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Amira, Karl von
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.1171#0094
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255

Richter gewendet, den linken Zeigefinger mit dem sog. ,Befehlsgestus' auf, der seine
Erklärung aus dem S. 214 Vorgetragenen empfängt; der Kläger bittet den Richter um
die Erlaubnis zum Angreifen des Tieres, wie dies das Landr. im vorausgehenden § verlangt.
Die Illustration schildert also zwei ungleichzeitige Vorgänge als gleichzeitig (worüber oben
S. 169, auch 176). Das Angreifen selbst heißt im zitierten cap. anevangen oder sich under-
tvinden. Damit ist ausgesprochen, daß das ,Anfassen' oder der anevang eine Besitznahme
symbolisiert, was einen guten Grund hat, denn nach ältestem Recht und selbst noch nach
einzelnen jüngeren durfte unter gewissen Bedingungen der Kläger die angefaßte Sache mit
fortnehmen. Fehlt es an diesen Bedingungen, so muß er die Besitznahme wenigstens darstellen.
Noch in einigen anderen Fällen, die sich zu einer Gruppe zusammenschließen, befindet
sich hinsichtlich der symbolischen Besitznahme die Illustration mit dem nachweislichen
Rechtsbrauch in Übereinstimmung. Beim ersten Satz von Landr. I 70 § 1 sieht man in
D 21 a Nr. 51) die gerichtliche Einweisung des Klägers in ein Haus. Während des Richters
Bote den Kläger zum Hause hinschiebt (vgl. oben S. 253), ergreift dieser mit der rechten
Hand die offene Tür.2) Bei der zweiten Hälfte desselben § schildern D 21 a Nr. 6 und
0 37 a Nr. 3 (Gegensinn) das ,Entreden' der Einweisung, und diesmal zeigen beide Hss.
den angeblich Eingewiesenen, wie er mit der rechten Hand die offene Tür ergreift, während
ihn der Entredende mit dem Scheltegestus (oben S. 250) am linken Arm hält. Mit der
erstgenannten Szene in D nächst verwandt ist die, welche die Milichsche Hs. zu Görlitz
v. 1387 fol. 106 a zum nämlichen Text bringt. Hier schiebt der Richter selbst mit der
linken Hand den Kläger zu dem Hause hin, auf das er mit dem rechten Zeigefinger
deutet; der Kläger, mit der Rechten einen riesigen Schlüssel schulternd, ergreift mit der
Linken den Türklopfer. Auf einem ähnlichen Bild, das die Liegnitzer Hs. v. 1386 dem
Weichbildtest c. XX voranstellt, ergreift der Eingewiesene den Ring an der Tür.3)
Die Besitzverschaffung an einem Haus per ostium war uralter und weit verbreiteter Rechts-
brauch, Besitzeinweisung, wobei der Einweiser den Eingewiesenen zum ,Angreifen' des
Türrings auffordert, insonderheit Meißensehen Rechts.4) Ebenso alt und kaum weniger
verbreitet war eine symbolische Besitznahme durch Anfassen der Türangel,5) und dieser
Ritus scheint bei Ssp. II 21 § 3 in H 7 a Nr. 3 (Taf. VII 3), wiewohl kaum kennbar, ver-
bildlicht: der Eigentümer eines Grundstücks, dem dieses nach dem Tode der Nutznießerin
ledig wird, unterwindet sich des darauf stehenden Hauses, indem er mit der rechten Hand
an die obere Türangel greift.6)

*) Die Kopie aus W bei G-rupen Teut. Alterthümer Taf. Dazu Grupen a. a. 0. 9 f., J. C. Dreyer
bei Spangenberg Beiträge z. K. d. teut, Bechtsalterth. 41.

2) In O 37 a Nr. 2 (Gegensinn) geht der Bote voran, mit der Rechten auf die Haustür zeigend und
mit der Linken den Kläger führend. Dem gleichen Schema folgen die Petropaulin. Hs. zu Lieghitz v.
1386 I fol. 119 a und die Steinbecksche Hs. zu Berlin K. B. Ms. germ. 2° 631 fol. 101- S. auch die
nächste Note.

8) Auf den in der vorigen Note angeführten Zeichnungen derselben Hs. und des Steinbeckschen
Cod. hat der Einweiser den Türring ergriffen, wohl um ihn dem Eingewiesenen in die Hand zu geben.

4) J.Grimm Bechtsalterth* I 240-242, 277. Freiberger Stadtr. I 36.

ö) J. Grimm a.' a. O.

6) Weber Teut. Denkmäler Sp. 13. J. Grimm a. a. 0. 282. Homeyer Anm. zu Ssp. II 21 § 3.
In D 27 a Nr. 3 und 0 46 b Nr. 1 ist die symbolische Handlung aufgegeben und die Gestikulation
umgearbeitet.

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