46 Der gefoppte
f^Ner Schnellzug stand zur Abfahrt in der Bahnhofhalle be-
’JF reit. Passagiere mit und ohne Gepäck rannten eilfertig
py hin und her, um noch ein passendes Plätzchen zu finden.
Schon schickte sich der Zugführer an, das letzte Zeichen zu geben
— da keuchten noch zwei junge Herren daher, welche mitsammen
einen offenbar ziemlich schweren Handkoffer trugen. „Rasch! rasch!"
mahnte der Zugführer und öffnete selbst die Thüre zu einem Coupö.
Die Herren stiegen ein, wobei sie offenbar nicht ohne Anstrengung
ihr Gepäck in den Wagen beförderten. Der Schaffner warf die
Waggonthüre zu, und dann setzte sich der Zug in Bewegung.
Die zwei Nachzügler hatten es trotz ihrer Verspätung nicht
schlecht getroffen; ein einziger Passagier befand sich außer ihnen im
Coupö — der Michelbauer, der mit ausgespreizten Beinen in der
einen Ecke saß und die höhere Fahrtaxe nach Kräften ausnützte.
Er hatte den Gruß der beiden Ankömmlinge uicf)t erwidert, sondern
nur ihre Unbeholfenheit beim Einbringen des Gepäcks mit einem
geringschätzenden Blick gekennzeichnet. Als aber die beiden Ankömm-
linge ihre Kraft vereinten, um den kleinen, scheinbar leichten Koffer
in das Gepäcknetz zu befördern, begleitete der biedere Landmann
diese Bemühung mit einem verächtlichen Lachen und ließ die halb-
laute Bemerkung hören: „Da siecht ma's, d' Stadtbuab'n — koa'
Salz und koa' Schmalz — pfui Deifi!"
Der Jüngere der damit Gemeinten machte Miene, den: unbe-
rufenen Kritiker zu erwidern; sein Freund zog ihn jedoch zu sich
iit die Ecke und flüsterte ihm einige Bemerkungen zu, die ein
längeres, halblautes Gespräch zur Folge hatten, um das sich der
Landwirth nicht kümmerte.
Plötzlich erhebt sich einer der Herren und bemerkt: „Schlechte
Luft da herinnen — was? Da ist gewiß die Ventilation geschlossen!
Prüfend sieht er gegen die Decke, an welcher der Handgriff zur
Nothbremse angebracht ist. „Das werden wir gleich haben", sagt er
und erfaßt den Griff mit voller Kraft. Er zieht nach rechts und
links — ohne Erfolg! Der Michelbauer betrachtet mit spöttischen
Blicken die vergebliche Bemühung und murmelt vor sich hin: „Wia
i' halt sag', nix is — gar nix!" Nun springt der andere Herr
ans und ruft: „Laß' mich machen — ich bring' die Geschichte schon
herunter!" Rasch langt er nach dem Griff und zerrt daran, daß
sein Arm zittert und das zu Kopf steigende Blut sein Gesicht dunkel-
roth färbt. Endlich läßt er los und sinkt, den Kopf schüttelnd,
resultatlos auf seinen Sitz zurück. — Nun kann der Michelbauer
M i ch c l d n n c r.
sich nicht mehr zurückhalten; wie ein Zirkusathlet schüttelt er zuerst
seine Arme, dann stellt er sich in Positur und erfaßt den Griff mit
seiner knochigen Hand. „Müaßt scho' g'spaßi' zuage'h'n, wenn ma'
dös net anßabraacht'!" meint er und reißt den Griff init einem
Ruck nach abwärts. „Leicht is's 'ganga!" — sagt er lachend. Im
nächsten Augenblick erhält er jedoch einen Stoß, der ihn auf seinen
> Sitz zurückwirft — der Zug steht still — mitten auf der Strecke!
Alle Conpöfenster öffneten sich, ein allgemeines Rusen und
Fragen ward laut, und eilig rannten die Schaffner von Abtheilung
zu Abtheilung, um nach dem Veranlasser der Fahrunterbrechnng
zu forschen. Der Zugführer erschien auch an dein betreffenden
Coupö, bemerkte sofort, daß hier die Nothleine gezogen worden
und fragte, wer sie gezogen habe. Die beiden Herren deuteten
ans den Bauer, der mit offenem Munde den Vorgang verfolgt
hatte. Michel mußte seinen Platz verlassen und bis zur uächsten
Station mit den: Gepäckwagei: vorlieb nehmen. Als er dort zur
weiteren Behandlung in die Diensträume abgeführt wurde, ballte
er die Faust gegen seine bisherigen Mitreisenden und schrie: ,,J'
bol Enk dawisch, hernach woaß i', was i' Enk abareiß! Runter-
'bracht hätt'r dös Glump do' net ohne m:', ös Fretta!"
f^Ner Schnellzug stand zur Abfahrt in der Bahnhofhalle be-
’JF reit. Passagiere mit und ohne Gepäck rannten eilfertig
py hin und her, um noch ein passendes Plätzchen zu finden.
Schon schickte sich der Zugführer an, das letzte Zeichen zu geben
— da keuchten noch zwei junge Herren daher, welche mitsammen
einen offenbar ziemlich schweren Handkoffer trugen. „Rasch! rasch!"
mahnte der Zugführer und öffnete selbst die Thüre zu einem Coupö.
Die Herren stiegen ein, wobei sie offenbar nicht ohne Anstrengung
ihr Gepäck in den Wagen beförderten. Der Schaffner warf die
Waggonthüre zu, und dann setzte sich der Zug in Bewegung.
Die zwei Nachzügler hatten es trotz ihrer Verspätung nicht
schlecht getroffen; ein einziger Passagier befand sich außer ihnen im
Coupö — der Michelbauer, der mit ausgespreizten Beinen in der
einen Ecke saß und die höhere Fahrtaxe nach Kräften ausnützte.
Er hatte den Gruß der beiden Ankömmlinge uicf)t erwidert, sondern
nur ihre Unbeholfenheit beim Einbringen des Gepäcks mit einem
geringschätzenden Blick gekennzeichnet. Als aber die beiden Ankömm-
linge ihre Kraft vereinten, um den kleinen, scheinbar leichten Koffer
in das Gepäcknetz zu befördern, begleitete der biedere Landmann
diese Bemühung mit einem verächtlichen Lachen und ließ die halb-
laute Bemerkung hören: „Da siecht ma's, d' Stadtbuab'n — koa'
Salz und koa' Schmalz — pfui Deifi!"
Der Jüngere der damit Gemeinten machte Miene, den: unbe-
rufenen Kritiker zu erwidern; sein Freund zog ihn jedoch zu sich
iit die Ecke und flüsterte ihm einige Bemerkungen zu, die ein
längeres, halblautes Gespräch zur Folge hatten, um das sich der
Landwirth nicht kümmerte.
Plötzlich erhebt sich einer der Herren und bemerkt: „Schlechte
Luft da herinnen — was? Da ist gewiß die Ventilation geschlossen!
Prüfend sieht er gegen die Decke, an welcher der Handgriff zur
Nothbremse angebracht ist. „Das werden wir gleich haben", sagt er
und erfaßt den Griff mit voller Kraft. Er zieht nach rechts und
links — ohne Erfolg! Der Michelbauer betrachtet mit spöttischen
Blicken die vergebliche Bemühung und murmelt vor sich hin: „Wia
i' halt sag', nix is — gar nix!" Nun springt der andere Herr
ans und ruft: „Laß' mich machen — ich bring' die Geschichte schon
herunter!" Rasch langt er nach dem Griff und zerrt daran, daß
sein Arm zittert und das zu Kopf steigende Blut sein Gesicht dunkel-
roth färbt. Endlich läßt er los und sinkt, den Kopf schüttelnd,
resultatlos auf seinen Sitz zurück. — Nun kann der Michelbauer
M i ch c l d n n c r.
sich nicht mehr zurückhalten; wie ein Zirkusathlet schüttelt er zuerst
seine Arme, dann stellt er sich in Positur und erfaßt den Griff mit
seiner knochigen Hand. „Müaßt scho' g'spaßi' zuage'h'n, wenn ma'
dös net anßabraacht'!" meint er und reißt den Griff init einem
Ruck nach abwärts. „Leicht is's 'ganga!" — sagt er lachend. Im
nächsten Augenblick erhält er jedoch einen Stoß, der ihn auf seinen
> Sitz zurückwirft — der Zug steht still — mitten auf der Strecke!
Alle Conpöfenster öffneten sich, ein allgemeines Rusen und
Fragen ward laut, und eilig rannten die Schaffner von Abtheilung
zu Abtheilung, um nach dem Veranlasser der Fahrunterbrechnng
zu forschen. Der Zugführer erschien auch an dein betreffenden
Coupö, bemerkte sofort, daß hier die Nothleine gezogen worden
und fragte, wer sie gezogen habe. Die beiden Herren deuteten
ans den Bauer, der mit offenem Munde den Vorgang verfolgt
hatte. Michel mußte seinen Platz verlassen und bis zur uächsten
Station mit den: Gepäckwagei: vorlieb nehmen. Als er dort zur
weiteren Behandlung in die Diensträume abgeführt wurde, ballte
er die Faust gegen seine bisherigen Mitreisenden und schrie: ,,J'
bol Enk dawisch, hernach woaß i', was i' Enk abareiß! Runter-
'bracht hätt'r dös Glump do' net ohne m:', ös Fretta!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der gefoppte Michelbauer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 110.1899, Nr. 2792, S. 46
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg