158 Des Dichters Adolar Lieblingsplätzchen
Ub er-Unfug.
Nichts ist klein mehr, nichts geringe:
Übermenschen, Überdinge!
Über-Unsinn ohne Ende,
wohin auch den Blick ich wende.
Ja, seit diesem jungen Jahr
Kennt die Über-Weltstadt gar —
Über-Unfug.
Groß verkünden's Anschlags-
zettel —
„Übertanz" und „Über-
brettel"!
Und was in Berlin erst Brauch,
Das erobert sich bald auch
Manche and're deutsche Stadt,
Die den falschen Ehrgeiz hat,
Spree-Athen stets abzugucken
Seltsamkeiten, Übermucken.
Tröstlich ist nur eins dabei:
Auch die Über-Narretei
Hetzt, wie jede neue Mode,
Hoffentlich sich rasch zu Tode!
Untergang bereiten muß
Allem Über-Überdruß!
_ Maximilian Bern.
Der Doppelgänger.
QäSu den Zierden des starken Geschlechtes muß unbedingt der
„Reiseonkel" gezählt werden. Er ist berufen, Kultur und feine
Sitte in die entlegensten Städte und Orte zu tragen und das Licht
der Aufklärung zu entzünden, wo noch der Dämmerschein alt-
vaterischer Gesinnung den Gesichtskreis der Menschheit umdüstnt.
Aber auch die Gabe der finnigen und scherzhaften Rede ist ihm ^
eigen und deßhalb beherrscht er nicht selten den Lauf der abend-
lichen Unterhaltungen in den Lokalen, in welchen sich die friedlichen
Staatsbürger nach der Arbeitslast des Tages zu versammeln pflegen.
Gottlieb Schnaufer war ein hervorragender Vertreter dieses Standes
und mit allen Vorzügen desselben ansgestattet. Schön in seiner
Eigenart, eine imposante Erscheinung, elegant vom Scheitel bis znr
Zehe, wußte er durch die Art des Auftretens und durch die Ge-
walt der Rede alle mögliche Hochachtung bei denen zu erzwingen,
die mit ihm verkehrten. Er sah jedoch nicht, wie so viele seines
Gleichen, stolz und mit überlegenem Selbstbewußtfein in die Welt
hinein, sondern trug eine gewisse Gutmüthigkeit zur Schau, die viel-
leicht dadurch zum Ausdruck kam, daß Mutter Natur ihn mit einer
hervorragenden römischen Nase versehen hatte, die wie ein Meilen-
zeiger auf weiter Ebene aus einem völlig glatt rasirten Gesichte in
die Welt hineinragte.
Dieser ausgezeichnete Mann unternahm eines Tages eine Tom
nach dem Süden und begann seine Reise an einem Sonntag, m
diesen Tag der Ruhe am Fuße der Alpen verbringen zu können,
woselbst die Station Achenbergen lag, die er als heutiges Reiseziel
erwählt hatte. Schon im Laufe des Vormittags kam er in dm
kleinen Städtchen an, das er mit seiner Gegenwart und sei«
Mustern zu beglücken vorhatte; er vertrat ein großes Haus in der
Residenz, das Fettwaaren produzirte. Wie dies üblich ist, hatte sich
am Bahnsteig in Achenbergen zur Zeit der Ankunft des Schnellzuges
die elegante Welt versammelt, um den Anblick des durchfahrenden
Eilzuges und der ankommenden Passagiere zu genießen. Wer die ■
Einförmigkeit des Lebens in einem Provinzstädtchen nicht kennt,
weiß diesen Genuß nicht zu würdigen. Man sieht doch einmal
andere Gestalten, andere Gesichter und nicht selten Persönlichkeiten,
die weit über die gewöhnlichen Sterblichen emporragen. Zu dieser
Beschaulichkeit hatte sich eine Gruppe von Herren zusammengeschaart,
die aufmerksam die Insassen des eben angekonrmenen Zuges musterten.
Diese Gruppe bestand aus dem Herrn Apotheker, dem Herrn Bezirks-
veterinär, dem Herrn Expeditor, dem Herrn Geometer und einigen
hervorragenden Bürgern der Stadt. Als der eben angekonunene
Schnaufer an den Herren vorüberging, wobei ihm der Hoteldie«
vom „rothen Schaf" den eleganten Handkoffer nachtrug, versetzte der
Apotheker seinem Nachbar, dem Kleiderfabrikanten Rasp, einen
Rippenstoß. „Das ist er, das ist er!" fügte der Apotheker in
auffallender Erregung bei. — „Wer, wer?" tönte es von allen
Seiten. „Wer? Der berühmte Komiker, Hofschauspieler Kugler, von
Ub er-Unfug.
Nichts ist klein mehr, nichts geringe:
Übermenschen, Überdinge!
Über-Unsinn ohne Ende,
wohin auch den Blick ich wende.
Ja, seit diesem jungen Jahr
Kennt die Über-Weltstadt gar —
Über-Unfug.
Groß verkünden's Anschlags-
zettel —
„Übertanz" und „Über-
brettel"!
Und was in Berlin erst Brauch,
Das erobert sich bald auch
Manche and're deutsche Stadt,
Die den falschen Ehrgeiz hat,
Spree-Athen stets abzugucken
Seltsamkeiten, Übermucken.
Tröstlich ist nur eins dabei:
Auch die Über-Narretei
Hetzt, wie jede neue Mode,
Hoffentlich sich rasch zu Tode!
Untergang bereiten muß
Allem Über-Überdruß!
_ Maximilian Bern.
Der Doppelgänger.
QäSu den Zierden des starken Geschlechtes muß unbedingt der
„Reiseonkel" gezählt werden. Er ist berufen, Kultur und feine
Sitte in die entlegensten Städte und Orte zu tragen und das Licht
der Aufklärung zu entzünden, wo noch der Dämmerschein alt-
vaterischer Gesinnung den Gesichtskreis der Menschheit umdüstnt.
Aber auch die Gabe der finnigen und scherzhaften Rede ist ihm ^
eigen und deßhalb beherrscht er nicht selten den Lauf der abend-
lichen Unterhaltungen in den Lokalen, in welchen sich die friedlichen
Staatsbürger nach der Arbeitslast des Tages zu versammeln pflegen.
Gottlieb Schnaufer war ein hervorragender Vertreter dieses Standes
und mit allen Vorzügen desselben ansgestattet. Schön in seiner
Eigenart, eine imposante Erscheinung, elegant vom Scheitel bis znr
Zehe, wußte er durch die Art des Auftretens und durch die Ge-
walt der Rede alle mögliche Hochachtung bei denen zu erzwingen,
die mit ihm verkehrten. Er sah jedoch nicht, wie so viele seines
Gleichen, stolz und mit überlegenem Selbstbewußtfein in die Welt
hinein, sondern trug eine gewisse Gutmüthigkeit zur Schau, die viel-
leicht dadurch zum Ausdruck kam, daß Mutter Natur ihn mit einer
hervorragenden römischen Nase versehen hatte, die wie ein Meilen-
zeiger auf weiter Ebene aus einem völlig glatt rasirten Gesichte in
die Welt hineinragte.
Dieser ausgezeichnete Mann unternahm eines Tages eine Tom
nach dem Süden und begann seine Reise an einem Sonntag, m
diesen Tag der Ruhe am Fuße der Alpen verbringen zu können,
woselbst die Station Achenbergen lag, die er als heutiges Reiseziel
erwählt hatte. Schon im Laufe des Vormittags kam er in dm
kleinen Städtchen an, das er mit seiner Gegenwart und sei«
Mustern zu beglücken vorhatte; er vertrat ein großes Haus in der
Residenz, das Fettwaaren produzirte. Wie dies üblich ist, hatte sich
am Bahnsteig in Achenbergen zur Zeit der Ankunft des Schnellzuges
die elegante Welt versammelt, um den Anblick des durchfahrenden
Eilzuges und der ankommenden Passagiere zu genießen. Wer die ■
Einförmigkeit des Lebens in einem Provinzstädtchen nicht kennt,
weiß diesen Genuß nicht zu würdigen. Man sieht doch einmal
andere Gestalten, andere Gesichter und nicht selten Persönlichkeiten,
die weit über die gewöhnlichen Sterblichen emporragen. Zu dieser
Beschaulichkeit hatte sich eine Gruppe von Herren zusammengeschaart,
die aufmerksam die Insassen des eben angekonrmenen Zuges musterten.
Diese Gruppe bestand aus dem Herrn Apotheker, dem Herrn Bezirks-
veterinär, dem Herrn Expeditor, dem Herrn Geometer und einigen
hervorragenden Bürgern der Stadt. Als der eben angekonunene
Schnaufer an den Herren vorüberging, wobei ihm der Hoteldie«
vom „rothen Schaf" den eleganten Handkoffer nachtrug, versetzte der
Apotheker seinem Nachbar, dem Kleiderfabrikanten Rasp, einen
Rippenstoß. „Das ist er, das ist er!" fügte der Apotheker in
auffallender Erregung bei. — „Wer, wer?" tönte es von allen
Seiten. „Wer? Der berühmte Komiker, Hofschauspieler Kugler, von
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Des Dichters Adolar Lieblingsplätzchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1901
Entstehungsdatum (normiert)
1896 - 1906
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 114.1901, Nr. 2905, S. 158
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg