Die pfttürtn.
Von Otto tzaberland.
Am unteren Dorfende, in der Leichenkammer, liegt ein altes
Weibl. Lin schmales, ganz gefurchtes Gesicht, mit eingefallenen
Lippen, das Kopftuch weit in die faltige Stirne hcreingeschobcn,
unterm spitzigen Kinn ein blaugcblümtes Balstüchel, um die magere
Brust ein schwarzes Nieder, aus dessen engen Ärmeln dürre Finger
schauen mit einem dazwischen gezwängten Stcrbkrcuzl. So liegt das
Weibl da. Einfach, ganz einfach, wie eine Armenhäuslerin. Und
wie sie es gewollt hat. Genau so.
Die alte Psnürin ist es. Dem Gsotterer von der Wcgscheid
seine Nutter. Ganz schnell ging es bei ihr. Ohne „pfüat Good"
und ohne alles. Vor zwei Tagen hat sie noch in der Stub'n Herum-
gewerkelt und mit der Ordnung das Saus geführt. Bat zeitweilig
auch am Fenster gehockt und am Kosmarinstöckl vorbei jedem
Wagen nachgeschaut, der die holperige Bergstraße entlang schnaufte.
Und erfreute sich an dem lustigen peitschengeschnackel der Fuhrleute
und schaute mit leuchtenden Augen ihre lange Lcbcnsstraße zurück
und dachte: „G'rod so lusti' war aa' da Mei' bei da Arbat; Gott
hob' eahm seli'!" Dazu strampelten die Stricknadeln zwischen den
Fingerknöcheln, klapperten lachend aneinander und schlupften durch
die wollrupsigcn Maschen wie sangspielendes Kindergewuzel. Und
auf ihrem Schoß quccksilbcrte der Wiegenknirxs, der Sans! — der
Sepperl putzte ihr die Brillengläser und das Rcsci zupfte an den
Kopftuchzixfeln herum. Und Großmutter hin und Großmutter her...
Lin Gefrag und ein Gctu war das, ein Streicheln und Tätscheln.
Und mitten in dem zwitschernden Umadum fällt es der Pfnürmutter
plötzlich ein, in ihr Austragstüberl und von da schnurg'rad' in den
bsimmel hinein zu humpeln.
Jetzt liegt sie in der Leichenkammer. Ganz schwarz drängt es
sich herein und um das hagere Weibl herum. Männer, Frauen und
Kinder. Und alles schluchzt aus und wischt sich schillernde Schusser
aus den Augenwinkeln. Die Blumcnsträußeln am Fußende der Toten-
bcttstatt werden immer mehr und der Kinderkranz immer größer.
„Großmuatta!"
Der Sexxerl tat gerne die Totentruhe hcraufkrareln. Auf die
Zehenspitzen stellt er sich, aber die Finger rutschen immer wieder
ab von der Bretterkante.
„Großmuatta, laß mi' halt ein! zu dir! 3' möcht' gern bei
dir schlafa."
Mit sanfter Gewalt muß die Gsotterin das weinende, sträu-
bende Büabl wegziehen. Da kommt aber schon von der andern
Seite der Truhe das Resci heraus und möchte die erste sein, in der
Großmutter ihr Bett hinein.
„Mein Gott, die Kinder", weint die Bas' von der Scheffau,
„sie könnan's net glaub'»."
„Naa, de könnan's net glaub'»; sie mar cahna all's." — Die
Gsotterin nimmt die Kinder aus der Leichcnkammcr.
„Ja, ja, sie war unser All's." Den Gsotterer stößt es her zum
Erbarmen. Er packt das tote Weibl an der Hand: ,,I' dank' dir
halt no' amal, Muatta, für dös viele Guatsci', dös d' uns to' hast,
vergclt's Good für all's, für all's — mehr kann i' ninima sag'n."
Dann geht auch er hinaus.
Im Gsottcrerhof ist alles wie ausgestorben. Gar nichts rührt
sich. Der phylar döst in seinem Häusl und stiert in die leere Freß<
schüffcl hinein. An der Haustüre drängen sich bettelnde Hennen
und warten auf das alte Weibl, das um so eine Zeit herum immer
mit einem liafcrl voll ausgeweichtcr Körndln kommt und mit aus-
gedrückten Brotrinden.
Aber die Pfnürmutter ist tot.
And drinnen in der Stub'n möchte der Loden gerne gekehrt
sein, die trockenen Windeln wollen von der Aushäng am Ofen
herunter, das Kosmarinstöckl am Fenster hätt' gern ein Wasser,
das Strickzeug eine Arbeit und der Wollknäuel daneben möchte
wieder purzclbäum' schlagen.
Aber die pfnürmutter ist tot.
Und dem Bauern seine Schnuxftücheln bräuchten herauswaschen,
in dem Knecht seine Socken sollte das Stopfe! schlupfen und das Parcit-
zeug im £jof hat auch keine Lust mehr, noch länger so dazuliegen, cs
möcht' klcingcmacht sein und schön gebündelt unter Dach kommen.
Aber die psnürin ist tot.
Und das Katzl miaut nach einem Milchleckerl und drüben im
Kinderkammerl schreit der Hansl in der Wieg'n und die Dirn dabei
bringt cs nicht fertig, das Besthockerl stad zu kriegen; cs reckt die
Armcrln in die Höh' und verlangt nach wem andern . . .
Aber die Großmutter ist tot.
Ja, die ist tot. — G'rad' wird der Deckel über das Wenige
gelegt, was die gute Seel' noch für einige Tage zum Anschauen
zurückgelasscn hatte bei ihrer raschen Himmelsreise. Aber die Ham-
merschläge sind nicht hart geführt; sic klingen wie lustiges Kinder-
getrippel über das Bachbrückl am Gsottcrerhof. Und jetzt kugeln
die ersten Steine wie ein Sackl voll Bikolausäpfcl auf die Truhe.
Endlich trampelt gar noch dicktropsigcr Kegen über die Schirm-
dachcln der Traucrgcmcindc. Und das hört sich schon g'rad' an wie
ein Schusscrspicl oder wie ein Kochlöffelgcklapper, kurzum wie die
größte Gaudi in der Gsottcrstub'n um die Großmutter herum.
,,D' Großniuatta pumpert Ivauwau", wisxclt der Sepperl. Und
das Rcsei kichert hellauf. Und die Großmutter lacht mit; denn so
hat sic es gewollt und so hat's ihr eine Freud' g'macht, der
psnürin ani Himmclfcnstcr.
Ein weißer Rabe.
„Nun, was ist mit den Devisen?" — „Hab'
keine. Auf den Eid freu' ich mich."
Glosse.
Im Wünschen liegt all unsre Not und Pein:
Wer wunschlos ist, der kann leicht weise sein.
C. E. W.
Klassische Übersetzung.
Est modus in rebas, sunt certi denique fines.
Es ist Mode in der Welt, es gibt schließlich ge-
wisse. Finessen.
G lass c.
Kahlköpfe immer mir zur Qual sitid,
Tod, »idit die außen, nein, die innen kahl sind.
O tS. SB.
M i ßv c r stn n dn i s.
Frau: „Also vor drei Jahren, als T» noch
ledig warst, iibrrnachtctest Du einmal aus dem
Wendelstein; mit wem denn, wenn ich fragen darf?
Gewiß mit ein paar übermütigen Freunde»?"
Mann: „Mitnidsten, liebe Dora!" Frau:
„Na, das ist noch schöner, also Frauenzimmer
waren mit von der Partie!"
Von Otto tzaberland.
Am unteren Dorfende, in der Leichenkammer, liegt ein altes
Weibl. Lin schmales, ganz gefurchtes Gesicht, mit eingefallenen
Lippen, das Kopftuch weit in die faltige Stirne hcreingeschobcn,
unterm spitzigen Kinn ein blaugcblümtes Balstüchel, um die magere
Brust ein schwarzes Nieder, aus dessen engen Ärmeln dürre Finger
schauen mit einem dazwischen gezwängten Stcrbkrcuzl. So liegt das
Weibl da. Einfach, ganz einfach, wie eine Armenhäuslerin. Und
wie sie es gewollt hat. Genau so.
Die alte Psnürin ist es. Dem Gsotterer von der Wcgscheid
seine Nutter. Ganz schnell ging es bei ihr. Ohne „pfüat Good"
und ohne alles. Vor zwei Tagen hat sie noch in der Stub'n Herum-
gewerkelt und mit der Ordnung das Saus geführt. Bat zeitweilig
auch am Fenster gehockt und am Kosmarinstöckl vorbei jedem
Wagen nachgeschaut, der die holperige Bergstraße entlang schnaufte.
Und erfreute sich an dem lustigen peitschengeschnackel der Fuhrleute
und schaute mit leuchtenden Augen ihre lange Lcbcnsstraße zurück
und dachte: „G'rod so lusti' war aa' da Mei' bei da Arbat; Gott
hob' eahm seli'!" Dazu strampelten die Stricknadeln zwischen den
Fingerknöcheln, klapperten lachend aneinander und schlupften durch
die wollrupsigcn Maschen wie sangspielendes Kindergewuzel. Und
auf ihrem Schoß quccksilbcrte der Wiegenknirxs, der Sans! — der
Sepperl putzte ihr die Brillengläser und das Rcsci zupfte an den
Kopftuchzixfeln herum. Und Großmutter hin und Großmutter her...
Lin Gefrag und ein Gctu war das, ein Streicheln und Tätscheln.
Und mitten in dem zwitschernden Umadum fällt es der Pfnürmutter
plötzlich ein, in ihr Austragstüberl und von da schnurg'rad' in den
bsimmel hinein zu humpeln.
Jetzt liegt sie in der Leichenkammer. Ganz schwarz drängt es
sich herein und um das hagere Weibl herum. Männer, Frauen und
Kinder. Und alles schluchzt aus und wischt sich schillernde Schusser
aus den Augenwinkeln. Die Blumcnsträußeln am Fußende der Toten-
bcttstatt werden immer mehr und der Kinderkranz immer größer.
„Großmuatta!"
Der Sexxerl tat gerne die Totentruhe hcraufkrareln. Auf die
Zehenspitzen stellt er sich, aber die Finger rutschen immer wieder
ab von der Bretterkante.
„Großmuatta, laß mi' halt ein! zu dir! 3' möcht' gern bei
dir schlafa."
Mit sanfter Gewalt muß die Gsotterin das weinende, sträu-
bende Büabl wegziehen. Da kommt aber schon von der andern
Seite der Truhe das Resci heraus und möchte die erste sein, in der
Großmutter ihr Bett hinein.
„Mein Gott, die Kinder", weint die Bas' von der Scheffau,
„sie könnan's net glaub'»."
„Naa, de könnan's net glaub'»; sie mar cahna all's." — Die
Gsotterin nimmt die Kinder aus der Leichcnkammcr.
„Ja, ja, sie war unser All's." Den Gsotterer stößt es her zum
Erbarmen. Er packt das tote Weibl an der Hand: ,,I' dank' dir
halt no' amal, Muatta, für dös viele Guatsci', dös d' uns to' hast,
vergclt's Good für all's, für all's — mehr kann i' ninima sag'n."
Dann geht auch er hinaus.
Im Gsottcrerhof ist alles wie ausgestorben. Gar nichts rührt
sich. Der phylar döst in seinem Häusl und stiert in die leere Freß<
schüffcl hinein. An der Haustüre drängen sich bettelnde Hennen
und warten auf das alte Weibl, das um so eine Zeit herum immer
mit einem liafcrl voll ausgeweichtcr Körndln kommt und mit aus-
gedrückten Brotrinden.
Aber die Pfnürmutter ist tot.
And drinnen in der Stub'n möchte der Loden gerne gekehrt
sein, die trockenen Windeln wollen von der Aushäng am Ofen
herunter, das Kosmarinstöckl am Fenster hätt' gern ein Wasser,
das Strickzeug eine Arbeit und der Wollknäuel daneben möchte
wieder purzclbäum' schlagen.
Aber die pfnürmutter ist tot.
Und dem Bauern seine Schnuxftücheln bräuchten herauswaschen,
in dem Knecht seine Socken sollte das Stopfe! schlupfen und das Parcit-
zeug im £jof hat auch keine Lust mehr, noch länger so dazuliegen, cs
möcht' klcingcmacht sein und schön gebündelt unter Dach kommen.
Aber die psnürin ist tot.
Und das Katzl miaut nach einem Milchleckerl und drüben im
Kinderkammerl schreit der Hansl in der Wieg'n und die Dirn dabei
bringt cs nicht fertig, das Besthockerl stad zu kriegen; cs reckt die
Armcrln in die Höh' und verlangt nach wem andern . . .
Aber die Großmutter ist tot.
Ja, die ist tot. — G'rad' wird der Deckel über das Wenige
gelegt, was die gute Seel' noch für einige Tage zum Anschauen
zurückgelasscn hatte bei ihrer raschen Himmelsreise. Aber die Ham-
merschläge sind nicht hart geführt; sic klingen wie lustiges Kinder-
getrippel über das Bachbrückl am Gsottcrerhof. Und jetzt kugeln
die ersten Steine wie ein Sackl voll Bikolausäpfcl auf die Truhe.
Endlich trampelt gar noch dicktropsigcr Kegen über die Schirm-
dachcln der Traucrgcmcindc. Und das hört sich schon g'rad' an wie
ein Schusscrspicl oder wie ein Kochlöffelgcklapper, kurzum wie die
größte Gaudi in der Gsottcrstub'n um die Großmutter herum.
,,D' Großniuatta pumpert Ivauwau", wisxclt der Sepperl. Und
das Rcsei kichert hellauf. Und die Großmutter lacht mit; denn so
hat sic es gewollt und so hat's ihr eine Freud' g'macht, der
psnürin ani Himmclfcnstcr.
Ein weißer Rabe.
„Nun, was ist mit den Devisen?" — „Hab'
keine. Auf den Eid freu' ich mich."
Glosse.
Im Wünschen liegt all unsre Not und Pein:
Wer wunschlos ist, der kann leicht weise sein.
C. E. W.
Klassische Übersetzung.
Est modus in rebas, sunt certi denique fines.
Es ist Mode in der Welt, es gibt schließlich ge-
wisse. Finessen.
G lass c.
Kahlköpfe immer mir zur Qual sitid,
Tod, »idit die außen, nein, die innen kahl sind.
O tS. SB.
M i ßv c r stn n dn i s.
Frau: „Also vor drei Jahren, als T» noch
ledig warst, iibrrnachtctest Du einmal aus dem
Wendelstein; mit wem denn, wenn ich fragen darf?
Gewiß mit ein paar übermütigen Freunde»?"
Mann: „Mitnidsten, liebe Dora!" Frau:
„Na, das ist noch schöner, also Frauenzimmer
waren mit von der Partie!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Klassische Übersetzung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 159.1923, Nr. 4082, S. 130
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg