Vorbemerkung
Zum zweihundertjährigen Jubiläum der Französischen Revolution im
Jahr 1989 wurde als zentrales Signet der französischen Gedenkver-
anstaltungen eine Architekturvision gewählt: der Newton-Kenotaph
von Etienne Louis Boullee, entstanden fünf Jahre vor der Revolu-
tion. Als Ikone radikaler Imagination von Vollkommenheit, kosmi-
scher Universalität und allseitiger Symmetrie wurde der Kugelbau
wenige Jahre danach in die jakobinische Bildsprache für die Kulte
revolutionärer Volkssouveränität übernommen. Dieser Entwurf eines
Kugelbaus gilt als Begründer einer ganzen Tradition, die bis zu den
Architekturen von Weltausstellungen, Themenparks, Museen und Ki-
nos der letzten Jahrzehnte reicht.
Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2006 bot das Berliner Per-
gamonmuseum mit der Ausstellung Der Ball ist rund - Kreis, Kugel,
Kosmos eine historische Fundierung für den jüngsten Kult der Moder-
ne, das Fußballspiel - ein wahrhaft säkularer, globaler Kult, den die
Ausstellung zurückband an »zwei der ältesten und zentralen Symbole
der Menschheitskultur: Kreis und Kugel«.1 Mit Artefakten, die von
ägyptischen Sonnenscheiben, mittelalterlichen Glücksraddarstellun-
gen und Globen, vom Reichsapfel bis zum buddhistischen Kalachakra
reichten, wurde eine Konstante mythisch-religiösen Denkens quer
zu den Kulturen und Epochen nachgezeichnet, die sich aus der Figur
von Kreis und Kugel als vollendete Gestalt speiste. Ob nun die Aus-
stellung ein Versuch war, den für ein Jahr omnipräsenten Slogan Der
Ball ist rund zu nobilitieren, oder im Gegenteil die museale Wissens-
kultur solch verwertungsferner Disziplinen wie der Vor- und Frühge-
schichte und der Archäologie anzubinden an jüngste Populärkultur,
sei dahingestellt. Jedenfalls bietet die Operation, den (Fuß-)Ba^ mit
der Kugel kurzzuschließen, nun, 18 Jahre nach dem Revolutionsjubi-
läum, einen willkommenen Anknüpfungspunkt für meine Geschichte
moderner Kugelphantasien im Feld der Architektur, denn immerhin
zeugt sie gleichsam als kulturdiskursives Symptom von der nach wie
vor geltenden Anschlussfähigkeit wie Reichweite dieses Topos.
Ein Bau kann in vielerlei Hinsicht zum Bild werden, also zu einem
Objekt des Betrachtens, ob als Architekturzeichnung, als Vedute oder
als gebaute Szenerie. Die Dimension der Bildlichkeit von Architektur
als Anblick, Repräsentation, Botschaft, ist ein wesentlicher Schlüssel
1 Der Ball ist rund - Kreis, Kugel, Kosmos, Staatliche Museen zu Berlin und
Humboldt-Universitätzu Berlin, 8. Juni - 27. August 2006, Pergamonmuseum Berlin.
Vgl. den gleichnamigen Katalog.
7
Zum zweihundertjährigen Jubiläum der Französischen Revolution im
Jahr 1989 wurde als zentrales Signet der französischen Gedenkver-
anstaltungen eine Architekturvision gewählt: der Newton-Kenotaph
von Etienne Louis Boullee, entstanden fünf Jahre vor der Revolu-
tion. Als Ikone radikaler Imagination von Vollkommenheit, kosmi-
scher Universalität und allseitiger Symmetrie wurde der Kugelbau
wenige Jahre danach in die jakobinische Bildsprache für die Kulte
revolutionärer Volkssouveränität übernommen. Dieser Entwurf eines
Kugelbaus gilt als Begründer einer ganzen Tradition, die bis zu den
Architekturen von Weltausstellungen, Themenparks, Museen und Ki-
nos der letzten Jahrzehnte reicht.
Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2006 bot das Berliner Per-
gamonmuseum mit der Ausstellung Der Ball ist rund - Kreis, Kugel,
Kosmos eine historische Fundierung für den jüngsten Kult der Moder-
ne, das Fußballspiel - ein wahrhaft säkularer, globaler Kult, den die
Ausstellung zurückband an »zwei der ältesten und zentralen Symbole
der Menschheitskultur: Kreis und Kugel«.1 Mit Artefakten, die von
ägyptischen Sonnenscheiben, mittelalterlichen Glücksraddarstellun-
gen und Globen, vom Reichsapfel bis zum buddhistischen Kalachakra
reichten, wurde eine Konstante mythisch-religiösen Denkens quer
zu den Kulturen und Epochen nachgezeichnet, die sich aus der Figur
von Kreis und Kugel als vollendete Gestalt speiste. Ob nun die Aus-
stellung ein Versuch war, den für ein Jahr omnipräsenten Slogan Der
Ball ist rund zu nobilitieren, oder im Gegenteil die museale Wissens-
kultur solch verwertungsferner Disziplinen wie der Vor- und Frühge-
schichte und der Archäologie anzubinden an jüngste Populärkultur,
sei dahingestellt. Jedenfalls bietet die Operation, den (Fuß-)Ba^ mit
der Kugel kurzzuschließen, nun, 18 Jahre nach dem Revolutionsjubi-
läum, einen willkommenen Anknüpfungspunkt für meine Geschichte
moderner Kugelphantasien im Feld der Architektur, denn immerhin
zeugt sie gleichsam als kulturdiskursives Symptom von der nach wie
vor geltenden Anschlussfähigkeit wie Reichweite dieses Topos.
Ein Bau kann in vielerlei Hinsicht zum Bild werden, also zu einem
Objekt des Betrachtens, ob als Architekturzeichnung, als Vedute oder
als gebaute Szenerie. Die Dimension der Bildlichkeit von Architektur
als Anblick, Repräsentation, Botschaft, ist ein wesentlicher Schlüssel
1 Der Ball ist rund - Kreis, Kugel, Kosmos, Staatliche Museen zu Berlin und
Humboldt-Universitätzu Berlin, 8. Juni - 27. August 2006, Pergamonmuseum Berlin.
Vgl. den gleichnamigen Katalog.
7