Fliegende Blätter (161.1924 (Nr. 4118-4144) = 80. Jahrg.)

Lehmann war vom Pferd gestürzt und unter vielen Mühen wieder in den Sattel gekommen — nur umgekehrt. Fatalerweise
begegnet ihin in dieser Lage sein schadenfroher Freund Itzeplih: «Aber Lehmann!" kräht er schon von weitem, „wie sitzen Si c
denn km Sattel!" — „Ah —äh--erstens: wie meinen Sic das? bind zweitens: Sic wissen ja gar nicht, wo ich hin will!"

„Weißt, das kommt von '» Kcrnen-Aufbeißen." Der Muttl
bleibt die Scheuerbürste stehen. „Fa, von was für Kernen
denn?"

„Von 'n Zwetschgcrlc-Kcrnen halt. Die sammeln wir auf
der Straß' und beißen sic auf. blnd was d'rinnen ist, das schmeckt
gut. Oder cs wird eingcpflanzt, damit daß ein neues Baumele
wächst."

Da steht die Muttl da mit ihrer peinlich hygienischen Er-
ziehung. Ihre Tochter sammelt auf der Straße ausgespuckte
Kerne und beißt sie auf. bind daheim darf das Kind kein Stück
Brot essen, das etwa auf die Erde gefallen ist.

„Fa, seit wann inacht ihr denn das?" fragt die Fassungslose.

Die Marion schaut ernst drein, sic weiß gar nicht, warum
die Muttl so entsetzt ist: „Scit's warm ist, schon."

Also: Monate. .. monatelang beschäftigt sich die Marion...
Dgottogott. bind dabei ist erst gestern festgestcllt worden, sie sehe
so gut aus wie noch nie in ihrem Leben . . . Mutter hatte ge-
meint, ihre sorgsame Dbhut habe das zuwege gebracht, bind
nun waren's die von fremden Verschwendern acbtlos ausge-
spuckten Obstkernc . . . So raubt das Leben der Kinder den
Müttern die Illusionen.

Marion wird belcbrt. bind auch: cingepstanzt dürfen nur die
Kerne selbst verzehrter Pflaumen werden. Hörst Du, Kind? —
Die Marion nickt. Wenn sic nur recht viele pflaumelen zum
Selbstverzchren hält' ....

Vach dem Mittagbrote wandert sie wieder in den Hof. Aber.
sie erscheint bald wieder. Ticfbetrübt, und sie weint still in sich
hinein. — Da hat die Muttl alles Pflaumenkern-Zcrbeißcn
vergessen. Vur an eines denkt sie: Was ihrem Kinde denn ge-
schehen sei. blnd langsam erfährt sie's: Die Marion habe in
den Sandhaufen pflaumenkcrne gepflanzt. bind jetzt wär' sicher
bis übermorgen ein Zwetschgenbaum gewachsen. Aber — über
Mittag habe der Hausmeister den Sandhaufen abgetragen.
Verzaubert hat er ihn. Der böse Herr Hausmeister. Sic ist
überzeugt davon, daß der alte Herr Meier ein Zauberer ist.

Da tröstet sie die Mutter denn: daß aus dem Sandhaufen
überhaupt nie ein Zwctschgenbaum gewachsen wär'. . . „Wo
doch ich die Kern' eingepflanzt und mit Wasser begossen Hab'?"

bind so wird auch die Marion um eine Illusion ärmer. Aber:
Abgebaute Illusionen sind ja schließlich die Kilometersteine
unseres Lebensweges . . .

Mißerfolg

„Hat denn der letzte Wohltätigkeitsbasar einen Reinertrag
gebracht, gnädiges Fräulein?"

„Ach, nein, er litt unter einem finanziellen binstern — der
Gerichtsvollzieher hat im Auftrag eines Lieferanten während
des letzten Tages sogar die Küsse, die wir gegen Geld spendeten,
gepfändet....!"

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