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DER HERR AU<DEM PUBLIKUM

Von HSÖa*

Witz

vR >

In diese Tunke
bin ich wirklich
hineingeschliddert
wie das Krokodil
in die pleisse oder
der Nordpol ins
Sonnenspek-
trum. Eigentlich
gab Fräulein
Beate Laubfrosch
den direkten Anstoß zu
Ereignissen, die früh mein Haar
A bleichten und mich zum Menschen-

■ - \ feinde machten. Beate, zu der ich in

. lenzlichen Bezie-
hungen stand, for-
derte an jenem Abend der Katastrophen dringend de»

Besuch des „wilden Eichhörnchens", eines sogenannte»

Kabaretts ohne Entree und Weinzwang, wo ein fabel-
hafter Zauberkünstler unter dem Namen „Sar pravada,
der Mann mit der Wunderhand" sein Wesen treiben und
geradezu phänomobileprobenradioaktiverVerwandt-
sckast mit der vierten Dimension ablegen sollte.

„E echd'r Indcher!" himmelte Beate im
heimischen Idiom, und ick muß gestehen, daß
ick seit Rabindranath Tagore gegen eckte
Indier ein Bonirteil habe. Dennoch ging ick
bin, denn Beate hat in unseren Beziehun-
gen die erforderliche Dreiviertel-Majorität.

Wir bekamen einen guten Tisch gegenüber
dem Podium, und nachdem mehrere Damen

getanzt und zwei Herren im Baß und Bariton de» Verlust des deutjchen
Rheins aufs tiefste beklagt batten, meldete der Ansager, ein früherer

Rayonckef von Herzberger & Bam, das Erscheinen Sar pravadas.
Worauf es im Saale und auf dem Podium stockdunkel wurde.

Als es wieder hell wurde, schwamm auf der Bühne ein aus Hkm-
beerlimonade und Margarine gemischtes magisches Licht, und ein Herr
in den besten Jahren des Mittelalters mit einer fettigen Tolle und
einem litewkaartigen Nock aus schwarzem Sammet stand neben einem
Kübel, aus dem stark rotblond gefärbte Flammen züngelten. Im Hinter-
gründe aber stand eine junge Dame, die hatte von oben bis unten ein
fleischfarbenes Trikot an und in der Mitte ein Blumenarrangement
aus Feigenblättern. Sie sah verwirrend aus, und ich hätte gewünscht,
daß Sar pravada sie ein wenig in meine Nähe zaubere.

Wenn ich mir schon was wünsche! Kaum hatte ich den lasterhaften
Gedanken zu Ende gedacht, als Sar pravada in einem indischen Rad-
bruch - eigeittlich klang es wie böhntisch mit englischem Akzent — einen
Herrn aus dem Publikum bat, aus die Bühne zu kommen und
ihm zu assistieren. Dazu lächelte die plastische Dame dermaßen
verwirrend, daß sofort fünf Herren aufsprangen und voreilten.
Da ich aber, wie gesagt, unmittelbar vor der Bühne saß,
ging ich als erster durchs Ziel.

Alsobald saß ich aus einem Sessel, und die
Trikotdame verband mir mit einem Seidentuck
die Augen.

„Was Sie bemerken nun?" fragte Sar pra-
vada, und ich erwiderte, der Wahrheit gemäß:
„Nichts!" Darauf nahm mir die Dame daS Tuck
wieder ab, und Sar pravada fragte abermals, was
ich „bemerken nun?"

Ich öffnete die Lider und blickte gerade in die Augen
der Dame, in denen es metallisch funkelte wie von Schwein-
furter Grün. Überwältigt erklärte ich, ich sähe direkt in
den siebenten Himmel. Hier lachte das ungebildete Publi-
kum, und Beate warf ein Glas um. Sar pravada aber betonte,
ich sei ein brillantes Medium.

Die Wunderhand gab mir nun zwei Eier. Eineö war
aus Holz, das andre aus Huhn. Ich sollte sie in die
Tasche stecken, und Sar pravada vermaß sich, sie daraus
wieder hervorzuzaubern. Ich barg die Eier in meinen
Hosentaschen, und bald darauf verkündete der Künstler.
\ der hinter mich getreten war, er habe sic schon hervor-

gezaubert. Ich wagte nicht, mick zu rühren, denn neben
mir stand das herrliche Mädchen und starrte mich un-
verwandt an. "jetzt werde er die Eier wieder in meine
Hosentaschen zaubern, vermaß sich Sar pravada und
forderte mich auf, sie hcrauszuholen.Niemand beschreibt
das Erstaunen des Publikums, als ich tatsächlich die

hin- und hergezauberten Eier produzierte. Sar pravada
nahm sie und erklärte, er werde sie zum Beweise
dessen, daß es noch dieselben seien

aufschlagen. Das höl-
zerne auf meinem
Kopf, das hühnernr
über einem Glas.

Irgendwie muß
er sie aber doch ver-
wechselt haben. Er
entschuldigte sich
unter donnern-
dem Gelächter

des Volkes, ^ggjSg*’ nVl „ m>Kr-

und die verwirrende Dame rieb mir
mit einem Handtuch das Dotter von der
Glatze.

Aufsteigender Grimm ertrank in den Augen der
Dame, die plötzlich feucht schimmerten wie die
blaue Adria. Sar pravada zeigte dem Publikum
beide Handflächen und verkündete, trotzdem sie garantiert
weiß und erst vorgestern gewaschen seien, würde mein Gesicht schwarz
wie Tinte werden, wenn er mir jetzt darüberführe. Und noch ehe ick
den bekannten geharnischten Podest intervenieren konnte, strich er mir
mit beiden Pfoten übers Antlitz, und der Pöbel brüllte vor Lachen.
Gleichzeitig hielt mir das entkleidete Fräulein einen Spiegel vor die
Augen, und ich sah darin aus wie Bassermann als Mohr von
Venedig. Aber ich hatte wohl gemerkt, daß Sar pravada mir nicht
nur mit den Handflächen, sondern vor allem mit den Zackenärmeln
übers Gesicht gepinselt hatte, und er hatte sie wahrscheinlich vorher mit
Ruß ekngeschmiert. Das nennt man in Indien zaubern.

Schon hielt Sar pravada ein Portefeuilleton in der Hand und
sagte, das sei meine Brieftasche, und er werde, ohne hkneinzusehen,
sagen, was sie enthielte. Ich habe mir die Chose
später überlegt und bin zu dem Schluffe geraten,
daß er sie mir gleich anfangs geklaut haben muß.
als er mir die Augen verbinden ließ. Sar pravada
schrie, in der Tasche befände sich ein Brief auf rosa
Papier von einer gewissen Käthe, die mich einen un-
getreuen Ekkehard nenne, weil ich sie bereits drei-
mal versetzt hätte. Ferner der heliotropfarbene Brief
einer Dame, die sich nur mit P.H. unterzeichnet
hätte und mir für das nächste zufällige Zusammen-
treffen Vitriol in sichere Aussicht stelle, und schließ-
lich ein safrangelbes Billett, signiert Emily, durch

das ich für den 1. April zum Rendezvous ins Stadtwäldchen bestellt
wurde, Bank Nummer drei, rechts von der „Venus ohne Arme",
Mondfinsternis vorausgesetzt. Das letzte Dokument in der Tasche sei
die Vorladung zum Offenbarungseid. Bar Geld lache nicht darin.

In diesem Augenblick stürmten der Ober und Fräulein Beate Laub-
frosch wie glühende Fackeln auf die Bühne. Jener schrie, geneppt
werde hier nicht, und diese schrie, mit einem elenden Schürzenjäger
wie mich wolle sie nichts zu tun haben. Trotzdem riß sie mich an den
Ohren und stieß mir ihren brennenden Atem ins Gesicht. Das höchst
minderwertige Publikum heulte vor Vergnügen, und
ich schrie den Indier
an, er habe sich
vergriffen,
diese

Tasche sei gar nicht
dixmeine!„Was??"
brüllte da Beate, „du
willsd e richd'ch'n
Indcher plamiern,
wo ich dck doch die
Oasche erscht vorcke
Woche geschänggd
hawwe, du Lumich l"
Und schlug mir die
Tasche um dieOhren.

DaS blöde Volk
bog und wälzte sich
vor Entzücken, und
ich stürzte hinaus.

Meine Tasche plus Beate bin ich los/ dafür habe ich einen zer-
rissenen Anzug auf dem Leibe und einen Zechprellereiprozeß auf den,
Halse. Ich kann nur dringend abraten, sich Zauberkünstlern als Hen-
aus dem Publikum zur Verfügung zu stellen.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Herr aus dem Publikum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hesse, Rudolf
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4149, S. 66_67

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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