Rotkappen.
Das war schon früher, als meine Mutter noch glaubte, ich würde
auch einmal „gescheiter". Da schickte sie mich in die Schwammerl.
Zuerst wollte ich das weitmaschige Brotnetz über die Schulter
hängen; denn ich wollte nur Prachtexemplare heimbringen, aus-
gesuchte und gewichtige. Aber das wurde mir ausgeredet: nur
kleine und junge. Ich brummte noch eine Weile. Dann ging ich
und summte noch lang zu irgendeiner Melodie: nur kleine und
junge. . . Und schüttelte manchmal den Kopf und summte wieder.
Bis ich im Wald war.
Die Vogelbeeren blühten schon ihre reifen Dolden und von
den Ahornen tropften rote Blätter. Und gelbe dazwischen.
weißt du, so in den frühen kserbst hinein. Wo im Tal noch
Blumen blühen und auf den Höhen schon das Laub raschelt, wo
verlassener Mohn in den Stoppeln glüht und doch manchmal noch
ein Kornfeld wogt. In den kirschenschwarzen, reisenden Herbst
hinein. Ein bißchen düster und viel, viel Heiterkeit drüber gespannt,
wie der hellsichtige Himmel. Und ein bißchen melancholisch, wie
der Altweibersommer zwischen den Döhren strickt.
Bis ich plötzlich zornig werde und einen faden zerreiße: diese
verst.... Spinne. Und die Spinne hör' ich dann brummen, auch
ein wenig giftig: dieser verst.... Mensch.
So redet man aneinander vorbei.
Auf einmal stand ich auf einer Lichtung unter lauter Farben.
Das Moos grünte und gilbte und glühte. Wachholder und Schleh-
dorn in silberbereiftem Röcklein, Brombeeren in glänzendem Schwarz.
Und sagenhaft rauschten die föhrenwipfel hoch oben, wie Palmen
und große, feierliche Fächer schwankten sie in den seid'nen Himmel.
Irgendwo mußte so eine Stadt liegen, nur für schauende
Augen und träumende Kinder. So im Abendgold versunken, von
hohen, sprungschlanken Wipfeln umwiegt . . .
Lag sie da: Kuppel an Kuppel, Dach an Dach. Kleine und
zierliche, wuchtige und pompöse, feierlich und tänzelnd, Häuser.
Nein: Tempel an Tempel, in allen Stilarten.
Und lauter Purpur und Gold und blutiges Rot. Ich schritt
hinein. Straße für Straße. Sah seltsame Wesen, die mir zunickten
und freundliche Blicke schenkten, verschleierte frauen, die blüten-
blanke Hände hatten und mir winkten, fremdartige Bäume, die
sich rankten und schlangen wie Verzierungen in alten Büchern.
Und auf der höchsten Kuppel hielt ein Schmetterling mit feier-
voll gefalteten flügeln ein Gebet oder einen Tanz.
Selig versunken stand ich und hielt Andacht. Bder sang ich
ein übermütiges Lied? wie ein Sonntag trinkend am tiefen Him-
mel hängt und alles Land segnet — so der falter über der Stadt.
Der purpurnen, gold'nen Stadt.
Bis er die flügel breitete, unerwacht seines betenden Glücks,
und emportaumelte. Tief ins Blaue hinauf und unterging in
himmelklarer Seligkeit. . .
Ich ging durch die föhren fort. Der Abend huschte von
Stamm zu Stamm und nahm ihnen die Scharlachmäniel ab.
Nochmal schaute ich mich um, sah blaue Schatten auf die
Stadt fallen und schritt meinen weg. Dämmernebel stiegen aus
den feldern, mein Schatten längte sich, wurde grau und verschwand.
Stern um Stern ging auf.
Mit der Dunkelheit wanderte ich ins Städtchen, stand vor dem
Haustor und . . .
Das Schwammerlnctz: ich hatte all die Rotkappen stehen lassen.
Auch die jungen und kleinen. Erst recht.
„Natürlich, wenn man Dich fortschickt, kommt nichts Gescheites
heraus . . ." Allerdings, was Gescheites nicht. Aber schön, schön.
Mskar Kroll.
Der Meister und sein Lehrjunge.
„So, Herr Professor, jetzt bin ich da und bitte die Güte zu
haben, mir raschest eine Büste von mir zum Geburtstag meines
Mannes anzufertigcn!" — „Ja, Frau Expeditor, so schnell, wie
Sie das glauben, geht das nicht — sehen Sie, um etwas Ge-
diegenes zu schaffen, muß ich zunächst Ihre Gestalt sorgfältig stu-
dieren. Dann muß ich vorher eine richtige Skizze anfertigen und
dann müssen Sie die .Güte <>aben, mir mindestens fünf Sitzungen
freundlichst gewähren Zollen Sie vielleicht
heute mein Atelier ein
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Das war schon früher, als meine Mutter noch glaubte, ich würde
auch einmal „gescheiter". Da schickte sie mich in die Schwammerl.
Zuerst wollte ich das weitmaschige Brotnetz über die Schulter
hängen; denn ich wollte nur Prachtexemplare heimbringen, aus-
gesuchte und gewichtige. Aber das wurde mir ausgeredet: nur
kleine und junge. Ich brummte noch eine Weile. Dann ging ich
und summte noch lang zu irgendeiner Melodie: nur kleine und
junge. . . Und schüttelte manchmal den Kopf und summte wieder.
Bis ich im Wald war.
Die Vogelbeeren blühten schon ihre reifen Dolden und von
den Ahornen tropften rote Blätter. Und gelbe dazwischen.
weißt du, so in den frühen kserbst hinein. Wo im Tal noch
Blumen blühen und auf den Höhen schon das Laub raschelt, wo
verlassener Mohn in den Stoppeln glüht und doch manchmal noch
ein Kornfeld wogt. In den kirschenschwarzen, reisenden Herbst
hinein. Ein bißchen düster und viel, viel Heiterkeit drüber gespannt,
wie der hellsichtige Himmel. Und ein bißchen melancholisch, wie
der Altweibersommer zwischen den Döhren strickt.
Bis ich plötzlich zornig werde und einen faden zerreiße: diese
verst.... Spinne. Und die Spinne hör' ich dann brummen, auch
ein wenig giftig: dieser verst.... Mensch.
So redet man aneinander vorbei.
Auf einmal stand ich auf einer Lichtung unter lauter Farben.
Das Moos grünte und gilbte und glühte. Wachholder und Schleh-
dorn in silberbereiftem Röcklein, Brombeeren in glänzendem Schwarz.
Und sagenhaft rauschten die föhrenwipfel hoch oben, wie Palmen
und große, feierliche Fächer schwankten sie in den seid'nen Himmel.
Irgendwo mußte so eine Stadt liegen, nur für schauende
Augen und träumende Kinder. So im Abendgold versunken, von
hohen, sprungschlanken Wipfeln umwiegt . . .
Lag sie da: Kuppel an Kuppel, Dach an Dach. Kleine und
zierliche, wuchtige und pompöse, feierlich und tänzelnd, Häuser.
Nein: Tempel an Tempel, in allen Stilarten.
Und lauter Purpur und Gold und blutiges Rot. Ich schritt
hinein. Straße für Straße. Sah seltsame Wesen, die mir zunickten
und freundliche Blicke schenkten, verschleierte frauen, die blüten-
blanke Hände hatten und mir winkten, fremdartige Bäume, die
sich rankten und schlangen wie Verzierungen in alten Büchern.
Und auf der höchsten Kuppel hielt ein Schmetterling mit feier-
voll gefalteten flügeln ein Gebet oder einen Tanz.
Selig versunken stand ich und hielt Andacht. Bder sang ich
ein übermütiges Lied? wie ein Sonntag trinkend am tiefen Him-
mel hängt und alles Land segnet — so der falter über der Stadt.
Der purpurnen, gold'nen Stadt.
Bis er die flügel breitete, unerwacht seines betenden Glücks,
und emportaumelte. Tief ins Blaue hinauf und unterging in
himmelklarer Seligkeit. . .
Ich ging durch die föhren fort. Der Abend huschte von
Stamm zu Stamm und nahm ihnen die Scharlachmäniel ab.
Nochmal schaute ich mich um, sah blaue Schatten auf die
Stadt fallen und schritt meinen weg. Dämmernebel stiegen aus
den feldern, mein Schatten längte sich, wurde grau und verschwand.
Stern um Stern ging auf.
Mit der Dunkelheit wanderte ich ins Städtchen, stand vor dem
Haustor und . . .
Das Schwammerlnctz: ich hatte all die Rotkappen stehen lassen.
Auch die jungen und kleinen. Erst recht.
„Natürlich, wenn man Dich fortschickt, kommt nichts Gescheites
heraus . . ." Allerdings, was Gescheites nicht. Aber schön, schön.
Mskar Kroll.
Der Meister und sein Lehrjunge.
„So, Herr Professor, jetzt bin ich da und bitte die Güte zu
haben, mir raschest eine Büste von mir zum Geburtstag meines
Mannes anzufertigcn!" — „Ja, Frau Expeditor, so schnell, wie
Sie das glauben, geht das nicht — sehen Sie, um etwas Ge-
diegenes zu schaffen, muß ich zunächst Ihre Gestalt sorgfältig stu-
dieren. Dann muß ich vorher eine richtige Skizze anfertigen und
dann müssen Sie die .Güte <>aben, mir mindestens fünf Sitzungen
freundlichst gewähren Zollen Sie vielleicht
heute mein Atelier ein
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Meister und sein Lehrjunge"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1920
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 153.1920, Nr. 3929, S. 158
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg