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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 15.1914

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Nr. 8
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Kohlrausch, Robert: Galera
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https://doi.org/10.11588/diglit.32140#0185
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171

Galera.

Von Robert Kohlrausch. (Nachdruck verboten.)

uinenstädte gibt es in Deutschland nicht. Wir haben Ruinen von Burgen, Kirchen,
Klöstern, prächtig, malerisch und schön, aber eine ganze Stadt in Ruinen suchen wir
vergebens. Dergleichen verträgt sich nicht mit unseren wohlgeregelten, sest vorge-
schriebenen Zuständen. Äber den Alpenwall mutz man hinübergehen, um ganze
Ruinenstädte mit Augen zu schauen. In Italien haben Altertum und Mittelalter
und Neuzeit nacheinander an der Schöpsung dieser grauen, mächtigen Totendenkmäler
für ganze Geschlechter gearbeitet, und Mutter Natur selber schmückt sie jahraus,
jahrein mit immer dichterem Grün, mit immer üppigeren Blüten.

Ein paar von den mittelalterlichen Ruinenstädten liegen in der Campagna von Rom, südlich und
nördlich von der Hauptstadt Italiens, in der die Beherrscherin der alten Welt heute selbst noch in Ruinen
weiterlebt. Anter jenen Städten ist Ninfa die bekannteste, berühmteste. Der poesievolle Name, die
herrliche Lage zwischen Berg und Ebene, rasches Wasser, das die Ruinen durchflietzt, und wundervoll den
Stein umwucherndes Grün leihen dem gestorbenen Ort einen eigenen Zauber. Aber es gibt nordwestlich
von Rom eine zweite Nuinenstadt, nur selten und von wenigen aufgesucht, fast ebenso malerisch, ebenso
poesievoll und reicher an bedeutenden Erinnerungen. Das ist Salera, das Careia oder Careiae der alten
Zeit. Im tiefen Schweigen einer menschenleeren, grünen Ebene liegt es als ein breiter, grauer, grün um-
wachsener Grabhügel, aus dem ein vereinzelter Kirchturm gleich einem gewaltigen Totenstein als Weg-
weiser emporwächst. Iener nördliche Teil der Campagna von Rom, in der dies grotze, stille Grab einer
ganzen Stadt unter der heißen Südsonne schläft, gehört schon zum alten Etrurien und hat einen ganz
besonderen, geheimnisvollen Charakter. Vulkanische Revolutionen haben in vorgeschichtlicher Zeit hier
mit unausdenkbarer Wut getobt. Nach allen Seiten hin haben sich Lavaströme meilenweit und meilenbreit
aus unzähligen Kratern ergossen und haben alles slache Land ringsumher mit flüssigem Feuer über-
schwemmt. Erstarrt, ist aus der Lava Tusfstein geworden, und nun überzieht er die ganze Fläche, zu der
die stumm und kalt gewordenen Feuerberge niederschauen. In den weichen Tuff aber haben die Wasser-
läufe sich im Laufe der Iahrtausende tiefer und immer tiefer eingegraben und haben in einer scheinbar
ungegliederten Ebene tiefe Risse, schrofse Schluchten gebildet, vor denen der Wanderer plötzlich erschrocken
dasteht. Nur an wenigen Stellen gibt es in dieser menschenarmen Weite Brücken von einem Afer zum
anderen hinüber, und so werden die wenigen Stratzen gezwungen, ihr Ziel mit weiten, die Schluchten
vermeidenden Amwegen zu erreichen. Diese plötzlich unerwartet sich öffnenden, manchmal tückisch unter
wucherndem Grün verborgenen Abgründe verleihen der Gegend von Südetrurien ihren Reiz, ihre Ge-
fahren, ihren Schutz. Auch ihren Schutz. Das haben die Bewohner in sernen Zeiten schon erkannt. Wo
zwei solche Wasserläuse, zwei solche Schluchten zusammentreffen, oder wo sich eine von ihnen in starker
Wendung biegt, so datz ein wasserumslossenes, felsbewehrtes Landstück entsteht, überall da finden sich die
Stellen etruskischer Ansiedelungen. Auch Galera liegt an solch einem Ort, vom Arroneflutz umflossen
und mit steilen Usern beschützt. Etrusker haben die Stadt vor ein paar tausend Iahren geschasfen; eine
der etruskischen Nekropolen, die stets in den Felsenboden außerhalb der Stadt eingegraben wurden, gibt
heute mit ihren leeren Gräbern Zeugnis dafür. Als Erben etruskischen Besitzes, etruskischer Kunst, etruski-
scher Kultur haben sich dann die Römer auch in Careia niedergelassen und eine Station ad Lareias geschaffen
oder doch erneuert. Inschriften, Mauerwerk, Säulen und Kapitäle, die hier aus dem Boden wieder
hervorgekommen sind, erzählen — weithin zerstreut — von den Tagen römischer Herrschast in Galera.

Ganz verlassen ist, auch in den Tagen des frühen Mittelalters, der Ort wohl niemals gewesen. Aber
Papst Hadrian I. hielt es doch im Iahre 780 sür geboten, eine Kolonie dorthin zu führen, um das verödete
Vejenterland neu zu bebauen. Die junge Kolonie blühte krästig auf und breitete sich aus über ein statt-
liches Gebiet, machte sich aber vom päpstlichen Einflusse srei. Nach und nach wurde Galera zum grimmigsten
Gegner des Papstes, zum treuesten Anhänger des deutschen Kaisers. Grafen von Galera wurden die
Herren des durch Natur und Kunst befestigten Ortes, über dem sicher schon damals eine seste Burg empor-
 
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