DIE TROC^LEGUNG
Ein Zukunfts-A^1 Karl Franke
Es kam nicht plötzlich/ es machte sich schonend bemerkbar, es war,
als ob eine gütige Schicksalsgöttin die Sache in die weiche Hand ge-
nommen hätte, damit das Unglück die Menschen der blauweißen
Grenzpfählc nicht unvorbereitet träfe, nicht wie der bekannte hinterlistige
Blitz aus heiterem Himmel oder der Kriegsausbruch des Jahres 1914,
jenes Unheiljahres, das nun schon über 100 Jahre zurücklag.
Es geschahen also Zeichen und Wunder.
Der Aschermittwoch des Jahres 2024 graute, als der Privatier
Sebastian Schirlinger von der letzten Redoute heimdöselte. Da sprang
ihm an der Ecke des Schleckergasserls eine schwarze Katze ins Gesicht
und beschädigte die Biernase nicht unerheblich. Zwanzig Schritte weiter
begegnete ihm eine fragwürdige Gestalt, eine zerrissene Krone auf dem
gesenkten Haupte und mit einem schweren Wanderknüppel in der
zitternden Hand.
»San Sie der ewige Iud'?" fragte der Schirlinger.
„ Nein, du Unglückskrähe, ich bin der König Gambrinus, der sein Bün-
del geschnürt hat. Ich bin die erste Ratte, die daö sinkende Schiff verläßt!"
»Geh, mach' ka Spruch'! Erstens ham mir Überhaupts keine
Marine und dann, wann's dir net gut geht, warum fragst denn net
bei ra Fürsorg'stell'n? Schau, vor a Iahrer dreißig Hab' i aa nix
g'habt wia a paar Weißwürfchthäut', an struppigen Köter und a
kloan's Wagerl, und heut bin i a fünfzehnstöckiger Hausherr!"
»Ja, ein fünfzehnstöckiger Hausbesitzer, der sich in einigen Wochen
auf die Isartalbrücke begibt, um den Sprung in die Tiefe ..."
Dem Schirlinger schwoll die Zornesader: »Jetzt druckst di aber,
Majestät! Und dös sag' i dir noch, km Lechel drunt' glbt's jeden Tag
a warme Klostersupp'n!"
Kopfschüttelnd ging die Gestalt weiter.
„A fufzehnstockiger Hausherr und auf die Großhesseloher Bruck'n...
Leit gibt's auf dera Welt .... Leit..."
Es geschahen weiter Zeichen und Wunder.
Die Witwe Käßbohrer brachte ein Knäblein zur Welt, das am
zwanzigsten Tage seines Erdenwallens, als ihm die gute Mutter,
einem bayerischen Herkommen gemäß, den gefüllten Maßkrug an die
Lippen setzte, ausrief: „A Wasser möcht' i!"
Der 19 jährige Sohn eines Großbrauers verlobte sich mit der
Tochter eines kleinen Limonadefabrikanten, und den Hopfenhändler
Simon Schmikler traf man dabei, wie er sein Hauptbuch verbrannte
und ein Inserat abfaßte: »Interessenten aus der Brau-Industrie er-
halten Rat über die Umstellung der Betriebe."
Auch andere hatten eine gute Nase: Einer gab um wenig Geld ein
neues Zehn-Hektoliter-Faß als Wohnung für ein Brautpaar her, das
seit 1? Jahren vergeblich auf den häuslichen Herd gewartet hatte.
Aber alle diese Zeichen, so bedenklich sie doch waren und den Sinn
der Masse hätten schärfen müssen — sie waren in den Wind gezeichnet!
Wie hätte sonst dieser lähmende Schrecken die Bevölkerung über-
fallen können, als der Landtag mit 283 gegen 121 Stimmen den
Beschluß faßte, dem Anträge des Trocken-Ministers entsprechend,
Bayern ausschließlich auf die Limonade und ähnliches Gesöff zu sehen!
Der Abstimmungstag, der 13. Mai, wird ein bis in fernste Äonen
schwarzer Tag bleiben.
Noch einmal schickte der Himmel in der Frühe ein Warnungssignal:
Uber dem Marienplatz schwebte ein riesengroßer Maßkrug, mit der
Öffnung nach unten, und an seinem Henkel sahen Schwarz- und
Hellseher die sämtlichen Ehrenbürger der Stadt baumeln.
Schon um Mitternacht hatten sich Zehntausende vor dem Landtags-
gebäude ausgestellt. Acht Stunden später wurden die ersten heran-
rollenden Abgeordneten mit Schmährufen empfangen. Die schauer-
lichsten Flüche wurden laut: man werde sich an der Spree anjiedeln,
wenn der Antrag Ereignis würde,- der Väter und Großväter solle
man gedenken, die in ihrem säuern Stammtisch-Schweiße die Stadt
ZU dem gemacht hätten, was sie jetzt eben noch sei.
Und wie man einem Gaul die Sporen gibt, so standen, in der
Menge verteilt, die Brauer und feuerten sic an durch Worte und
Frei-Flaschenbier.
Umsonst! 117* Uhr sank die Flagge des Parlaments auf Halbmast:
Der Antrag war durchgegangen.
Der Landtagshausmeister, der alte getreue Ebenböck, hatte noch
die Kraft, die Fahne Herunterzulaffen! dann traf ihn der Schlag.
Er war seit 49 Jahren Stammgast im Franziskaner. Lähknender
Schrecken ergriff die Menge, als sie die Fahne sah. Die ältesten
Blerherzen fielen in die Hose.
Die Polizei hatte leichte Arbeit mit den Willenlosen. Geistesgestört
taumelten sie durch die Straßen.
Und schon schien es, als ob der Schlag hingenommen würde wie
früher gigantische Schicksale: „Da kannst halt nix macha!"
Es schien nur so,- denn bald war es durchgesickert, daß der bet
Nacht verschwundene König Gambrinus in Prien am Chiemsee sich
verschanzt und seine Getreuen um sich gesammelt habe.
Und täglich strömten ihm neue Anhänger zu.
Aber noch war man nicht reif für die Tat, denn noch gab es Stoff.
Und der Generalissimus kalkulierte: Wenn erst der letzte Tropfen den
Schlund hinuntergeronnen ist, wird ungeheuere Wut entstehen. Und
siegreiche Schlachten schlägt man nur mit entflammten Kriegern.
In München jedoch, da wurde zum Gegenschlage ausgeholt. Die
283 Abgeordneten, die Ia-Sager, hatten eine Armee auf die Beine
gebracht, die die Zähne zusammenbiß, wenn sie nicht gerade trank.
Am 13. Juni setzte sich die Trocken-Armee in der Richtung Chiem-
gau in Bewegung. Aus allen Fenstern wurde ihr von gehamsterten Vor-
räten zugeprostet,- es blieb unten kein Auge und oben keine Kehle trocken.
Aber, aber — —
2000 Mann waren es beim Abmarsch,-15 Kilometer weiter waren
es nur noch 1700. 300 Mann waren der feindlichen Kriegslist zum
Opfer gefallen: Wenn die Armee an einer Wirtschaft vorbeizog, brachte
der Wirt die herzerquickenden Töne des Anzapfens hervor.
Mit Bangen sah der General-Feldmarschall in den Tag. Noch waren
es 50 Kilometer mit mindestens 25 Ausschänken bis zum Chiemsee.
Da setzte sich auch der Feind in Bewegung.
Bei Groß-Karolinenfeld, dort, wo später das Mahnmal hinge-
pflastert wurde, stieß man zusammen.
Doch ehe noch das erste Blut floß, lag man sich unter dem Feld-
geschrei „G'suffa!" in den Bruder-Armen.
In die Haare gerieten sich nur die gegenseitigen Kriegsbericht-
erstatter wegen des Zeilenhonorars.
Das einzige Opfer dieses ewig denkwürdigen Feldzugs war Mister
George Saeger aus New den die Regierung als Praktiker im
Trockenlegen hatte kommen lassen und der sich wegen des unglücklichen
Ausgangs in einem Bräu-Bottich ertränkte.
Selbstverständlich stellte sich die Regierung noch in der
gleichen Stunde auf den »Boden der Tatsachen", und
Preußen, das sich in dem Kampfe schadenfreudig neutral
verhalten hatte, schickte ein Kondolenz-Telegramm.
92
93
Ein Zukunfts-A^1 Karl Franke
Es kam nicht plötzlich/ es machte sich schonend bemerkbar, es war,
als ob eine gütige Schicksalsgöttin die Sache in die weiche Hand ge-
nommen hätte, damit das Unglück die Menschen der blauweißen
Grenzpfählc nicht unvorbereitet träfe, nicht wie der bekannte hinterlistige
Blitz aus heiterem Himmel oder der Kriegsausbruch des Jahres 1914,
jenes Unheiljahres, das nun schon über 100 Jahre zurücklag.
Es geschahen also Zeichen und Wunder.
Der Aschermittwoch des Jahres 2024 graute, als der Privatier
Sebastian Schirlinger von der letzten Redoute heimdöselte. Da sprang
ihm an der Ecke des Schleckergasserls eine schwarze Katze ins Gesicht
und beschädigte die Biernase nicht unerheblich. Zwanzig Schritte weiter
begegnete ihm eine fragwürdige Gestalt, eine zerrissene Krone auf dem
gesenkten Haupte und mit einem schweren Wanderknüppel in der
zitternden Hand.
»San Sie der ewige Iud'?" fragte der Schirlinger.
„ Nein, du Unglückskrähe, ich bin der König Gambrinus, der sein Bün-
del geschnürt hat. Ich bin die erste Ratte, die daö sinkende Schiff verläßt!"
»Geh, mach' ka Spruch'! Erstens ham mir Überhaupts keine
Marine und dann, wann's dir net gut geht, warum fragst denn net
bei ra Fürsorg'stell'n? Schau, vor a Iahrer dreißig Hab' i aa nix
g'habt wia a paar Weißwürfchthäut', an struppigen Köter und a
kloan's Wagerl, und heut bin i a fünfzehnstöckiger Hausherr!"
»Ja, ein fünfzehnstöckiger Hausbesitzer, der sich in einigen Wochen
auf die Isartalbrücke begibt, um den Sprung in die Tiefe ..."
Dem Schirlinger schwoll die Zornesader: »Jetzt druckst di aber,
Majestät! Und dös sag' i dir noch, km Lechel drunt' glbt's jeden Tag
a warme Klostersupp'n!"
Kopfschüttelnd ging die Gestalt weiter.
„A fufzehnstockiger Hausherr und auf die Großhesseloher Bruck'n...
Leit gibt's auf dera Welt .... Leit..."
Es geschahen weiter Zeichen und Wunder.
Die Witwe Käßbohrer brachte ein Knäblein zur Welt, das am
zwanzigsten Tage seines Erdenwallens, als ihm die gute Mutter,
einem bayerischen Herkommen gemäß, den gefüllten Maßkrug an die
Lippen setzte, ausrief: „A Wasser möcht' i!"
Der 19 jährige Sohn eines Großbrauers verlobte sich mit der
Tochter eines kleinen Limonadefabrikanten, und den Hopfenhändler
Simon Schmikler traf man dabei, wie er sein Hauptbuch verbrannte
und ein Inserat abfaßte: »Interessenten aus der Brau-Industrie er-
halten Rat über die Umstellung der Betriebe."
Auch andere hatten eine gute Nase: Einer gab um wenig Geld ein
neues Zehn-Hektoliter-Faß als Wohnung für ein Brautpaar her, das
seit 1? Jahren vergeblich auf den häuslichen Herd gewartet hatte.
Aber alle diese Zeichen, so bedenklich sie doch waren und den Sinn
der Masse hätten schärfen müssen — sie waren in den Wind gezeichnet!
Wie hätte sonst dieser lähmende Schrecken die Bevölkerung über-
fallen können, als der Landtag mit 283 gegen 121 Stimmen den
Beschluß faßte, dem Anträge des Trocken-Ministers entsprechend,
Bayern ausschließlich auf die Limonade und ähnliches Gesöff zu sehen!
Der Abstimmungstag, der 13. Mai, wird ein bis in fernste Äonen
schwarzer Tag bleiben.
Noch einmal schickte der Himmel in der Frühe ein Warnungssignal:
Uber dem Marienplatz schwebte ein riesengroßer Maßkrug, mit der
Öffnung nach unten, und an seinem Henkel sahen Schwarz- und
Hellseher die sämtlichen Ehrenbürger der Stadt baumeln.
Schon um Mitternacht hatten sich Zehntausende vor dem Landtags-
gebäude ausgestellt. Acht Stunden später wurden die ersten heran-
rollenden Abgeordneten mit Schmährufen empfangen. Die schauer-
lichsten Flüche wurden laut: man werde sich an der Spree anjiedeln,
wenn der Antrag Ereignis würde,- der Väter und Großväter solle
man gedenken, die in ihrem säuern Stammtisch-Schweiße die Stadt
ZU dem gemacht hätten, was sie jetzt eben noch sei.
Und wie man einem Gaul die Sporen gibt, so standen, in der
Menge verteilt, die Brauer und feuerten sic an durch Worte und
Frei-Flaschenbier.
Umsonst! 117* Uhr sank die Flagge des Parlaments auf Halbmast:
Der Antrag war durchgegangen.
Der Landtagshausmeister, der alte getreue Ebenböck, hatte noch
die Kraft, die Fahne Herunterzulaffen! dann traf ihn der Schlag.
Er war seit 49 Jahren Stammgast im Franziskaner. Lähknender
Schrecken ergriff die Menge, als sie die Fahne sah. Die ältesten
Blerherzen fielen in die Hose.
Die Polizei hatte leichte Arbeit mit den Willenlosen. Geistesgestört
taumelten sie durch die Straßen.
Und schon schien es, als ob der Schlag hingenommen würde wie
früher gigantische Schicksale: „Da kannst halt nix macha!"
Es schien nur so,- denn bald war es durchgesickert, daß der bet
Nacht verschwundene König Gambrinus in Prien am Chiemsee sich
verschanzt und seine Getreuen um sich gesammelt habe.
Und täglich strömten ihm neue Anhänger zu.
Aber noch war man nicht reif für die Tat, denn noch gab es Stoff.
Und der Generalissimus kalkulierte: Wenn erst der letzte Tropfen den
Schlund hinuntergeronnen ist, wird ungeheuere Wut entstehen. Und
siegreiche Schlachten schlägt man nur mit entflammten Kriegern.
In München jedoch, da wurde zum Gegenschlage ausgeholt. Die
283 Abgeordneten, die Ia-Sager, hatten eine Armee auf die Beine
gebracht, die die Zähne zusammenbiß, wenn sie nicht gerade trank.
Am 13. Juni setzte sich die Trocken-Armee in der Richtung Chiem-
gau in Bewegung. Aus allen Fenstern wurde ihr von gehamsterten Vor-
räten zugeprostet,- es blieb unten kein Auge und oben keine Kehle trocken.
Aber, aber — —
2000 Mann waren es beim Abmarsch,-15 Kilometer weiter waren
es nur noch 1700. 300 Mann waren der feindlichen Kriegslist zum
Opfer gefallen: Wenn die Armee an einer Wirtschaft vorbeizog, brachte
der Wirt die herzerquickenden Töne des Anzapfens hervor.
Mit Bangen sah der General-Feldmarschall in den Tag. Noch waren
es 50 Kilometer mit mindestens 25 Ausschänken bis zum Chiemsee.
Da setzte sich auch der Feind in Bewegung.
Bei Groß-Karolinenfeld, dort, wo später das Mahnmal hinge-
pflastert wurde, stieß man zusammen.
Doch ehe noch das erste Blut floß, lag man sich unter dem Feld-
geschrei „G'suffa!" in den Bruder-Armen.
In die Haare gerieten sich nur die gegenseitigen Kriegsbericht-
erstatter wegen des Zeilenhonorars.
Das einzige Opfer dieses ewig denkwürdigen Feldzugs war Mister
George Saeger aus New den die Regierung als Praktiker im
Trockenlegen hatte kommen lassen und der sich wegen des unglücklichen
Ausgangs in einem Bräu-Bottich ertränkte.
Selbstverständlich stellte sich die Regierung noch in der
gleichen Stunde auf den »Boden der Tatsachen", und
Preußen, das sich in dem Kampfe schadenfreudig neutral
verhalten hatte, schickte ein Kondolenz-Telegramm.
92
93
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Trockenlegung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4151, S. 92_93
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg