Aber Freudenreich zog mich in den Garten, wichtig — da stand
ein blökender Hammel in Ubcrlebensgröhe,- Franziska jedoch, neben
ihm, war nicht vollständig zu sehen: Hals und Kopf steckten in meinem
sogenannten Arbeitszimmer und ibrc braunen Zähne holten da drin-
nen den kostbaren Orchideenstrauß, welchen Ilonka mir geschickt hatte,
aus der chinesischen Vase. Ich erinnerte mich in diesem Augenblicke
eines Borerhiebs. Franziskas Wampe klang vorwurfsvoll weich und
hohl. Im Zimmer zersplitterte die chinesische Vase. Der Kops Fran-
ziskas zog sich langsam aus dem Innern des Hauses und ihre Augen
schauten vorwurfsvoll in mein Gesicht. Freudenreich aber half augen-
blicklich dem Tiere: „Va nu?!' schrie er und kriegte wieder Spie-
geleieraugen. ,2s det Ihre sutc Behandlung vor een wehrloses
^ottesjebild? Ik bin im Tierschutzvcrein, müssen Sc wissen, ik bin
sozusagen der Vormund von det verlassene Wesen, det müssen Se
Ihnen merken, det jibt et nämlich hier nick!' Es gelang ihm, mich
vollständig zu zerknirschen. Und dann kassierte er die 120 Goldmark
für den Scköps. »Dankend quittiert!' sagte er, der schon a conto
nach Bier rock. »Und wie ist det mit'm Finderlohn? Sie haben
natürlickemang Kredit, Herr, aber ohne Zinsen seht det selbstverständ-
lich hcitzutage mch. Und denn — ick bin een armer, abjebauter Tier-
freund, wie Se wissen!'
Kaum ein Krug geht länger zum Brunnen, als bis er brickt.
Das arme Menschcnher; jedoch muß stückweis brccken. Und so auch
mein teils sauer, zum Teil dock säuerlich erworbenes Vermögen.
Denn sehen Sic: da stand Bätz, dieser Hammel, und da stand Fran-
ziska, diese Giraffe — was sollte ick mit ihnen okne Freudenreich
beginnen? Zwar ich ergab mich nickt ohne weiteres: ich verlangte
als Gegenleistung, daß der wackere Vormund seine Lieblinge draußen
im Zoologischen Garten in pflege nähme,- aber der Antrag siel jäm-
merlich durck. Der gesamte Platz in Hellabrunn — hieß es — werde
von jetzt ab ausschließlich für das Publikum benötigt. Immerhin kam
Freudenreich mir entgegen und versprach, den Finderlohn von Mal
zu Mal um zwei Prozent zu cnnäßigen. Auf dieser Basis schlossen
wir dann ab. Der Alte empfahl sich mit der Versickerung, er werde
auch täglich nach den Biefterckens kieken.
Was mich betrifft, so psiockte ick Franziska in etwas größerer
Entfernung von der Villa kräftigst an und begab mick daraufbin in
meine Gemächer. Von Zeit zu Zeit blickte ich auö dem Fenster. Fran
ziska rannte im Kreis um ihren pflock herum und der Hammel raste
blökend hinterdrein. In der Hoffnung, die Bestie würde sich die
Lunge aus dem Leibe laufen, begünstigte ich dieses Spiel durch er-
munternden Zuruf. Vach öfterer Wiederholung erreichte ick immerhin
so viel, daß Franziska mit dem Schöpfen um die Wette brüllte.
Gleichzeitig flogen die erj'tcn Steine durch die Fenster meiner Stra-
ßenfront. Ich kehrte die Sckcrbcn zusammen und warf sic durch die
Fenster der Hinterfront einen nach dem andern auf die rennende
Giraffe. .Lauf, Franzl, lauf!' rief ich und traf sic am Ohr. Da
macktc Franziska einen Seltensprung. . . und in weitem Bogen
schnellte der pflock über sic binweg. Den Hammel warf die Zentri-
fugalkraft kopfüber in den nachbarlichen Gartcit.
Vun gestaltete sich folgende strategische Lage: vor der Villa
schrien die ruhe- und anscheinend schon geistesgestörten Vachbayi,
hinter der Villa schrie Franziska dies-, der Hammel jenseits des
Zaunes,- i n der Villa, wehrlos, prciögcgcbcn, stand ich, ein ohn-
mächtiger Pazifist zwischen zwei ihm fcindlickcit Fronten. In solchen
Momenten kann eS geschehen, daß man nach einem Strohhalm
greift, um was noch möglich ist zu retten. I ch aber griff itach dem
Minimar und zerstreute — gemäß dem Lehrsatz: Jeder Herr sein
eigener Feuerwehrmann! — die rasende Mcnschenmcute vor dem
Hause. Den leeren Apparat aber warf ich auf der Gegenfront
Franziska an das Köpfchen, wo er fürchterlich zersprang. Und siebe da:
Franziska zeigte sich beleidigt und legte sich mit stununein Schmollen in
das Gras. Das hierdurch noch verstärkte SehirsuchtSblöken des gelieb-
ten Hammels erwiderte sie von da an nur mit schmachtenden Blicken.
Ent als näcktlickes Dunkel sich über dir Erde gebreitet, wurde
das sehnsuchtsvolle Klagen des Hammels wieder zum Duett.
Um 7 Uhr 17 klingelte man so beftig an meiner Türe, daß das
Läuten trotzdem deutlich zu vernehmen war. Als ich aus dem Fenster
guckte, ertönte das Kommando: .Stlllgk»ftann - den! . . Ackch -
tung!!' Ein Zug des faschistischen Selbstschutzes stand still vor
meinem Haus. Das rübnr mich sehr, und ick bat dir Männer, fick
auch selbst zu rübren. Der Zugführer aber nahm seinen Kropf hock
und brüllte entrüste«: .Eabna gib t glcl a ,7iübrt ffcM' Sir babrn
gar nip obz'sckaffen. Sie Tiubestörer, Sie! Mir san militärisch, mir
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ein blökender Hammel in Ubcrlebensgröhe,- Franziska jedoch, neben
ihm, war nicht vollständig zu sehen: Hals und Kopf steckten in meinem
sogenannten Arbeitszimmer und ibrc braunen Zähne holten da drin-
nen den kostbaren Orchideenstrauß, welchen Ilonka mir geschickt hatte,
aus der chinesischen Vase. Ich erinnerte mich in diesem Augenblicke
eines Borerhiebs. Franziskas Wampe klang vorwurfsvoll weich und
hohl. Im Zimmer zersplitterte die chinesische Vase. Der Kops Fran-
ziskas zog sich langsam aus dem Innern des Hauses und ihre Augen
schauten vorwurfsvoll in mein Gesicht. Freudenreich aber half augen-
blicklich dem Tiere: „Va nu?!' schrie er und kriegte wieder Spie-
geleieraugen. ,2s det Ihre sutc Behandlung vor een wehrloses
^ottesjebild? Ik bin im Tierschutzvcrein, müssen Sc wissen, ik bin
sozusagen der Vormund von det verlassene Wesen, det müssen Se
Ihnen merken, det jibt et nämlich hier nick!' Es gelang ihm, mich
vollständig zu zerknirschen. Und dann kassierte er die 120 Goldmark
für den Scköps. »Dankend quittiert!' sagte er, der schon a conto
nach Bier rock. »Und wie ist det mit'm Finderlohn? Sie haben
natürlickemang Kredit, Herr, aber ohne Zinsen seht det selbstverständ-
lich hcitzutage mch. Und denn — ick bin een armer, abjebauter Tier-
freund, wie Se wissen!'
Kaum ein Krug geht länger zum Brunnen, als bis er brickt.
Das arme Menschcnher; jedoch muß stückweis brccken. Und so auch
mein teils sauer, zum Teil dock säuerlich erworbenes Vermögen.
Denn sehen Sic: da stand Bätz, dieser Hammel, und da stand Fran-
ziska, diese Giraffe — was sollte ick mit ihnen okne Freudenreich
beginnen? Zwar ich ergab mich nickt ohne weiteres: ich verlangte
als Gegenleistung, daß der wackere Vormund seine Lieblinge draußen
im Zoologischen Garten in pflege nähme,- aber der Antrag siel jäm-
merlich durck. Der gesamte Platz in Hellabrunn — hieß es — werde
von jetzt ab ausschließlich für das Publikum benötigt. Immerhin kam
Freudenreich mir entgegen und versprach, den Finderlohn von Mal
zu Mal um zwei Prozent zu cnnäßigen. Auf dieser Basis schlossen
wir dann ab. Der Alte empfahl sich mit der Versickerung, er werde
auch täglich nach den Biefterckens kieken.
Was mich betrifft, so psiockte ick Franziska in etwas größerer
Entfernung von der Villa kräftigst an und begab mick daraufbin in
meine Gemächer. Von Zeit zu Zeit blickte ich auö dem Fenster. Fran
ziska rannte im Kreis um ihren pflock herum und der Hammel raste
blökend hinterdrein. In der Hoffnung, die Bestie würde sich die
Lunge aus dem Leibe laufen, begünstigte ich dieses Spiel durch er-
munternden Zuruf. Vach öfterer Wiederholung erreichte ick immerhin
so viel, daß Franziska mit dem Schöpfen um die Wette brüllte.
Gleichzeitig flogen die erj'tcn Steine durch die Fenster meiner Stra-
ßenfront. Ich kehrte die Sckcrbcn zusammen und warf sic durch die
Fenster der Hinterfront einen nach dem andern auf die rennende
Giraffe. .Lauf, Franzl, lauf!' rief ich und traf sic am Ohr. Da
macktc Franziska einen Seltensprung. . . und in weitem Bogen
schnellte der pflock über sic binweg. Den Hammel warf die Zentri-
fugalkraft kopfüber in den nachbarlichen Gartcit.
Vun gestaltete sich folgende strategische Lage: vor der Villa
schrien die ruhe- und anscheinend schon geistesgestörten Vachbayi,
hinter der Villa schrie Franziska dies-, der Hammel jenseits des
Zaunes,- i n der Villa, wehrlos, prciögcgcbcn, stand ich, ein ohn-
mächtiger Pazifist zwischen zwei ihm fcindlickcit Fronten. In solchen
Momenten kann eS geschehen, daß man nach einem Strohhalm
greift, um was noch möglich ist zu retten. I ch aber griff itach dem
Minimar und zerstreute — gemäß dem Lehrsatz: Jeder Herr sein
eigener Feuerwehrmann! — die rasende Mcnschenmcute vor dem
Hause. Den leeren Apparat aber warf ich auf der Gegenfront
Franziska an das Köpfchen, wo er fürchterlich zersprang. Und siebe da:
Franziska zeigte sich beleidigt und legte sich mit stununein Schmollen in
das Gras. Das hierdurch noch verstärkte SehirsuchtSblöken des gelieb-
ten Hammels erwiderte sie von da an nur mit schmachtenden Blicken.
Ent als näcktlickes Dunkel sich über dir Erde gebreitet, wurde
das sehnsuchtsvolle Klagen des Hammels wieder zum Duett.
Um 7 Uhr 17 klingelte man so beftig an meiner Türe, daß das
Läuten trotzdem deutlich zu vernehmen war. Als ich aus dem Fenster
guckte, ertönte das Kommando: .Stlllgk»ftann - den! . . Ackch -
tung!!' Ein Zug des faschistischen Selbstschutzes stand still vor
meinem Haus. Das rübnr mich sehr, und ick bat dir Männer, fick
auch selbst zu rübren. Der Zugführer aber nahm seinen Kropf hock
und brüllte entrüste«: .Eabna gib t glcl a ,7iübrt ffcM' Sir babrn
gar nip obz'sckaffen. Sie Tiubestörer, Sie! Mir san militärisch, mir
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Sache mit Franziska"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4141, S. 670
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg