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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 23/24
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Kirchner, Joachim: Ein Künstlerschicksal im Weltkriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0416
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EIN KUNSTLERSCHICKSÄL IM WELTKRIEGE.1)

Von JOACHIM KIRCHNER.

Künßlerfdiickfale im Weltkriege — wieviel
echtes, wahres Heldentum, wieviel ftarkes ver-
innerlichtes Erleben, aber auch wieviel ftilles
und tapferes Entfagen und wie viele zertrüm-
merte Hoffnungen umfpannen diefe Worte! Die
Mehrzahl der jungen Künftlerfchaft war im
Auguft 1914 zur Fahne geeilt — natürlich. Dann
hat ße im Schüßengraben ihren Mann geftanden
und den Beweis geliefert, daß fie ebenfogut
wie Feder und Pinsel das Kriegshandwerk zu
meiftern verftand. Mancher von den Braven
blieb da draußen und fand in Feindesland fein
frühes Giab. Soldatenlos! Deutfehes Vater-
land, wie opfermutig haft du dein edelftes Blut,
das Berte deiner Volkskraft hingegeben! — —
Von denen, die den Tag des Friedens erleben
follten, hatten einige vor Ausbruch des Welt-
Krieges in der Fremde geweilt; fie follten den Weg
nach Deutfchland zurückfinden — allerdings unter
Abenteuern und Entbehrungen. Zu dieferi glück-
lich Heimgekehrten gehört Paul Madfack, ein
deutfeher Maler. Sein künftlerifcher Impuls dul-
dete es nicht länger bei vergilbten Akten. Er
entfehloß [ich, dem juriftifchen Berufe Lebewohl
zu fagen, und das Studium der lebendigen
Natur und ihre bildmäßige Wiedergabe zu fei-
nem Lebenszwecke zu machen. In einem idy 1-
Iifchen Fifcherdorfe der Bretagne, wo er, um-
geben von den ftarken Eindrücken eines farben-
reichen Landfchaftsbildes, feinen Beruf ausübte,
wurde er vom Weltkriege überrafcht. Schon
ftanden die deutfehen Truppen an der Marne —
gleichwohl gelang es ihm, auf einer abenteuer-
lichen Flucht die fpanifche Grenze zu erreichen.
Ein andalufifches Städtchen, reidi an male-
rifchen Motiven und umgeben von den fatten
Farben der herbftlichen Natur, nahm ihn gaftlich
auf. Hier empfing er die wertvollften künftle-
rifchen Anregungen — allein der Drang nach
der deutfehen Heimat wurde übermächtig. Zu
Schiff wollte er die italienifche Küfte erreichen.
Der Verfuch fchlug fehl, das Schiff wurde von
einem franzößfehen Torpedojäger entdeckt und
in den Hafen von Toulon gefchleppt. Nun
folgen die troftlofen Tage der Kriegsgefangen-
fchaft in Toulon, Marfeille und Uzes, Tage
grauenvollften Leidens, in denen die unglück-
lichen Gefangenen bei völliger Äbgefchloffenheit
unter den willkürlichen Schikanen und ftändigen
Nadelftichen ihrer franzößfehen Peiniger der
langfamen Verblödung entgegengingen. Endlich
nach anderthalbjähriger Kriegsgefangenfchaft
kam der Tag der Freiheit: Madfack wurde
nach der Schweiz ausgetaufeht.

1 Vae Victis. Meine Erlebniffe in Spanien und
Frankreich während des Weltkrieges. Von Paul Mad-
|ack. Mit 14 Zeichnungen und 4 Abbildungen. Verlag
von Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1918. Preis geb.
M. 6.—.

Dies ßnd in kurzen Umriffen die äußeren Be-
gebenheiten des Madfackfchen Kriegsfchickfals.
Sie ßnd eindrucksvoll und fpannend vorgetragen,
fo daß im äußeren Effekt dies Buch hinter kei-
nen der vielgelefenen Kriegsbücher zurückfteht.
Wodurch es fich aber vor diefen vorteilhaft
auszeichnet und womit es gerade in den Krei-
fen der Kunftliebhaber Beachtung verdient, liegt
in der künftlerifchen Note des Dargeftellten, in
der Durchgeiftigung des Erlebten, in der Art,
mit der Künftleraugen die wechfeinden Ein-
drücke der Natur, der Sitten und Kultur fremder
Völker fehen, und mit der ein Künftlertempera-
ment die mannigfachen feelifchen Erfchütte-
rungen einer Flucht und Gefangenfchaft zu über-
winden und feelifch auszubalanzieren weiß. Des-
halb wäre es falfch, Madfacks Buch als Kriegs-
buch anzufprechen, richtiger dürfte es als ein
Künftlerbuch aus den Tagen des Weltkrieges
charakterifiert werden. Der abenteuerliche Nerv
diefes Künftlerbuches erhöht den Reiz der Lek-
türe, etwa wie Gauguins „Noa-Noa“ durch das
Exotifche feines Inhalts für den Lefer ein ver-
ftärktes Intereffe gewinnt.

Auch rein äußerlich präfentiert ßch das Werk
als ein Künftlerbuch. Es iß mit mehreren guten
Reproduktionen Madfackfcher Bilder aus der
Zeit feines Aufenthaltes in Spanien ausgeftattet,
Bilder, in denen die Abficht des Künftlers, für
die Befonderheit der füdlichen Landfdhaft und
die malerifche Eigenart fpanifcher Städte eine
perfönliche Husdrucksform zu pnden, erreicht
zu fein fdieint. Eine Kollektivausftellung diefer
Bilder dürfte von Intereffe fein1. Neben dieTen
Bildreproduktionen hat eine Fülle illußrierter
Skizzen in dem Buche Aufnahme gefunden. Mit
lebhafter Ausdrucksfähigkeit iß in ihnen ftets
das Wefentliche der Situation herausgeholt. In
den Zeichnungen aus der franzößfehen Gefangen-
fchaft ift das Effentielle der Stimmung faß bis
zur Karikatur gefteigert. Ein unheimlicher Hu-
mor durchzieht diefe Bildchen, die mit wenigen
Strichen das ganze Elend des Gefangenenlebens,
diefes Lebens unter den traurigften und primi-
tivften Formen, elementar vor Augen führen.
Neben ihrem künftlerifchen Wert dürften diefe
Zeichnungen ein kulturhiftorifches Intereffe be-
anfpruchen; ße ftellen einen ungefchminkten,
durch keine befchönigenden Phrafen verzerrten,
lebenswahren Beitrag zu dem noch ungefchriebe-
nen Werke über das Leben in franzößfeher Ge-
fangenfehaß im Weltkriege dar. Der Kulturhißo-
riker, der fich einftmals diefer Aufgabe unter-
ziehen wird, dürfte das Madfackfche Buch mit
Nußen heranziehen und die Zeichnungen als un-
zweideutige Zeugen für das Gefangenenleben
vorteilhaft verwenden.

1 Sie findet zurzeit bei Frik Gurlitt-Berlin ßatt. Anm.
der Schriftieitung.

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