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> Allerseelen.
jit endlosen Reihen fluteten die Menschen durch die
Friedhofspforten - stille Besucher, die mit Blume»
und Kränzen, mit Grablaternen und anderem Toten-
schmuck zu den Gräbern der Ihren kamen, um sie
an diesem Gedenktag zu zieren und in stummem Gebete eine
kurze Meile vom Lärm des Lebens dort ausznraste», wo ewiger
Friede war. Manch rührender Beweis der Liebe und Treue war
in den langen Gräberreiheu zu finden. Lhristbäumchen mit flackern-
den Lichtern brannten, Hin und wieder sah man auch ein lockiges
Kinderantlitz, das Bild eines schönen blühenden Mädchens, eines
verrunzelten Greiscngesichtes über dem blumendnftenden Hügel
ausgestellt zur Erinnerung an den stillen Schläfer drunten, Hier
lag ein Stein schon halb zerfallen mit verwitterter Inschrift,
von keinem mehr gepflegt, nur durch das Milleid eines vorüber-
gehenden mit ein paar späten Astern überstreut. Dort wieder
zeigten frische Kränze und bunte Schleifen mit letzten Grüßen, daß
der, der drunten schlummerte, erst vor wenigen Tagen seine Ruhe-
stätte ausgesucht. Zuweilen wiesen die vaterländischen Farben, das
Eiserne Kreuz, ein Helm oder ein schlichtes Schwert darauf hin, daß
ein Krieger in Heimaterde schlief, der für sein Volk gefallen war.
viele aber unter denen, die durch die Gräberreihen wanderteu,
hätten umsonst nach dem teuren Toten gesucht, bei dem ihr Herz
jetzt iveilte. Sie wußten ja gar wohl, daß er in fernem Feindes-
lande lag, wo heute nur die treue Band braver Kameraden in
schlichter Meise ihm die Stätte schmückte, vielleicht auch lag er
namenlos und nicht gefunden irgendwo in frenider Erde und nur
ein kurzer Strahl der Sonne, die um alle ihre Kinder weiß, irrte
liebkosend über sein einsames veldengrab.
Drei Menschen schritten mitsammen stumm und gedrückt durch
das stille und doch so bewegliche Volk der Friedhofsgästc. Sie
hatten sich seit Monaten zusauimengesunden in gemeinsamem
Leid. Jedem von ihnen war draußen einer gefallen, der sein
Liebstes gewesen — bei W^tschaede damals im schrecklichen Maffen-
stnrm. Der gleiche Verlust, der nämliche Schmerz hatte sic einander
zngcsührt. In den Briefen des einen war der Name des andern
gestanden — und so suchten sie sich ans und trafen sich immer
und immer wieder und fanden gegenseitig etwas Trost in der
Schilderung von hundert und hundert kleinen einzelnen Zügen
ans dem Leben der lieben Toten, in tausend und aber tausend
Erinnerungen von den Kindertagen bis herauf zum letzten Hände-
drnck des Abschieds.
vor den: Friedhof auf einem einsamen Hügel stand eine Bank.
Dort ließen sie sich - wie oft schon nieder und schauten hinunter
in das entblätterte Tal, über dem die Schatten und Nebel des
Novemberabends brauten.
„Wie mein Leben!" sagte das eine. „Farblos und freudenlos
hinfort für alle Zeit!"
„Farblos »nd freudenlosI" wiederholte das andere, „Wozu
überhaupt noch leben?!"
„Leben wir denn eigentlich wirklich noch?" meinte das
dritte. „Das ist doch kein Leben mehr ohne Lebenszweck. Mußte
denn gerade er fallen, gerade er mir genommen werden, er, der
selber so voll Lebensfreude war, der hiuanszog in den Krieg so
voll Heldensinn?!"
„Und so voll Tatkraft — für's Vaterland — für alle!"
fügte das zweite bei.
„Und so voll Vpfermut!" ergänzte das dritte.
Da sahen sie sich plötzlich alle drei in die Augen, von einem
Gedanken ergriffen — erschrocken und fast etwas beschämt zugleich.
„veldensinn - Tatkraft — Vpfermut!" wieder-
holten sie. „Soll das alles — ihr Bestes — tot sei», nicht als
ihr teures Erbe in uns weiterleben?!"
Und sie erhoben sich nnd kehrten zurück — Hand in Hand —
heiter nnd aufrecht.. . .
Wilhelm Herbert.
—-e- Glück. —
Hur wenige sinü's, die in kühnem Wagen
Das Glück erkämpfen, das Glück erjagen:
Die meisten pflegen mit Müh'n und Schwitzen
Sich ihr Philisterglück zu — ersitzen I
ffl. ®. W.
Jene junge Dame, welche Sonntag im Cafe „Edelweiß" den
blonden Herrn von angenehmem Äußern (Beamter, -lOOO Mark
Gehalt, gute Familie, später Vermögen) längere Zeit wohlgefällig
betrachtete, wird, falls Annäherung erwünscht, in ihrem eigenen
Interesse um ein Lebenszeichen gebeten.
... . Die Regierung hat ganz recht, ivcnn sie gegen die
Stoffverschivendung vargeht; ich iverdc mir an Stelle eines weiten
Kleides — zwei enge machen lassen!"
> Allerseelen.
jit endlosen Reihen fluteten die Menschen durch die
Friedhofspforten - stille Besucher, die mit Blume»
und Kränzen, mit Grablaternen und anderem Toten-
schmuck zu den Gräbern der Ihren kamen, um sie
an diesem Gedenktag zu zieren und in stummem Gebete eine
kurze Meile vom Lärm des Lebens dort ausznraste», wo ewiger
Friede war. Manch rührender Beweis der Liebe und Treue war
in den langen Gräberreiheu zu finden. Lhristbäumchen mit flackern-
den Lichtern brannten, Hin und wieder sah man auch ein lockiges
Kinderantlitz, das Bild eines schönen blühenden Mädchens, eines
verrunzelten Greiscngesichtes über dem blumendnftenden Hügel
ausgestellt zur Erinnerung an den stillen Schläfer drunten, Hier
lag ein Stein schon halb zerfallen mit verwitterter Inschrift,
von keinem mehr gepflegt, nur durch das Milleid eines vorüber-
gehenden mit ein paar späten Astern überstreut. Dort wieder
zeigten frische Kränze und bunte Schleifen mit letzten Grüßen, daß
der, der drunten schlummerte, erst vor wenigen Tagen seine Ruhe-
stätte ausgesucht. Zuweilen wiesen die vaterländischen Farben, das
Eiserne Kreuz, ein Helm oder ein schlichtes Schwert darauf hin, daß
ein Krieger in Heimaterde schlief, der für sein Volk gefallen war.
viele aber unter denen, die durch die Gräberreihen wanderteu,
hätten umsonst nach dem teuren Toten gesucht, bei dem ihr Herz
jetzt iveilte. Sie wußten ja gar wohl, daß er in fernem Feindes-
lande lag, wo heute nur die treue Band braver Kameraden in
schlichter Meise ihm die Stätte schmückte, vielleicht auch lag er
namenlos und nicht gefunden irgendwo in frenider Erde und nur
ein kurzer Strahl der Sonne, die um alle ihre Kinder weiß, irrte
liebkosend über sein einsames veldengrab.
Drei Menschen schritten mitsammen stumm und gedrückt durch
das stille und doch so bewegliche Volk der Friedhofsgästc. Sie
hatten sich seit Monaten zusauimengesunden in gemeinsamem
Leid. Jedem von ihnen war draußen einer gefallen, der sein
Liebstes gewesen — bei W^tschaede damals im schrecklichen Maffen-
stnrm. Der gleiche Verlust, der nämliche Schmerz hatte sic einander
zngcsührt. In den Briefen des einen war der Name des andern
gestanden — und so suchten sie sich ans und trafen sich immer
und immer wieder und fanden gegenseitig etwas Trost in der
Schilderung von hundert und hundert kleinen einzelnen Zügen
ans dem Leben der lieben Toten, in tausend und aber tausend
Erinnerungen von den Kindertagen bis herauf zum letzten Hände-
drnck des Abschieds.
vor den: Friedhof auf einem einsamen Hügel stand eine Bank.
Dort ließen sie sich - wie oft schon nieder und schauten hinunter
in das entblätterte Tal, über dem die Schatten und Nebel des
Novemberabends brauten.
„Wie mein Leben!" sagte das eine. „Farblos und freudenlos
hinfort für alle Zeit!"
„Farblos »nd freudenlosI" wiederholte das andere, „Wozu
überhaupt noch leben?!"
„Leben wir denn eigentlich wirklich noch?" meinte das
dritte. „Das ist doch kein Leben mehr ohne Lebenszweck. Mußte
denn gerade er fallen, gerade er mir genommen werden, er, der
selber so voll Lebensfreude war, der hiuanszog in den Krieg so
voll Heldensinn?!"
„Und so voll Tatkraft — für's Vaterland — für alle!"
fügte das zweite bei.
„Und so voll Vpfermut!" ergänzte das dritte.
Da sahen sie sich plötzlich alle drei in die Augen, von einem
Gedanken ergriffen — erschrocken und fast etwas beschämt zugleich.
„veldensinn - Tatkraft — Vpfermut!" wieder-
holten sie. „Soll das alles — ihr Bestes — tot sei», nicht als
ihr teures Erbe in uns weiterleben?!"
Und sie erhoben sich nnd kehrten zurück — Hand in Hand —
heiter nnd aufrecht.. . .
Wilhelm Herbert.
—-e- Glück. —
Hur wenige sinü's, die in kühnem Wagen
Das Glück erkämpfen, das Glück erjagen:
Die meisten pflegen mit Müh'n und Schwitzen
Sich ihr Philisterglück zu — ersitzen I
ffl. ®. W.
Jene junge Dame, welche Sonntag im Cafe „Edelweiß" den
blonden Herrn von angenehmem Äußern (Beamter, -lOOO Mark
Gehalt, gute Familie, später Vermögen) längere Zeit wohlgefällig
betrachtete, wird, falls Annäherung erwünscht, in ihrem eigenen
Interesse um ein Lebenszeichen gebeten.
... . Die Regierung hat ganz recht, ivcnn sie gegen die
Stoffverschivendung vargeht; ich iverdc mir an Stelle eines weiten
Kleides — zwei enge machen lassen!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Ewigweibliche"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 143.1915, Nr. 3666, S. 209
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg