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Die Hausschlüssel.
Schneider hatte lauge Beine. Gleichwohl lief er fast eine halbe
Stunde, ehe er nach Hause kam. Der Nachtfrost hatte ihn: Bart
und Augenbrauen dicht angereift, und seine Finger waren steif ge-
froren, so daß es ihm einige Mühe kostete, beit Hausschlüssel aus
der Tasche herauszukriegen.
Endlich hatte er ihn. . . Aber was war denn das?! Der
Schlüssel sperrte ja nicht und that so fremd
gegen das Schloß, als ob er es seiner
Lebtage nicht gesehen hätte. Nicht mit
Güte und nicht mit Gewalt ließ er sich
bewegen, seiner Pflicht und Schuldigkeit
nachzukommen.
Plötzlich besah sich der Assessor das un-
geberdige Instrument etwas genauer. Ein
Gedanke war ihm aufgestiegen. „Wahr-
haftig, das ist ja Müllers Schlüssel! . .
Das ist ja überhaupt Müll er's Man-
tel!" schrie er, sich mit einem wüthenden
Blick betrachtend. „Der Teufel hole diese
verflixte gleiche Statur! Nun haben wir
Esel richtig die Enveloppen vertauscht!"
Nachdem er sich und seinem abwesenden Freund aus diesem
Anlaß noch einige kräftige Komplimente gemacht hatte, entschloß er
sich wüthend zu dem Einzigen, was unter diesen Umständen zu
machen war: Trotz Nacht und Frost wieder znm „Löwen" zurückzu-
laufen.
Dort unten im Thor stand schon der Doktor. „Assessorchen",
murmelte er ganz zerknirscht, vor Kälte zähneklappernd, „mir ist ein
rechtes Malheur passirt — die Hausschlüssel —"
„Ach was!" schimpfte Schneider. „Da hast Du denDeinen!
Mit dem meinen her!.. So, danke! Und nun 'rin in die gute
Stube — ich bin kalt durch und durch wie ein Nordpolfahrer!"
Mit kolossalem Jubel wurden die beiden Freunde und ihr
Abenteuer von den letzten Treuen des Stammtisches, die noch tapfer
beisammen saßen, ausgenommen, und die tragikomische Geschichte
entwickelte natürlich einen Humor, dieser einen Durst und dieser einen
Feuchtigkeitsverbrauch, daß Stunden vergingen, bis man endlich in
corpore aufbrach.
„Ach so! Pardon!" murmelte vr. Müller. „So'u Konfusions-
rath wie heute war ich noch nie!"
. Wieder trennte man sich; wieder schwebte Jeder schwer von
Bier und Schlaf heimwärts.
„Nun bin ich aber wirklich froh, in die Klappe zu kommen!"
brummte der Assessor vor dem Thor seiner Wohnung, griff gähnend
nach dem Hausschlüssel und wollte ihn anstecken.
Aber was war das?! „Höllenblendwerk!" rief er. „Wieder
nichts! . . . Will nun auch der rechte nimmer sperren?"
Plötzlich mit einem hastigen Ruck hob er den Schlüssel dicht
vor die bereiften Augen, starrte einen Moment wie vom Donner
gerührt vor sich hin und fing dann der Art zu raisonniren an,
daß ein Schutzmann, der in der
Nähe unter einem Bordach ein-
genickt war, entsetzt auffnhr und
im Sturmschritt herzulief.
„Haben wir uns nicht", re-
kapitulirte Schneider, „vor dem
„Löwen" die Schlüsselzurü ck-
gegeben? Hat nicht dabei
Jeder den Ueberzieher des
Anderen getragen und den
eigenen Schlüssel also in
den fremden Rock hineinge-
steckt? Und sind mir beim Gehen
nicht in unsere eigenen Män-
tel geschlüpft, in denen demnach
die fremden Schlüssel waren? .
werden....?"
„Mein Herr", sagte der Schutzmann mit freundlicher Berständniß-
losigkeit für die Situation, „eine Ruhestörung dürfen Sie da nicht
machen —"
Schneider lachte bitter auf. Dann stürzte er wieder in die
Nacht hinaus „Löwen"-wärts — selber ein grimmiger Löwe. —
Am nächsten Morgen aber hängte im Westen ititb im Osten
der Stadt je eine betrübte Hauswirthin ein Schild heraus: „Salon
mit Schlafzimmer sofort an einen feinen Herrn zu vermiethen."
Die beiden Freunde zogen wieder nach dem Centrum.
Ist das nicht zum Rasend-
„Halt!" rief Schneider seinem Freunde zu, als dieser nach dem
Mantel greifen wollte, mit dem er gekommen war. „Wir hatten
ja auch die Mäntel vertauscht — da ist Deiner!"
Ein poetischer Vater.
Bankier von Reimer (seine beiden Töchter vorstellend):
„Hier meine Tochter Melanie,
Die andere hier Rosa; —
Die eine macht in Poesie,
Die andere in Prosa".
Die Hausschlüssel.
Schneider hatte lauge Beine. Gleichwohl lief er fast eine halbe
Stunde, ehe er nach Hause kam. Der Nachtfrost hatte ihn: Bart
und Augenbrauen dicht angereift, und seine Finger waren steif ge-
froren, so daß es ihm einige Mühe kostete, beit Hausschlüssel aus
der Tasche herauszukriegen.
Endlich hatte er ihn. . . Aber was war denn das?! Der
Schlüssel sperrte ja nicht und that so fremd
gegen das Schloß, als ob er es seiner
Lebtage nicht gesehen hätte. Nicht mit
Güte und nicht mit Gewalt ließ er sich
bewegen, seiner Pflicht und Schuldigkeit
nachzukommen.
Plötzlich besah sich der Assessor das un-
geberdige Instrument etwas genauer. Ein
Gedanke war ihm aufgestiegen. „Wahr-
haftig, das ist ja Müllers Schlüssel! . .
Das ist ja überhaupt Müll er's Man-
tel!" schrie er, sich mit einem wüthenden
Blick betrachtend. „Der Teufel hole diese
verflixte gleiche Statur! Nun haben wir
Esel richtig die Enveloppen vertauscht!"
Nachdem er sich und seinem abwesenden Freund aus diesem
Anlaß noch einige kräftige Komplimente gemacht hatte, entschloß er
sich wüthend zu dem Einzigen, was unter diesen Umständen zu
machen war: Trotz Nacht und Frost wieder znm „Löwen" zurückzu-
laufen.
Dort unten im Thor stand schon der Doktor. „Assessorchen",
murmelte er ganz zerknirscht, vor Kälte zähneklappernd, „mir ist ein
rechtes Malheur passirt — die Hausschlüssel —"
„Ach was!" schimpfte Schneider. „Da hast Du denDeinen!
Mit dem meinen her!.. So, danke! Und nun 'rin in die gute
Stube — ich bin kalt durch und durch wie ein Nordpolfahrer!"
Mit kolossalem Jubel wurden die beiden Freunde und ihr
Abenteuer von den letzten Treuen des Stammtisches, die noch tapfer
beisammen saßen, ausgenommen, und die tragikomische Geschichte
entwickelte natürlich einen Humor, dieser einen Durst und dieser einen
Feuchtigkeitsverbrauch, daß Stunden vergingen, bis man endlich in
corpore aufbrach.
„Ach so! Pardon!" murmelte vr. Müller. „So'u Konfusions-
rath wie heute war ich noch nie!"
. Wieder trennte man sich; wieder schwebte Jeder schwer von
Bier und Schlaf heimwärts.
„Nun bin ich aber wirklich froh, in die Klappe zu kommen!"
brummte der Assessor vor dem Thor seiner Wohnung, griff gähnend
nach dem Hausschlüssel und wollte ihn anstecken.
Aber was war das?! „Höllenblendwerk!" rief er. „Wieder
nichts! . . . Will nun auch der rechte nimmer sperren?"
Plötzlich mit einem hastigen Ruck hob er den Schlüssel dicht
vor die bereiften Augen, starrte einen Moment wie vom Donner
gerührt vor sich hin und fing dann der Art zu raisonniren an,
daß ein Schutzmann, der in der
Nähe unter einem Bordach ein-
genickt war, entsetzt auffnhr und
im Sturmschritt herzulief.
„Haben wir uns nicht", re-
kapitulirte Schneider, „vor dem
„Löwen" die Schlüsselzurü ck-
gegeben? Hat nicht dabei
Jeder den Ueberzieher des
Anderen getragen und den
eigenen Schlüssel also in
den fremden Rock hineinge-
steckt? Und sind mir beim Gehen
nicht in unsere eigenen Män-
tel geschlüpft, in denen demnach
die fremden Schlüssel waren? .
werden....?"
„Mein Herr", sagte der Schutzmann mit freundlicher Berständniß-
losigkeit für die Situation, „eine Ruhestörung dürfen Sie da nicht
machen —"
Schneider lachte bitter auf. Dann stürzte er wieder in die
Nacht hinaus „Löwen"-wärts — selber ein grimmiger Löwe. —
Am nächsten Morgen aber hängte im Westen ititb im Osten
der Stadt je eine betrübte Hauswirthin ein Schild heraus: „Salon
mit Schlafzimmer sofort an einen feinen Herrn zu vermiethen."
Die beiden Freunde zogen wieder nach dem Centrum.
Ist das nicht zum Rasend-
„Halt!" rief Schneider seinem Freunde zu, als dieser nach dem
Mantel greifen wollte, mit dem er gekommen war. „Wir hatten
ja auch die Mäntel vertauscht — da ist Deiner!"
Ein poetischer Vater.
Bankier von Reimer (seine beiden Töchter vorstellend):
„Hier meine Tochter Melanie,
Die andere hier Rosa; —
Die eine macht in Poesie,
Die andere in Prosa".
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Hausschlüssel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 114.1901, Nr. 2895, S. 46
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg