Dichtungen
aller Art.
von ijans Sauer.
Als ich noch in der
Lipustastraße wohnte, sah
ich immer beim Gucken
aus den, Lenster auf ein
graues, schmales ksaus.
Links neben dessen kfaus-
tür war ein Schild be-
festigt, das diese Aufschrift
trug:
Dichtungen aller Art
p. Llibus pari. r.
Dichtungen aller Art!
Lin Gelegenheitsdichter
also, der bsochzeits- und
Tauf-, Schlachtfest- und
Begräbnis-, Verlobungs-
und Jubiläumsgedichte
schmiedete I . . Seltsamer
Beruf I Was der Mann
wohl verlangte? Gott,
man war schließlich auch
vom Metier. So etwas
interessierte einen. Gb
das Geschäft wohl ging?
Schon möglich: wieviel
Vorstandsbonzen, untalen-
tierte Bräutigams moch-
ten hier nicht ein- und
ausgehen, um ihren Leu-
ten Vortäuschen zu kön-
nen , daß sie Gedichte,
richtige, rechte Reimge-
dichte machen können! Ani
Ende verdiente dieser Lli-
bus mehr als unsereiner! Und was für Zeug er wohl schreiben
mochte! Ich konnte mir schon denken: „kseut' zu Deinen, Jubel-
feste, wünschen wir das Allerbeste, Dir, o lieber Großpapa . .
Als ich ungefähr ein viertel Jahr lang Tag für Tag Kein, An-
blicken des Schildes nachsinnend geworden war, faßte ich einen
heftigen Entschluß. Dieser Llibus sollte nur etwas dichten. Nun
wollte ich doch einmal
sehen. Mich interessierte
dieser Mensch, vielleicht
war er ein kleiner Gauner,
der frech alle bsochzeits-
und Bierzeitungen plün-
derte und bloß die Na-
men austauschte, vielleicht
aber war er auch ein ent-
täuschtes Talent. Einer,
der geglaubt hatte, als
Goethe zu enden und nun,
mürbe gemacht durch Fehl-
schläge und Fehlschläge,
ein kümmerliches Gelegen-
heitsdichterdasein fristete,
vielleicht entdeckte ich ein
verkümmertes Genie in
ihm ... I
Ich ging also hinü-
ber. parterre rechts. Wie-
der das kleine Schild : Dich-
tungen aller Art. Ich
klingelte. Line Lrau öff-
nete. Verzeihung I Und
nieine Tante würde iiber-
niorgen 75 Jahre alt und
hieße Aatinke Semmel-
teig und sollte von mir
ein Gedicht kriegen.
Die Lrau schaute
mich entgeistert an. Sagt
kein Wort. Dann lallt
sie: „Ihre Tante... 75
Jahre!" Und scheint dann
plötzlich Lurcht zu bekom-
men und schreit in die
Stube: „paul! paul!
Komm einmal her I"
paul erscheint. Ich trage mein Anliegen noch einmal vor. paul
starrt mich an. Was ihn wohl meine Tante angehe? Und ob ich .. .
Ja, wie denn: Er dichte doch?
Ja, Wasserhähne, Badewannen, Rohrleitungen, Alosettkanäle.
Auch ganze Anlagen känien in Betracht. —
Wie ganz anders achte ich diesen Mann seither!
Ein Grantelhauer. Stammgast (nachdem der Tischnachbar mehrere-
mal versucht hat, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen): „Rest, bringen S'
dem Herrn was zu lesen!"
Galgenhumor.
Radfahrer: „Sie kommen mir so bekannt vor; hatte ich nicht schon mal,das Vergnügen?"
Der Überfahrene: „Nee; soviel ich weiß, überfahren Sie mich heute zum ersten Mal!"
*
76
aller Art.
von ijans Sauer.
Als ich noch in der
Lipustastraße wohnte, sah
ich immer beim Gucken
aus den, Lenster auf ein
graues, schmales ksaus.
Links neben dessen kfaus-
tür war ein Schild be-
festigt, das diese Aufschrift
trug:
Dichtungen aller Art
p. Llibus pari. r.
Dichtungen aller Art!
Lin Gelegenheitsdichter
also, der bsochzeits- und
Tauf-, Schlachtfest- und
Begräbnis-, Verlobungs-
und Jubiläumsgedichte
schmiedete I . . Seltsamer
Beruf I Was der Mann
wohl verlangte? Gott,
man war schließlich auch
vom Metier. So etwas
interessierte einen. Gb
das Geschäft wohl ging?
Schon möglich: wieviel
Vorstandsbonzen, untalen-
tierte Bräutigams moch-
ten hier nicht ein- und
ausgehen, um ihren Leu-
ten Vortäuschen zu kön-
nen , daß sie Gedichte,
richtige, rechte Reimge-
dichte machen können! Ani
Ende verdiente dieser Lli-
bus mehr als unsereiner! Und was für Zeug er wohl schreiben
mochte! Ich konnte mir schon denken: „kseut' zu Deinen, Jubel-
feste, wünschen wir das Allerbeste, Dir, o lieber Großpapa . .
Als ich ungefähr ein viertel Jahr lang Tag für Tag Kein, An-
blicken des Schildes nachsinnend geworden war, faßte ich einen
heftigen Entschluß. Dieser Llibus sollte nur etwas dichten. Nun
wollte ich doch einmal
sehen. Mich interessierte
dieser Mensch, vielleicht
war er ein kleiner Gauner,
der frech alle bsochzeits-
und Bierzeitungen plün-
derte und bloß die Na-
men austauschte, vielleicht
aber war er auch ein ent-
täuschtes Talent. Einer,
der geglaubt hatte, als
Goethe zu enden und nun,
mürbe gemacht durch Fehl-
schläge und Fehlschläge,
ein kümmerliches Gelegen-
heitsdichterdasein fristete,
vielleicht entdeckte ich ein
verkümmertes Genie in
ihm ... I
Ich ging also hinü-
ber. parterre rechts. Wie-
der das kleine Schild : Dich-
tungen aller Art. Ich
klingelte. Line Lrau öff-
nete. Verzeihung I Und
nieine Tante würde iiber-
niorgen 75 Jahre alt und
hieße Aatinke Semmel-
teig und sollte von mir
ein Gedicht kriegen.
Die Lrau schaute
mich entgeistert an. Sagt
kein Wort. Dann lallt
sie: „Ihre Tante... 75
Jahre!" Und scheint dann
plötzlich Lurcht zu bekom-
men und schreit in die
Stube: „paul! paul!
Komm einmal her I"
paul erscheint. Ich trage mein Anliegen noch einmal vor. paul
starrt mich an. Was ihn wohl meine Tante angehe? Und ob ich .. .
Ja, wie denn: Er dichte doch?
Ja, Wasserhähne, Badewannen, Rohrleitungen, Alosettkanäle.
Auch ganze Anlagen känien in Betracht. —
Wie ganz anders achte ich diesen Mann seither!
Ein Grantelhauer. Stammgast (nachdem der Tischnachbar mehrere-
mal versucht hat, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen): „Rest, bringen S'
dem Herrn was zu lesen!"
Galgenhumor.
Radfahrer: „Sie kommen mir so bekannt vor; hatte ich nicht schon mal,das Vergnügen?"
Der Überfahrene: „Nee; soviel ich weiß, überfahren Sie mich heute zum ersten Mal!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Grantelhauer" "Sie konnten zusammen nicht kommen..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3945, S. 76
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg