L
ustige Meltchronik
m zwo
Seit Selma Lagerlöf ihr Gut Maarbacka in Värmland
mit Stachcldraht umzäunt hat, um die Folgeerscheinungen
ihres internationalen Dichterruhms, die heuschreckenschwärmerisch auf-
tretenden Verehrer, am Niedertrampeln der Parkanlagen zu verhin-
dern, sind die Aktien aller Stacheldrahtfabriken zu fast kriegsmäßiger
Höhe gestiegen. Der Konsum an Stacheldraht wächst täglich. Jeder
kleine Lyriker richtet vor seiner Obsmbre xsrnie Stacheldraht auf, um
vor sich und der Welt seinen Ruhm zu dokumentieren. Endlich ein
probates Mittel! Bis jetzt brauchten sich nur Redakteure durch den
geistigen Stacheldraht hindurchzubeißen,- jetzt aber stehen Bäcker,
Schuster und Schneider vor wirklichem Stachcldraht. Unser Bild
zeigt Edelbert Nebelfleck, den bekannten Lyriker des Bums-Berlages,
DaS hatte noch gefehlt! Zu den zehntausend Zeitschriften, die all-
monatlich gegründet werden, ist eine neue hinzugckommen. Aber diese
eine hat ohne Frage den Wert der höheren Existenzberechtigung: es
ist die Irrenhauszeitschrift von Lekcester. Sie wird von den Insassen
des Hauses geschrieben, redigiert, gedruckt, expediert und gelesen. Vor-
läufig ! Da ihr aber die Arzte nachsagen, daß ihre kleinen Feuilletons
besser sind als die Alfred Kerrs und ihre laufenden Romane besser
als die der »Berliner Illustrierten", wird sich ihr Abonnentenstamm
bald über den Kontinent erstrecken, und inan wird in Den Straßen nur
noch Leute sehen, denen weit aus der Manteltasche die »Irrenhaus-
Zeitschrift von Leicester" hcrausragt.
In der Nähe von Neapel flog jüngst ein Flieger mit einem Passagier
auf, um ihn in kurzem Flug nach Sorrent zu befördern. Scbon will
sich der Reisende ganz dem Zauber der blauen Küste hingeben, als er
plötzlich merkt, wie das Flugzeug in schönen, aber nicht gerade fahr-
planmäßigen Kreisen schwebt, bedenklich schwankt und näher, immer
näher aufs Wasser kommt. Er will dem Führer einen Rippenstoß ver-
sehen — da sieht er, wie dieser Unselige weit über Steuerbord hängt
und seine Augen sich an einem violetten Punkt im Wasser weiden.
Immer niedriger hängt das Flugzeug überm Wasser und jetzt — dem
Fahrgast grauset's! — wird sichtbar und klar: cs ist die Braut des
Flugzeugführers, die hier in den blauen Wogen badet - Das übrige
ist ein unmelodisches Nachspiel, das nicht wie bei Goethe oder Heine
mit gurgelnden Wellen, sondern mit Schadcncrsatzforderung und
schreienden Rechtsanwälten abschlieftk.
Die Turmuhr dröhnt voll FIberfchwang:
Das Leben ift ein Fibergang.
Die Glocken fallen jubelnd ein:
Du warft/ du bi ft/ und du wirft fein.
Fanfaren braufen erzbewehrt:
Freu dich des ficJitS/ das wiederkehrt!
Die Böller krachen\f Gaffen fchrei'n. -
Des Herzens Wildheit - heg ’ fie ein !
Das Glas hoch - klingklang ! - ftillfter Ton:
Bitt ’ Gott/ daß Fried’ im Flaufe wohn ’l
H. T.
Aneköote
Goha und der Geizige
Goha wettete einst mit seinen Freunden, daß er von einem sehr
geizigen Mann, der nie Gäste bei sich zu haben pflegte, eingeladen
würde. Die Freunde lachten jedoch und wollten ihm nicht glauben.
Goha müßte aber nicht er selbst gewesen sein, wenn ihm dieser plan
nicht gelingen sollte, und er freute sich bereits im stillen über den
Triumph, Den er wieder einmal davontragen sollte. Er verließ das
Kaffeehaus und traf auf der Straße bald mit dem Geizigen zusammen.
Er trat auf ihn zu und erkundigte sich, was er zu tun habe, um einen
sehr großen Diamanten in kleine Stücke teilen zu können.
Der Gefragte war sofort neugierig, als er von dem großen Stelne
hörte, und forderte Goha auf, mit ihm zu kommen, da man auf der
Straße doch nicht so wichtige Dinge besprechen könne. Goha ging mit
und wurde dann, wenn auch ungern, von dem Geizhals zum Speisen
cingeladen.Er fand die Gerichte vorzüglich, und als er endlich das Messcr
weggelegt hatte, fragte der Mann, den die Neugierde um seinen Appetit
gebracht hatte: »Wo ist der Stein, den Ihr brechen lassen wolltet?" —
Da antwor-
tete Goha:
»Ich habe gar
keinen Stein,-
ichwolltebloß
wissen, wie
man Steine
bricht." Dann
ging er zu
seinen Kame-
raden und ließ
sich den Preis
der Wette
auszahlcn. —
K. H.
702
ustige Meltchronik
m zwo
Seit Selma Lagerlöf ihr Gut Maarbacka in Värmland
mit Stachcldraht umzäunt hat, um die Folgeerscheinungen
ihres internationalen Dichterruhms, die heuschreckenschwärmerisch auf-
tretenden Verehrer, am Niedertrampeln der Parkanlagen zu verhin-
dern, sind die Aktien aller Stacheldrahtfabriken zu fast kriegsmäßiger
Höhe gestiegen. Der Konsum an Stacheldraht wächst täglich. Jeder
kleine Lyriker richtet vor seiner Obsmbre xsrnie Stacheldraht auf, um
vor sich und der Welt seinen Ruhm zu dokumentieren. Endlich ein
probates Mittel! Bis jetzt brauchten sich nur Redakteure durch den
geistigen Stacheldraht hindurchzubeißen,- jetzt aber stehen Bäcker,
Schuster und Schneider vor wirklichem Stachcldraht. Unser Bild
zeigt Edelbert Nebelfleck, den bekannten Lyriker des Bums-Berlages,
DaS hatte noch gefehlt! Zu den zehntausend Zeitschriften, die all-
monatlich gegründet werden, ist eine neue hinzugckommen. Aber diese
eine hat ohne Frage den Wert der höheren Existenzberechtigung: es
ist die Irrenhauszeitschrift von Lekcester. Sie wird von den Insassen
des Hauses geschrieben, redigiert, gedruckt, expediert und gelesen. Vor-
läufig ! Da ihr aber die Arzte nachsagen, daß ihre kleinen Feuilletons
besser sind als die Alfred Kerrs und ihre laufenden Romane besser
als die der »Berliner Illustrierten", wird sich ihr Abonnentenstamm
bald über den Kontinent erstrecken, und inan wird in Den Straßen nur
noch Leute sehen, denen weit aus der Manteltasche die »Irrenhaus-
Zeitschrift von Leicester" hcrausragt.
In der Nähe von Neapel flog jüngst ein Flieger mit einem Passagier
auf, um ihn in kurzem Flug nach Sorrent zu befördern. Scbon will
sich der Reisende ganz dem Zauber der blauen Küste hingeben, als er
plötzlich merkt, wie das Flugzeug in schönen, aber nicht gerade fahr-
planmäßigen Kreisen schwebt, bedenklich schwankt und näher, immer
näher aufs Wasser kommt. Er will dem Führer einen Rippenstoß ver-
sehen — da sieht er, wie dieser Unselige weit über Steuerbord hängt
und seine Augen sich an einem violetten Punkt im Wasser weiden.
Immer niedriger hängt das Flugzeug überm Wasser und jetzt — dem
Fahrgast grauset's! — wird sichtbar und klar: cs ist die Braut des
Flugzeugführers, die hier in den blauen Wogen badet - Das übrige
ist ein unmelodisches Nachspiel, das nicht wie bei Goethe oder Heine
mit gurgelnden Wellen, sondern mit Schadcncrsatzforderung und
schreienden Rechtsanwälten abschlieftk.
Die Turmuhr dröhnt voll FIberfchwang:
Das Leben ift ein Fibergang.
Die Glocken fallen jubelnd ein:
Du warft/ du bi ft/ und du wirft fein.
Fanfaren braufen erzbewehrt:
Freu dich des ficJitS/ das wiederkehrt!
Die Böller krachen\f Gaffen fchrei'n. -
Des Herzens Wildheit - heg ’ fie ein !
Das Glas hoch - klingklang ! - ftillfter Ton:
Bitt ’ Gott/ daß Fried’ im Flaufe wohn ’l
H. T.
Aneköote
Goha und der Geizige
Goha wettete einst mit seinen Freunden, daß er von einem sehr
geizigen Mann, der nie Gäste bei sich zu haben pflegte, eingeladen
würde. Die Freunde lachten jedoch und wollten ihm nicht glauben.
Goha müßte aber nicht er selbst gewesen sein, wenn ihm dieser plan
nicht gelingen sollte, und er freute sich bereits im stillen über den
Triumph, Den er wieder einmal davontragen sollte. Er verließ das
Kaffeehaus und traf auf der Straße bald mit dem Geizigen zusammen.
Er trat auf ihn zu und erkundigte sich, was er zu tun habe, um einen
sehr großen Diamanten in kleine Stücke teilen zu können.
Der Gefragte war sofort neugierig, als er von dem großen Stelne
hörte, und forderte Goha auf, mit ihm zu kommen, da man auf der
Straße doch nicht so wichtige Dinge besprechen könne. Goha ging mit
und wurde dann, wenn auch ungern, von dem Geizhals zum Speisen
cingeladen.Er fand die Gerichte vorzüglich, und als er endlich das Messcr
weggelegt hatte, fragte der Mann, den die Neugierde um seinen Appetit
gebracht hatte: »Wo ist der Stein, den Ihr brechen lassen wolltet?" —
Da antwor-
tete Goha:
»Ich habe gar
keinen Stein,-
ichwolltebloß
wissen, wie
man Steine
bricht." Dann
ging er zu
seinen Kame-
raden und ließ
sich den Preis
der Wette
auszahlcn. —
K. H.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Lustige Weltchronik" "Anekdote. Goha und der Geizige"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4144, S. 702
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg