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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 18.1906

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Widmer, Karl: Zur Kultur des Schaufensters
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https://doi.org/10.11588/diglit.8554#0127
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Prof. Karl Widmer—Karlsruhe:

HEINRICH VOGELER. Kapitale der Wandvertäfelung in der Güldenkammer des Bremer Kathauses.

ZUR KULTUR DES SCHAUFENSTERS.

Co lange die Zunft der Konkurrenz enge Schranken
^ setzte, hatte der Kaufmann keine besonderen
Künste der Warenanpreisung nötig, um sich im
Kampf ums Dasein behaupten zu können. Ein paar
Proben, in einem Parterrefenster ausgelegt, wie wir
es heute etwa noch in dem Kramladen eines welt-
fremden Landstädtchens antreffen können, so mögen
wir uns die bescheidenen Anfänge unserer heutigen
Schaufenster - Ausrüstungen vorstellen. Erst der
Riesenkampf der Konkurrenz in den modernen Groß-
städten hat jenes Sichüberbieten im Raffinement der
Erfolgsmittel entfesselt, von denen die stumme Ver-
führungskunst des Schaufensters das wirksamste und
unentbehrlichste geworden ist. Indem sich der Inhalt
des Ladens so immer mehr an die Strasse drängt,
wachsen die Schaufenster bis zu wahren Riesen-
fenstern an, in denen sich ganze Zimmer aufbauen
lassen. Und schliesslich trennt Innen und Aussen
nur noch eine Wand von Glas, durch die sich der
ganze Raum der Strasse präsentiert.

Eine andere Eigentümlichkeit unseres modernen
Lebens ist darauf wenigstens nicht ohne Einfluss
gewesen. Es ist der nächtliche Strassenverkehr in
den heutigen Städten. In früheren Zeiten war man
des Nachts nirgends geschützter als im verschlosse-
nen Haus. Die einsame und dunkle Gasse war der
Ort der nächtlichen Gefahren. Heute hat sich das Ver-
hältnis umgekehrt. Der Verbrecher arbeitet hinter
Mauern und Türen sicherer als auf der belebten
und beleuchteten Strasse. Darum bietet gerade das
Schaufenster einen gewissen Schutz gegen die Ein-
bruchsgefahr. Man lässt es auch die Nacht über offen
und beleuchtet womöglich das Innere des Ladens.

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So hat das Schaufenster seine besondere wirt-
schaftliche und soziale Rolle empfangen. Im gleichen
Mag ist damit auch seine ästhetische Bedeutung
gewachsen. Es bestimmt als architektonisches Ele-
ment die künstlerische Entwicklung des Hauses. Die
Mauer löst sich in steinerne Pfeiler und eiserne
Träger auf, zwischen denen mächtige Glasscheiben
ausgespannt sind. Um die günstige Geschäftslage
inmitten des städtischen Hauptverkehrs auszunützen,
lässt man die Verkaufsräume mit ihren Auslagen
durch alle Stockwerke hindurchwachsen. So ver-
wandelt sich schliesslich die ganze Fassade in ein
einziges eisen- oder steinumrahmtes Glasfenster.
Eine neue Stilform des modernen Stadthauses hat
sich so aus der Entwicklung des Schaufensters heraus-
gebildet, für die — auch im künstlerischen Sinne —
das moderne Warenhaus bahnbrechend geworden ist.

Freilich haben bei diesem Anwachsen der Schau-
fenster die praktischen und die ästhetischen Vorteile
nicht immer mit einander Schritt halten. Man braucht
dabei nicht einmal an die Sünden des Jugend- und
Sezessionsstils zu denken, der gerade in der Linien-
Ornamentik gewisser Warenhaus - Fassaden seine
tollsten Orgien gefeiert hat. Das sind Auswüchse,
die nicht zur Sache gehören. Aber auch im Wesen
der Sache selbst liegen künstlerische Schwierig-
keiten, um die auch ein ernsthafter Architekt nicht
leicht herumkommt. Durch die grossen Schau-
fenster ist etwas Unruhiges in das moderne Strassen-
bild gekommen. Die Fassaden sehen in ihrem
unteren Teil durchlöchert aus. Die Auflösung der
Mauer ist so zu einem notwendigen Übel geworden:
was kann der Architekt daran viel ändern? Um so
mehr hängt aber vom Besitzer des Ladens selbst
ab. Seit die Auslagen einen solchen Umfang an-
 
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