ihre Berücksichtigung werden finden nrüssen.
Man rvird sich in Zukunft nicht mehr
darauf beschränken dürfen, den Charakter
der kirchlichen Architektur nur nach der äußer-
lichen Formen spräche zil bestimmen, son-
dern rvird auch den Proportionsverhält-
nissen, den „Tempelmaßen" eine erhöhte
 
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