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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 42.1927

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1. Heft
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Rohr, Ignaz: Der künstlerische Charakter des Heiligkreuzmünsters zu Gmünd: Festrede beim sechshundertjährigen Münsterjubiläum
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https://doi.org/10.11588/diglit.15945#0012

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Reichtums, so sind sie doch so wertvoll, daß die Neuzeit mit Freuden bei ihnen
in die Schule ging. „Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, um-
stehen sie stille den Herrscher der Welt," der im Tabernakel thront.

Freilich erfüllen sie zugleich eine wehmütige Nebenmission. Sie lasten
einigermaßen den Mangel der Türme vergessen. Man hat das Münster
schon mit einer Witwe verglichen. Will man ihm gerecht werden, so muß man
es gleichstellen einer Witwe, die nicht einer Größe nachtrauert, an die nur nock
ihr Name erinnert, sondern einer solchen, die einen Eigenwert und eine per-
sönliche Würde besitzt, daß niemand sich ihrem Eindruck entziehen kann. Und
wenn ihre Schwestern mit stolzen, schlanken Türmen das 8ursum corcla
predigen und das Symbol der Gottesherrschaft über die Menschen sind, so be-
tont das Gmünder Münster, daß Gott unter den Menschen Wohnung genom-
men hat und in gewissem Sinne ihr Gemeindegenosse geworden istH.

Schlicht und anspruchslos präsentiert sich inmitten all dieser Herrlichkeit
eine einfache Gipsbüste, und doch gehen wir nicht an ihr vorüber, ohne ihr den
Ausdruck dankbarer Verehrung zu widmen. Sie hält die' Züge des Hauptes
fest, dem die Idee zu all der Herrlichkeit des Münsters entsprang. Es ist die
Parlerbüfte. Parler de Colonia, Parier de Gamundia, Parier Teuto-
nicus— Parler von Köln, Parler von Gmünd, Parler aus Deutschland heißt
er in den Urkunden. Das will heißen: Geboren ist er mit sonnigen Rhein, an
der Goldader deS Verkehrs, zu Köln, im deutschen Rom. Zur Heimat aber
wurde ihm und seinen Söhnen Gmünd an der entlegenen, unscheinbaren
9iems. Hier und von hier aus schuf er Werke, deren Ruhm ihn weit über die
Grenzen der deutschen Heimat hinausführte und ihn in dieselbe Linie rückt
mit Erwin von Steinbach, Gerhard von Köln, Ulrich von Ensingen. Und das
besagt des weiteren: Gmünd besaß eine Bürgerschaft, die dem kühnen Geistes-
flug eines Großen im Reiche der Kunst zu folgen vermochte, und die Bürger-
schaft einen Opfermut, der sich nicht erschöpfte, ehe sein herrliches Werk zum
ehrenvollen Abschluß gelangt war. Ein eigentümliches Symbol hat sich diese
Bürgertüchtigkeit geschaffen in der Ritterrüstung über der Schatzkammertür:
Sie stammt nicht von irgend einem der benachbarten Adelsgeschlechter, son-
dern Bürgermeister Rauchbein hat sie nach der Überlieferung getragen. Das
Bürgertum ist in einen erfolgreichen Wettkampf mit dem Adel eingetreten
und fein eigener Schutzvogt geworden.

Als Gmünd i. I. 1326 feinen Münsterbau begann, da war die Zahl
derer nicht mehr groß, die die alte staufische Kaiserherrlichkeit gesehen hatten.
Sie war längst eingesargt. Aber die Staufer hatten es verstanden, dem deut-
schen Volke so viel an gediegener Bildung, Entschlußfähigkeit und Wagemut
einzupflanzen, daß der Schwerpunkt der Geschichte vom Fürstentum zum
Bürgertum hinabgleiteu konnte. Die Städte sind eine Macht geworden, schlie-
ßen Bündnisse und führen Krieg.

Wie oft haben wir seit 1871 die Kyffhäusersage von dem in unterirdischer
Kammer schlummernden Barbarossa wiederholt. Wie begeistert sind wir Ge

’) Gedanke einer Studentin.

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