Fatal.
279
Leutnant, daß wir
uns vielleicht doch
erst nochmal über
den Herrn Bankier
erkundigen sollten!"
„’s ist scheußlich I Rein Mensch will kommen!" spricht seufzend
Doktor Meier zu seinem Wirth — dem Schneider Zwiesler — in
dessen beiden vorderen Zimmern der junge Arzt vor zwei Monaten
„seine Praxis eröffnet" hat.
„'s schlechte Wetter halt, perr Doktor!" tröstet Zwiesler.
„Ach, lassen Sie mich damit in Ruh'!" brummt sein Miether
unwirsch. „Das Wetter ist gar nicht so schlecht — es wird ja
Niemand krank! Die Großstadt — in jedem dritten paus ein
Arzt — das macht's!"
„3’ thu' wirklich mein Möglichstes!" jammert sein Wohnungs-
geber und Faktotum, „'s wartzimmer Hab' i’ schon drei Wochen
nimmer wischen lassen, damit 's, wenn einmal Einer kommt, so
ausschaut, als ob alle Tag' zwanzig Patienten d'rin g'wesen
wär'n — und ausschneiden thu' i', weiß Gott, auch net z'wenig
von dem perrn Doktor seiner großen Praxis — —".
„Ich weiß, Zwiesler", antwortet der Arzt halb gerührt, „Sie
thun Ihre Schuldigkeit,— an Ihnen liegt's nicht — —
„Pollah I"-- Beide halten den Athem an. — — Es hat
geläutet.
„Geschwind öffnen," befiehlt dann der Arzt halblaut — er-
regt , „sonst geht er am Ende wieder! . . wunderbar, wie sich
inein Posten erfüllt! . . Und hören Sie, zehn Minuten laß' ich
ihn warten — das wirkt bester!"
Schon ist er im Ordinationszimmer und legt das Ohr an
den Thürspalt. Zwiesler hat den Besucher hereingesührt und
spricht mit ihm. wie er wieder treuherzig schwindelt, der wackere
Alte! — „So, so, der perr Doktor ist also viel beschäftigt?" hört
Meier den Fremden mit tiefer sympathischer Stimme sagen. Ein
Rentier — oder ein höherer Beamter — oder ein Ritterguts-
besitzer ! . . Der junge Arzt sieht schon goldene Berge vor sich.
„Gl" verninnnt er jetzt den biederen Schneider, „Sie sind
schon der Dreizehnte heut'! . Nein, der Bierzehnte — daß i' ’s
recht sag' I Der perr Doktor is ja gar g'schickt! Der hat 's G'riß!
warten werden S' halt ein Bißl müssen! 's ist g'rad' Einer
d'rinn! Ein sehr kritischer Fall!"
„pm, hm!" brummt der Fremde und fährt nach einer Pause
fort: „pat er denn jeden Tag so viel zu thun?"
„Ach!" lacht Zwiesler beinahe mitleidig. „Das is ja heut'
noch gar nix! Gestern haben s' fast 's paus g'stürmt! Auf
der Stiegen sind s' g'standen!"
„So, so!" entgegnet der Andere. „Und wie lange schon hat
er seine Praxis eröffnet?"
„O", schwindelt das Faktotum, „seit einem halben Jahr erst!
Aber wenn Einer so tüchtig ist — das redet sich rasch 'rum! Jetzt
hat er schon keine Zeit zum Esten mehr!" —
Nun hält Doktor Meier es an der Zeit, den Fremden ein-
zulasten. Er öffnet die Rorridorthüre nach der anderen Seite,
imitirt einen kurzen Abschied und schellt dann. Der große Moment
kommt. Zwiesler läßt den längst ersehnten „Ersten" eintreten.
Es ist ein stattlicher Mann mit energischem Aussehen. Der
junge Arzt empfängt ihn mit einem leichten Ropsnicken.
„Bitte!" sagt er, ohne sich — als vielbeschäftigter Mann •
24*
279
Leutnant, daß wir
uns vielleicht doch
erst nochmal über
den Herrn Bankier
erkundigen sollten!"
„’s ist scheußlich I Rein Mensch will kommen!" spricht seufzend
Doktor Meier zu seinem Wirth — dem Schneider Zwiesler — in
dessen beiden vorderen Zimmern der junge Arzt vor zwei Monaten
„seine Praxis eröffnet" hat.
„'s schlechte Wetter halt, perr Doktor!" tröstet Zwiesler.
„Ach, lassen Sie mich damit in Ruh'!" brummt sein Miether
unwirsch. „Das Wetter ist gar nicht so schlecht — es wird ja
Niemand krank! Die Großstadt — in jedem dritten paus ein
Arzt — das macht's!"
„3’ thu' wirklich mein Möglichstes!" jammert sein Wohnungs-
geber und Faktotum, „'s wartzimmer Hab' i’ schon drei Wochen
nimmer wischen lassen, damit 's, wenn einmal Einer kommt, so
ausschaut, als ob alle Tag' zwanzig Patienten d'rin g'wesen
wär'n — und ausschneiden thu' i', weiß Gott, auch net z'wenig
von dem perrn Doktor seiner großen Praxis — —".
„Ich weiß, Zwiesler", antwortet der Arzt halb gerührt, „Sie
thun Ihre Schuldigkeit,— an Ihnen liegt's nicht — —
„Pollah I"-- Beide halten den Athem an. — — Es hat
geläutet.
„Geschwind öffnen," befiehlt dann der Arzt halblaut — er-
regt , „sonst geht er am Ende wieder! . . wunderbar, wie sich
inein Posten erfüllt! . . Und hören Sie, zehn Minuten laß' ich
ihn warten — das wirkt bester!"
Schon ist er im Ordinationszimmer und legt das Ohr an
den Thürspalt. Zwiesler hat den Besucher hereingesührt und
spricht mit ihm. wie er wieder treuherzig schwindelt, der wackere
Alte! — „So, so, der perr Doktor ist also viel beschäftigt?" hört
Meier den Fremden mit tiefer sympathischer Stimme sagen. Ein
Rentier — oder ein höherer Beamter — oder ein Ritterguts-
besitzer ! . . Der junge Arzt sieht schon goldene Berge vor sich.
„Gl" verninnnt er jetzt den biederen Schneider, „Sie sind
schon der Dreizehnte heut'! . Nein, der Bierzehnte — daß i' ’s
recht sag' I Der perr Doktor is ja gar g'schickt! Der hat 's G'riß!
warten werden S' halt ein Bißl müssen! 's ist g'rad' Einer
d'rinn! Ein sehr kritischer Fall!"
„pm, hm!" brummt der Fremde und fährt nach einer Pause
fort: „pat er denn jeden Tag so viel zu thun?"
„Ach!" lacht Zwiesler beinahe mitleidig. „Das is ja heut'
noch gar nix! Gestern haben s' fast 's paus g'stürmt! Auf
der Stiegen sind s' g'standen!"
„So, so!" entgegnet der Andere. „Und wie lange schon hat
er seine Praxis eröffnet?"
„O", schwindelt das Faktotum, „seit einem halben Jahr erst!
Aber wenn Einer so tüchtig ist — das redet sich rasch 'rum! Jetzt
hat er schon keine Zeit zum Esten mehr!" —
Nun hält Doktor Meier es an der Zeit, den Fremden ein-
zulasten. Er öffnet die Rorridorthüre nach der anderen Seite,
imitirt einen kurzen Abschied und schellt dann. Der große Moment
kommt. Zwiesler läßt den längst ersehnten „Ersten" eintreten.
Es ist ein stattlicher Mann mit energischem Aussehen. Der
junge Arzt empfängt ihn mit einem leichten Ropsnicken.
„Bitte!" sagt er, ohne sich — als vielbeschäftigter Mann •
24*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein vorsichtiger Bursche" "Fatal"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1902
Entstehungsdatum (normiert)
1897 - 1907
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 117.1902, Nr. 2994, S. 279
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg