9|g Ein Märchen.
lauter zu singen, daß es nur seine Art hatte, plötzlich hörte der Gras eine krächzende ! diesen Jemand entschieden unglücklich ausgefallen
Stimme vom Baume rufen: „Zum Waldsee, zum Waldsee!" Der Graf sah auf und sei; aber es war dies, wie gesagt, nur ein
erblickte auf einem Aste eine häßliche Krähe. Die flog zuin nächsten Baume, schlug dunkles Gefühl, und er rief daher feurig:
mit den Flügeln und schrie aus Leibeskräften: „Zum Waldsee, zum Waldsee!" j „Nein! Niemals werde ich Dich fragen!"
Da lehnte sie ihr Köpfchen an seine Brust
und lächelte selig.
Dann aber waren sie Arm in Arm durch
den Wald geschritten. Die vöglein sangen, die
Bäume raunten und die Blüthen dufteten. Und
draußen am letzten Baume des Waldes saß die
Krähe; die schlug mit den Flügeln und schrie
aus Leibeskräften, daß sie noch heiserer wurde:
„peil, dein paare heil!"
Das war des Grafen erster Pochzeitswunsch.
„Meinetwegen I" sagte der Graf, und ging zum Waldsee. — Es war ein
zauberisch' Gewässer, von allen Seiten von hohen Bäuinen umgeben, und un-
zählige Wasserrosen schwamnren auf seiner Oberfläche.
Doch nicht das war's, was den Schritt des Grafen hemmte,
das ihn zwang, lauschend den Athen: anzuhalten. Ein wunder-
schöner, herrlicher Sang war es, der über's Wasser herüberklang
und die Seele des armen Lauschers mit einer Wonne erfüllte, die
er nie zuvor empfunden. Und was sein perz noch mehr erregte als
der Sang, war der Anblick des wunderbaren Wesens, das in
weißem wallendein Gewände am Ufer faß, mit offenein goldenen
paare, und Kränze aus Seerosen wand.
Der Graf schlich näher, auf den Zehenspitzen, als ob der
Laut seines Schrittes das holde Bild verscheuchen könnte. Als er
ganz in der Nähe war, wendete sie den Kopf und lächelte,
lächelte so süß und vertraut, daß es dein guten Grafen ganz
heimlich um's perz wurde.
Und ehe er fich's versah, saß er an ihrer Seite und plauderte
mit ihr; und nach weiteren zwei Stunden schon hatte er sie ge-
fragt, ob sie sein Weib werden wollte.
„Ja", sagte sie, „unter einer Bedingung!"
„Und die wäre?"
„Daß Du niemals frägst, woher ich stamme oder wer ich sei!"
Der Graf hatte zwar das dunkle Gefühl, daß dies vor den:
Mädchen schon irgend Jemand gesagt habe, und daß dies für
Die Flitterwochen verstrichen in eitler Lust
und Freude. — Doch bald verdunkelte sich der
Ehehimmel. Die junge Frau, sie wurde zänkisch
und streitsüchtig; sie quälte Leute und Thiere,
besonders aber ihren Mann, den Grafen. Die
Verstorbene war ein Engel gegen dieses Weib
gewesen. Und immer ärger trieb sie es. Aber
noch hoffte der Graf, es werde besser werden,
doch — es wurde schlechter.
Da begann ein Gedanke sich langsam in
seine Seele einzustehlen nnd nahm immer mehr
Besitz von ihm, bis er ihn vollständig beherrschte.
Bei Tag und bei Nacht flüsterte eine Stimme
ihm zu: „Frage sie und du bist erlöst!" Aber
noch lebte ein Funke der alten Liebe in ihm,
noch war er zu ritterlich, die Frage an sie zu
richten.
Doch eines schönen Tages, als sie ihn allzm
sehr gequält, da stellte er sich vor sie hin, und
ruckweise entrang es sich seinen Lippen: „Du
böses Weib! wer bist Du? woher stammst
Du?" — Doch sie sah ihn von unten bis oben
an, lachte höhnisch und sagte: „Das geht Dich
lauter zu singen, daß es nur seine Art hatte, plötzlich hörte der Gras eine krächzende ! diesen Jemand entschieden unglücklich ausgefallen
Stimme vom Baume rufen: „Zum Waldsee, zum Waldsee!" Der Graf sah auf und sei; aber es war dies, wie gesagt, nur ein
erblickte auf einem Aste eine häßliche Krähe. Die flog zuin nächsten Baume, schlug dunkles Gefühl, und er rief daher feurig:
mit den Flügeln und schrie aus Leibeskräften: „Zum Waldsee, zum Waldsee!" j „Nein! Niemals werde ich Dich fragen!"
Da lehnte sie ihr Köpfchen an seine Brust
und lächelte selig.
Dann aber waren sie Arm in Arm durch
den Wald geschritten. Die vöglein sangen, die
Bäume raunten und die Blüthen dufteten. Und
draußen am letzten Baume des Waldes saß die
Krähe; die schlug mit den Flügeln und schrie
aus Leibeskräften, daß sie noch heiserer wurde:
„peil, dein paare heil!"
Das war des Grafen erster Pochzeitswunsch.
„Meinetwegen I" sagte der Graf, und ging zum Waldsee. — Es war ein
zauberisch' Gewässer, von allen Seiten von hohen Bäuinen umgeben, und un-
zählige Wasserrosen schwamnren auf seiner Oberfläche.
Doch nicht das war's, was den Schritt des Grafen hemmte,
das ihn zwang, lauschend den Athen: anzuhalten. Ein wunder-
schöner, herrlicher Sang war es, der über's Wasser herüberklang
und die Seele des armen Lauschers mit einer Wonne erfüllte, die
er nie zuvor empfunden. Und was sein perz noch mehr erregte als
der Sang, war der Anblick des wunderbaren Wesens, das in
weißem wallendein Gewände am Ufer faß, mit offenein goldenen
paare, und Kränze aus Seerosen wand.
Der Graf schlich näher, auf den Zehenspitzen, als ob der
Laut seines Schrittes das holde Bild verscheuchen könnte. Als er
ganz in der Nähe war, wendete sie den Kopf und lächelte,
lächelte so süß und vertraut, daß es dein guten Grafen ganz
heimlich um's perz wurde.
Und ehe er fich's versah, saß er an ihrer Seite und plauderte
mit ihr; und nach weiteren zwei Stunden schon hatte er sie ge-
fragt, ob sie sein Weib werden wollte.
„Ja", sagte sie, „unter einer Bedingung!"
„Und die wäre?"
„Daß Du niemals frägst, woher ich stamme oder wer ich sei!"
Der Graf hatte zwar das dunkle Gefühl, daß dies vor den:
Mädchen schon irgend Jemand gesagt habe, und daß dies für
Die Flitterwochen verstrichen in eitler Lust
und Freude. — Doch bald verdunkelte sich der
Ehehimmel. Die junge Frau, sie wurde zänkisch
und streitsüchtig; sie quälte Leute und Thiere,
besonders aber ihren Mann, den Grafen. Die
Verstorbene war ein Engel gegen dieses Weib
gewesen. Und immer ärger trieb sie es. Aber
noch hoffte der Graf, es werde besser werden,
doch — es wurde schlechter.
Da begann ein Gedanke sich langsam in
seine Seele einzustehlen nnd nahm immer mehr
Besitz von ihm, bis er ihn vollständig beherrschte.
Bei Tag und bei Nacht flüsterte eine Stimme
ihm zu: „Frage sie und du bist erlöst!" Aber
noch lebte ein Funke der alten Liebe in ihm,
noch war er zu ritterlich, die Frage an sie zu
richten.
Doch eines schönen Tages, als sie ihn allzm
sehr gequält, da stellte er sich vor sie hin, und
ruckweise entrang es sich seinen Lippen: „Du
böses Weib! wer bist Du? woher stammst
Du?" — Doch sie sah ihn von unten bis oben
an, lachte höhnisch und sagte: „Das geht Dich
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Märchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1902
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 117.1902, Nr. 2989, S. 218
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg