Der Doppelgänger.
dem schon lange gesagt wurde, daß er sich bei uns eine Villa bauen wolle, um seine
Ferien hier zu verbringen I"
„War' nicht übel!" sagte der Expeditor darauf, „für unseren Fremdenverkehr
würde dies einen unschätzbaren Vortheil bedeuten, wenn sich dieser gefeierte Mime
bei uns definitiv ansiedeln wollte!" — „Wissen Sie es aber auch gewiß, Herr Apo-
theker, daß es der berühmte Kugler war?" — „Ich?" versetzte dieser, „wenn ich Alles
so gewiß wüßte! Ich habe ihn hundert Mal auf der Bühne gesehen, und wer den
einmal gesehen hat, der vergißt ihn nimmer!" — „Das ist großartig, meine Herren",
ließ sich nun der Geometer vernehmen; „da muß etwas geschehen— wir müssen ihm
in jeder Weise ehrend entgegenkommen! . . Wissen Sie was? Wir gehen zum Früh-
schoppen in's „rothe Schaf"; da findet sich gewiß ein Anknüpfungspunkt, denn der
Mann wird sich jedenfalls ein wenig restauriren nach der Reise I" — Dieser Vorschlag
wurde angenommen und die Vertreter der besseren Kreise von Achenbergen langten
bald darauf im „rothen Schafe" an, nachdem sie unterwegs noch eine Menge ihrer
Mitbürger zum Mitgehen veranlaßt hatten.
Der Wirth war nicht wenig erstaunt, als ein ganzer Schwarin von Gästen so
plötzlich bei ihm einfiel; eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich seiner, sowie
des ganzen Dienstpersonals. — Richtig, da saß der Gast aus der Residenz, der gute
Gottlieb, bei einem Schoppen Tiroler mit Schweinswürstchen und Kraut, aber ohne
Ahnung, daß er zum Helden des Tages erkoren! Die Angekommenen nahmen Platze
der Apotheker setzte sich mit einem freundlichen: „Gestatten, mein Herr?" neben
Schnaufer rechts, der Expeditor mit einem: „Jst's erlaubt?" neben Schnaufer links,
und so hatten sie den Fremden int Nu vollständig umzingelt. Schnaufer katlte mit
vollen Backen und konnte auf die erwähnten Anfragen nur hbflichst nach rechts und
links mit einer Neigung des Hauptes erwidern. „Seh'u S' jetzt die Nase?" raunte der
Apotheker dem Kleiderfabrikanten heimlich zu. „Da müßt' man schon blind sein, wenn
159
man dieses Heft nicht sehen thät'!" gab Letzterer
zurück. Im Uebrigen herrschte allgemeine Stille; ca.
sechzig Augen sahen unverwandt auf den essenden
Fremdling. Unter dem Eindruck dieser Massenhypno-
tisirung verging demselben rasch der Appetit; er
schob den Teller von sich und besah sich auch seiner-
seits die Runde, in welcher absolute Stille herrschte.
Dieß benützte der Kleiderfabrikant, um sich
zu revanchiren; er versetzte den: Apotheker einen
heimlichen Rippenstoß und murmelte: „Reden S'
doch was!" Der Apotheker nahm sich einen
Anlauf und begann: „Das ist schön, Herr Kugler,
daß Sie unserem Städtchen die Ehre geben!
Werden wohl einige Tage bei uns verweilen?" —
„Bitte", erwiderte Schnaufer höflich, „Sie sind zu
gütig; ich beabsichtige nur so lange zu bleiben, bis
meine Geschäfte erledigt sind!" Ein verständniß-
volles „Aha!" machte die Runde um den Tisch.
„Sie werden sicher finden, was Sie suchen, Herr
Kugler!" bemerkte der Apotheker. „Hoffentlich",
erwiderte Schnaufer; „übrigens erlauben Sie, daß
ich mich vorstelle. Ich heiße nicht Kugler — mein
Name ist Gottlieb Schnaufer; ich bin Vertreter der
Fettwaarenfabrik Dick & Comp. I" Ein allgemeines
Gelächter erfolgte auf diese Erklärung; der lange,
dünne Schnaufer Vertreter der Fettbranche —
einen solchen Witz konnte sich nur ein Komiker
von Fach leisten! Schnaufer wollte seiner auf-
keimenden Entrüstung Ausdruck geben, als der
Apotheker erklärte: „Famoser Witz, Herr Kugler
— Sie wollen incognito bleiben — das wird
Sie nicht viel nützen; wer sollte den berühmten
Hosschauspieler Kugler nicht kennen?!.. Doch, wenn
Sie wünschen, dann sollen Sie auch der fette Herr
Schnaufer sein — ha, ha!" — „Aber ich schwöre
Ihnen, meine Herren," rief Schnaufer ärgerlich
aus, „ich bin der fette — das heißt — der Ver-
treter —" „Ha, ha, ha!" brüllten Alle im Chore.
„Nun, wenn Sie es nicht anders wollen,
dann bin ich halt der Andere," sagte mißmuthig
Schnaufer. — „Bitte zu entschuldigen," begütigte
ihn der Apotheker, „wenn Sie es positiv wünschen,
dann werden wir halt Schnaufer sagen; . . meine
Herren", sagte er hierauf feierlich, „der Star un-
serer hauptstädtischen Bühne, der große Komiker,
der berühmte Künstler, Herr — wir wollen sagen
Schnaufer — soll leben, hoch, hoch, hoch!" — Alles
rief hoch, und begeistert wurde angestoßen.
Schnaufer erhob sich und gedachte, nochmals eine
anfklärende Bemerkung zu machen; er begann:
„Meine Herren!"-dann setzte er sich wieder,
weil er ahnte, es würde doch umsonst sein, weiter
über die Sache zu sprechen. Eine donnernde Bei-
fallssalve war das Ergebniß dieses Redeversuchs.
In diesem Augenblick erschien der Wirth und
stellte eigenhändig eine Flasche „Mumm" auf den
Tisch.
„Darf ich mir gestatten?" sagte der Apotheker
lächelnd und schob dem Gaste ein Glas des perlen-
den Weines zu. — „Des Menschen Wille ist
14*
dem schon lange gesagt wurde, daß er sich bei uns eine Villa bauen wolle, um seine
Ferien hier zu verbringen I"
„War' nicht übel!" sagte der Expeditor darauf, „für unseren Fremdenverkehr
würde dies einen unschätzbaren Vortheil bedeuten, wenn sich dieser gefeierte Mime
bei uns definitiv ansiedeln wollte!" — „Wissen Sie es aber auch gewiß, Herr Apo-
theker, daß es der berühmte Kugler war?" — „Ich?" versetzte dieser, „wenn ich Alles
so gewiß wüßte! Ich habe ihn hundert Mal auf der Bühne gesehen, und wer den
einmal gesehen hat, der vergißt ihn nimmer!" — „Das ist großartig, meine Herren",
ließ sich nun der Geometer vernehmen; „da muß etwas geschehen— wir müssen ihm
in jeder Weise ehrend entgegenkommen! . . Wissen Sie was? Wir gehen zum Früh-
schoppen in's „rothe Schaf"; da findet sich gewiß ein Anknüpfungspunkt, denn der
Mann wird sich jedenfalls ein wenig restauriren nach der Reise I" — Dieser Vorschlag
wurde angenommen und die Vertreter der besseren Kreise von Achenbergen langten
bald darauf im „rothen Schafe" an, nachdem sie unterwegs noch eine Menge ihrer
Mitbürger zum Mitgehen veranlaßt hatten.
Der Wirth war nicht wenig erstaunt, als ein ganzer Schwarin von Gästen so
plötzlich bei ihm einfiel; eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich seiner, sowie
des ganzen Dienstpersonals. — Richtig, da saß der Gast aus der Residenz, der gute
Gottlieb, bei einem Schoppen Tiroler mit Schweinswürstchen und Kraut, aber ohne
Ahnung, daß er zum Helden des Tages erkoren! Die Angekommenen nahmen Platze
der Apotheker setzte sich mit einem freundlichen: „Gestatten, mein Herr?" neben
Schnaufer rechts, der Expeditor mit einem: „Jst's erlaubt?" neben Schnaufer links,
und so hatten sie den Fremden int Nu vollständig umzingelt. Schnaufer katlte mit
vollen Backen und konnte auf die erwähnten Anfragen nur hbflichst nach rechts und
links mit einer Neigung des Hauptes erwidern. „Seh'u S' jetzt die Nase?" raunte der
Apotheker dem Kleiderfabrikanten heimlich zu. „Da müßt' man schon blind sein, wenn
159
man dieses Heft nicht sehen thät'!" gab Letzterer
zurück. Im Uebrigen herrschte allgemeine Stille; ca.
sechzig Augen sahen unverwandt auf den essenden
Fremdling. Unter dem Eindruck dieser Massenhypno-
tisirung verging demselben rasch der Appetit; er
schob den Teller von sich und besah sich auch seiner-
seits die Runde, in welcher absolute Stille herrschte.
Dieß benützte der Kleiderfabrikant, um sich
zu revanchiren; er versetzte den: Apotheker einen
heimlichen Rippenstoß und murmelte: „Reden S'
doch was!" Der Apotheker nahm sich einen
Anlauf und begann: „Das ist schön, Herr Kugler,
daß Sie unserem Städtchen die Ehre geben!
Werden wohl einige Tage bei uns verweilen?" —
„Bitte", erwiderte Schnaufer höflich, „Sie sind zu
gütig; ich beabsichtige nur so lange zu bleiben, bis
meine Geschäfte erledigt sind!" Ein verständniß-
volles „Aha!" machte die Runde um den Tisch.
„Sie werden sicher finden, was Sie suchen, Herr
Kugler!" bemerkte der Apotheker. „Hoffentlich",
erwiderte Schnaufer; „übrigens erlauben Sie, daß
ich mich vorstelle. Ich heiße nicht Kugler — mein
Name ist Gottlieb Schnaufer; ich bin Vertreter der
Fettwaarenfabrik Dick & Comp. I" Ein allgemeines
Gelächter erfolgte auf diese Erklärung; der lange,
dünne Schnaufer Vertreter der Fettbranche —
einen solchen Witz konnte sich nur ein Komiker
von Fach leisten! Schnaufer wollte seiner auf-
keimenden Entrüstung Ausdruck geben, als der
Apotheker erklärte: „Famoser Witz, Herr Kugler
— Sie wollen incognito bleiben — das wird
Sie nicht viel nützen; wer sollte den berühmten
Hosschauspieler Kugler nicht kennen?!.. Doch, wenn
Sie wünschen, dann sollen Sie auch der fette Herr
Schnaufer sein — ha, ha!" — „Aber ich schwöre
Ihnen, meine Herren," rief Schnaufer ärgerlich
aus, „ich bin der fette — das heißt — der Ver-
treter —" „Ha, ha, ha!" brüllten Alle im Chore.
„Nun, wenn Sie es nicht anders wollen,
dann bin ich halt der Andere," sagte mißmuthig
Schnaufer. — „Bitte zu entschuldigen," begütigte
ihn der Apotheker, „wenn Sie es positiv wünschen,
dann werden wir halt Schnaufer sagen; . . meine
Herren", sagte er hierauf feierlich, „der Star un-
serer hauptstädtischen Bühne, der große Komiker,
der berühmte Künstler, Herr — wir wollen sagen
Schnaufer — soll leben, hoch, hoch, hoch!" — Alles
rief hoch, und begeistert wurde angestoßen.
Schnaufer erhob sich und gedachte, nochmals eine
anfklärende Bemerkung zu machen; er begann:
„Meine Herren!"-dann setzte er sich wieder,
weil er ahnte, es würde doch umsonst sein, weiter
über die Sache zu sprechen. Eine donnernde Bei-
fallssalve war das Ergebniß dieses Redeversuchs.
In diesem Augenblick erschien der Wirth und
stellte eigenhändig eine Flasche „Mumm" auf den
Tisch.
„Darf ich mir gestatten?" sagte der Apotheker
lächelnd und schob dem Gaste ein Glas des perlen-
den Weines zu. — „Des Menschen Wille ist
14*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Doppelgänger"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1901 - 1901
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 114.1901, Nr. 2905, S. 159
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg