Der Rechenkünstler.
Von Varl Lütge.
er ist ein Rechenkünstler?
Adam Riese? Reine Spurl Der hat die Sache bloß
mal erfunden. Das will gar nichts heißen.
Lin Mathematiker? Erst recht nicht! viel zu nüchterner All-
tagsmensch I Im übrigen ist das keine 'Kunst, Wenn ich die Lache
studiert hätte, war ich's auch. Das, was man lernte, ist keine Kunst.
Kunst ist angeflogenes. Wofür man nichts kann. Bder doch! Ich
will niemand zu nahe treten. Es ist zwar so, daß man für seine
Fehler gewöhnlich andere Dinge verantwortlich macht, aber bei
seinen Vorzügen den Anspruch erhebt, Schuld daran zu sein. Die
Künstler bei ihren Leistungen besonders.
Also Rechenkünstler ist der, der die Kunst, alles zu rechnen,
beherrscht. Und solch ein Rechenkünstler war unser Kollege Schuster
im Amt. Ls war eine wahre Leidenschaft bei ihm, alles zu rechnen,
was rechenbar war.
Lines Tages kam ein neuer Kollege. Der gab ihm in liebens-
würdiger Weise einige Exempel auf. Die löste therr Schuster mit
strahlendem Gesicht. Denn sie waren nicht schwer. Aber das wußte
er nicht. Erst als, wir es sagten. Da schwur er, die allerschivierigsten
Erempel zu rechnen. Und weil er so ernsthaft war, gab ihm der
Neue zwei solcher Exempel auf.
Das erste lautete: „Ein Wagen von dreieinhalb Meter Länge
hat Räder von eineinhalb Meter Durchmesser hinten und einein-
viertel Meter vorn. Er ist zwei Meter hoch und eineinhalb Meter
breit, Wie lang ist die Deichsel."
Schuster schrieb eifrig das Erempel nieder. Er bekam es aber
trotz eifrigsten Rechnens nicht heraus. Da sagte er endlich, daß
er's in Ruhe daheinl rechnen würde.
Er bat uni das zweite Exempel. Das lautete also: „Die Sonne
steht so schräg am ksimniel, daß ein vier Meter hoher Baum einen
zwei Meter langen Schatten wirft. Daneben steht ein Monn von
ein Meter siebzig Größe, dessen Schattenwurf deni des Baumes im
Verhältnis gleicht, Welche Kopfgröße hat der Mann?"
Auch hier rechnete Schuster eifrig. Allein auch hier versagte
er. was ihn sehr schmerzte. Ulan sah es deutlich. Und er konnte
an diesen: Tage nichts tun, als die gespannt wartenden auf das
„Daheim-in-Ruhe-rechnen" vertrösten.
Und er rechnete dahcini. Sein Künstlerstolz regte sich, Wo er
sonst jedes noch so schwierig scheinende Rechenexemxel glatt heraus-
bekam, sollte er hier versagen?
Und er rechnete vor der Vesper. Und er rechnete während und
nach der Vesper. Und er rechnete vor, während und nach dem
Nachtessen und auch dann noch. Die ganze Nacht rechnete er. . .
Es war unmöglich!
Endlich ließ er ab, als ein böser Geist nahe daran war, ihn
mit seinen Krallen in: Genick zu packen.
Mutlos lebte er seitdem und noch heute seine Tage dahin.
Nichts schmeckt ihn: mehr. An nichts hatte er Freude. Es schmerzte
ihn, daß ihn: die Kraft fehlte, Außerordentliches zu leisten. . .
Doch mit der Zeit trug er standhafter sein Leid und fühlte
sich als Märtyrer. Künstlerschicksal war es halt. . .
Da war nichts zu machen.
E CZclori^
Z7in Schusterlein im Kellerloch
*—* Das nähte ohn’ Ermüden,
Ob Sonnenschein durch’s Fenster
kroch,
Ob Winterflocken sprühten.
Und Wenn sich je sein Auge hob,
So sah es im Gedränge
IM
Von Varl Lütge.
er ist ein Rechenkünstler?
Adam Riese? Reine Spurl Der hat die Sache bloß
mal erfunden. Das will gar nichts heißen.
Lin Mathematiker? Erst recht nicht! viel zu nüchterner All-
tagsmensch I Im übrigen ist das keine 'Kunst, Wenn ich die Lache
studiert hätte, war ich's auch. Das, was man lernte, ist keine Kunst.
Kunst ist angeflogenes. Wofür man nichts kann. Bder doch! Ich
will niemand zu nahe treten. Es ist zwar so, daß man für seine
Fehler gewöhnlich andere Dinge verantwortlich macht, aber bei
seinen Vorzügen den Anspruch erhebt, Schuld daran zu sein. Die
Künstler bei ihren Leistungen besonders.
Also Rechenkünstler ist der, der die Kunst, alles zu rechnen,
beherrscht. Und solch ein Rechenkünstler war unser Kollege Schuster
im Amt. Ls war eine wahre Leidenschaft bei ihm, alles zu rechnen,
was rechenbar war.
Lines Tages kam ein neuer Kollege. Der gab ihm in liebens-
würdiger Weise einige Exempel auf. Die löste therr Schuster mit
strahlendem Gesicht. Denn sie waren nicht schwer. Aber das wußte
er nicht. Erst als, wir es sagten. Da schwur er, die allerschivierigsten
Erempel zu rechnen. Und weil er so ernsthaft war, gab ihm der
Neue zwei solcher Exempel auf.
Das erste lautete: „Ein Wagen von dreieinhalb Meter Länge
hat Räder von eineinhalb Meter Durchmesser hinten und einein-
viertel Meter vorn. Er ist zwei Meter hoch und eineinhalb Meter
breit, Wie lang ist die Deichsel."
Schuster schrieb eifrig das Erempel nieder. Er bekam es aber
trotz eifrigsten Rechnens nicht heraus. Da sagte er endlich, daß
er's in Ruhe daheinl rechnen würde.
Er bat uni das zweite Exempel. Das lautete also: „Die Sonne
steht so schräg am ksimniel, daß ein vier Meter hoher Baum einen
zwei Meter langen Schatten wirft. Daneben steht ein Monn von
ein Meter siebzig Größe, dessen Schattenwurf deni des Baumes im
Verhältnis gleicht, Welche Kopfgröße hat der Mann?"
Auch hier rechnete Schuster eifrig. Allein auch hier versagte
er. was ihn sehr schmerzte. Ulan sah es deutlich. Und er konnte
an diesen: Tage nichts tun, als die gespannt wartenden auf das
„Daheim-in-Ruhe-rechnen" vertrösten.
Und er rechnete dahcini. Sein Künstlerstolz regte sich, Wo er
sonst jedes noch so schwierig scheinende Rechenexemxel glatt heraus-
bekam, sollte er hier versagen?
Und er rechnete vor der Vesper. Und er rechnete während und
nach der Vesper. Und er rechnete vor, während und nach dem
Nachtessen und auch dann noch. Die ganze Nacht rechnete er. . .
Es war unmöglich!
Endlich ließ er ab, als ein böser Geist nahe daran war, ihn
mit seinen Krallen in: Genick zu packen.
Mutlos lebte er seitdem und noch heute seine Tage dahin.
Nichts schmeckt ihn: mehr. An nichts hatte er Freude. Es schmerzte
ihn, daß ihn: die Kraft fehlte, Außerordentliches zu leisten. . .
Doch mit der Zeit trug er standhafter sein Leid und fühlte
sich als Märtyrer. Künstlerschicksal war es halt. . .
Da war nichts zu machen.
E CZclori^
Z7in Schusterlein im Kellerloch
*—* Das nähte ohn’ Ermüden,
Ob Sonnenschein durch’s Fenster
kroch,
Ob Winterflocken sprühten.
Und Wenn sich je sein Auge hob,
So sah es im Gedränge
IM
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die beiden Schuster"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1920
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 152.1920, Nr. 3897, S. 160
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg