Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Rentamtmann a. D. Alois Kirnbachcr, Vorsitzender und Dirigent
der »Lyra", war auf dein Heimweg von den Ausschußsitzungen des Gesang-
vereins immer voll von Schöpferdrang, Gedanken, Phantasie. Da dirigierte
er — die Tempis mit dem Haklstock markierend — Beethovens Neunte. Er
sah sich als Leiter des philharmonischen Orchesters der Landeshauptstadt licht-
überflutet im Konzertsaal — von tosendem Beifall umbrandet („Umbrandet"

- sagte er leise — genießerisch vor sich hin) — Spitzen der Behörden drückten
ihm die Hand, kunstverständige Prinzessinnen luden ihn zu musikalischen Tees,
und der Referent der Neuesten Nachrichten schrieb sieben Spalten Bericht
über seine — vielleicht würde er schreiben — unvergleichliche Interpretation
der unsterblichen Schöpfung des ewigen Meisters. — Auf seinen Spazier-
gängen wiegte sich Kirnbacher in solchen und ähnlichen Vorstellungen wie in
einem warmen Wellenschaukclbad, und wenn er an der Spkegelauslage des
Kaufmanns Nußbaum vorbeikam, so konstatierte er mit Befriedigung eine
verblüffende Ähnlichkeit mit Hans von Bülow bei sich. —

Heute aber war sein Gemüt von Sorgen erfüllt, und er klopfte mit dem
Haklstock manchmal voll Arger und Ingrimm auf den Randstein. Natürlich

- woher sollte man in diesem verfluchten Nest, in diesem Adlmarkt einen
Tenor hernehmcn? Woher!? Dieser Adjunkt ..., wie sollte man ihm das
schonend beibringen, daß man fernerhin auf seine Solls verzichten wollte.
Der Kerl hatte ein Gehör wie ein Korkzieher und seine Stimme wäre viel-
leicht für einen Scherenschleifer recht, aber nicht für den ersten Tenor der
Lyra. — Der junge Studienreferendar - na, der knödelte, und wenn er einen
Ton wirklich mal nach langem Schmieren hatte, dann blieb er darauf bis
zur Polizeistunde.

Ein Kreuz mit diesen Tenören! — Sic waren der Stachel im Fleisch des
Rentamtmanns. Schon wollte er aus dem Schleckergaßl seine Schritte zu
seinem Haus am Marktplatz lenken — da - da aus einem offenen Fenster
des alten verkommenen Salzstößlcrhauses heraus strahlte und prangte eine
stählerne Stimme: Durch die Wälder, durch die Auen zog ick froben Muts
dahin. . .

Eine Pracht! Ein Tenor! Eine Stimme! Der Rentamtmann blieb lau-
schend - gebannt stehen. — Himmel! D a war das, was er suchte - brauchte!

- Er kletterte sofort die enge dunkle Stiege empor. Da roch es nach Zwie-

beln, altem Kraut und neuen Kindern. — Indes: den Mann durfte man
sich nicht entgehen lassen. Ein solcher Tenor! -

Eine dicke Frau mit hochgekrcmpelten Ärmeln und ein intensiver Wäsche-
dampf empfingen den Rentamtmann Kirnbacher. —

„Genga S' nur 'nei' zu eabm", sagte die Frau. Und sie schrie aus dem
engen Flur in die dampfende Küche: „ Schnapper, a Herr möcht' zu Eahna I — "
Der Tenor Schnapper legte verwirrt den Säugling, den er eben betreute,
in eine offene Kommodenschublade und gürtete den Leibriemen fester. — Das
konnte nur ein Kriminaler sein, der da kam. Schnapper konnte ihm ruhig
enkgegensehe». Der fragte vielleicht immer noch wegen dieser dummen Hunde-
geschkchte vom vorigen Winter. - Das war viel Aufhebens wert! An dem
Viecherl war ohnehin nichts dran gewesen. Lauter Haut und Knochen. —
Was frißt man nicht alles, wenn man wochenlang arbeitslos ist. Indes, cs
kamen zu Schnappers angenehmer Überraschung nicht krkminalisch-kulina-
rische, sondern kulturell künstlerische Fragen aufs Tapet.

Als Kirnbacher nach längerer Unterredung wieder ging, batte er von dem
Ausgcher Sebastian Schnapper die Zusage, dem Ausschuß der Lvra vor-
zusingen.

„I Hab' all'wcil gern g'sunga, Herr Rentamtmann. - Dös war mrt
größte Freud', 'aö Singa!"

Und als der Besuch gegangen war, da wiegte Schnapper noch mal so frob
bewegt den Spätgcborcncn der Frau Baumhackl auf den Knien. — Gesang-
verein ! - So was wollte er schon lange haben! -

Und Schnapper sang vor dem Ausschuß. Er hatte sich fein gemacht an
diesem Sonntagabend. Er trug in der Krawatte das silberne Hufeisen mit
der Reitpeitsche und die tief ausgeschnittene Smokingweste von seinem Vetter,
der als Kellner kn der Hauptstadt „konditionierte".

Die Frau Apotheker besah den neuen Tenor durch die Lorgnette, wie man
in der Menagerie ein fremdartiges und durch Aussehen und Geruch unsym-
pathisches Tier betrachtet. Der Amtsrichter sagte zum Postdirektor mit einem
Seitenblick auf Kirnbacher: „Hm — wenn er glaubt, damit die Lyra zu
heben ..." Nur der Kaufmann Nußbaum war von großer wohlwollender
Herzlichkeit und bot dem Gast gleich eine Trabuko an.

208
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Tenor"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kreis, Julius
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 162.1925, Nr. 4160, S. 208

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen