„Steuermann!" stellte sich der
dicke Herr mit dem herkulischen
Brillantring vor, der llns seit
uv ei Stunden mit seinen reichen
Reiscerfahrungen unterhalten
batte. Es war in der zweiten
Klasse eines O-Zuges. Ich mutzte
die Fahrt in Chemnitz unterbre-
chen, weil ich mir telegraphisch
und Hauptpost lagcrttd Geld dorthin bestellt hatte. Augenblicklich betrug
mein Barvermögen etwas über drei Mark.
Ich weis; nicht: irgendwie flötztc Chemnitz mir Furcht und Mitleid
ein. Ich kannte dort keine Katze, war im Leben nicht dort gewesen,
und wer weis;, ob mir die Post das Geld so ohne weiteres aushändigen
würde? Vorausgesetzt, das; es überhaupt kam.Ich hatte meinen alten
Cnfel herzbewegend darum gebeten, den Onkel Kasimir, der mich schon
als Kind auf den Knien gesäugt hatte, aber Verwandte sind eigentlich
immer mehr oder weniger Duzfeinde und die Zeiten für ungewisse
Kapitalanlagen wenig geeignet.
„Wohin fahren Sic denn?" fragte mich Herr Steuermann und
sah mich freundlich mit schwimmenden Äuglein an.
„Bach Chemnitz", sagte ich betrübt.
„Chemnitz — alle Achtung!" lobte der Feistling, als ob ich von den
Quellen des Amazonas gesprochen hätte. „Da werden Sie Ihre Freude
haben!"
„Hoffentlich!" seufzte ich wahrheitsgetreu.
„Sie kriegen nämlich gar kein Quartier. Da ist doch jetzt die große
Tagung der mitteldeutschen Wcchselprotestgegncr. Jedes Hotel ausver-
kaust. Ich weiß es zufällig, ich muß nämlich übermorgen auch hin —
ick bin da so - in dem Verein meine ich — so'ne Art Ehrenmitglied."
Ich erschrak baß und Tenor! Keine Unterkunft! Und der Zug kam
erst nach? Uhr abends an, wenn diepostschonFeierabend geblasen hat.
„Glauben Sie wirklich, daß ich nicht doch ein bescheidenes Zim-
merchcn-"
„Ausgeschlossen!" sagte Steuermann ehern und cs klang nach
Schwur in der zweiten Instanz. „In Chemnitz können Sie überhaupt
nur im Hotel Colorado Claro wohnen — das einzige moderne Haus
am Platze. Mit allem Komfort. Fließendes Wasser, Dampfheizung,
Vakuum, Zimmertelephon, Bad in jedem Zimmer. Aber Sie hätten
vorbestellcn müssen. Ich habe vorbestellt!"
„jedenfalls versuche ich cs!"
„Wie Sie meinen! Übrigens — Sic könnten mir'nen Gefallen tun,
wenn Sie doch schon mal in Ihr Unglück rennen wollen. Ich habe nämlich
mein Zimmer für heute vorbcstellt, kann aber erst übermorgen kommen.
Sagen Sie doch dem Portier, er soll sich die Bestellung für übermorgen
vornotieren — vergessen Sie nicht: Karl Steuermann, Berlin!"
Ein Hoffnungsblih zuckte durch die Bacht meiner Verzweiflung.
..Dann könnte ich ja vielleicht das Zimmer für heute nacht nehmen,
denn-" Aber Herr Steuermann lachte häßlich, daß die Gold-
,-chnc blitzten: „Bcc, Männeken, da werden Sic kein Glück habe»!
Wenn ich heute nicht komme, warten schon zehn andre, die auch vor-
bestellt haben, und die werden natürlich eher berücksichtigt!"
Hiernach schien allerdings keine Möglichkeit vorhanden, im Hotel
Colorado Claro zu Chemnitz mein müdes Haupt zu deponieren. Als
ich aber eine halbe Stunde später nach herzlichem Abschied von Herrn
Steuermann vor dem eleganten Hotel stand, zischte in meinem Schädel
die blendende Rakete eines genialen Einfalls hoch. Kolumbus hatte
wieder einmal, wie schon so oft in höchster Bot, ein Ei gelegt, und cs
war nicht das schlechteste. Mit mannhaften Schritten, die Reisetasche
verwegen schwenkend, trat ich durch die Drehtür in die strahlende Helle
des Empfangsraums und sagte kühl zu dem tadellosen Qbek äe
reception, wie in Deutschland die Hotelzimmervermieter heißen, mein
Bame sei Karl Steuermann aus Berlin, und ich hätte vorbestellt.
Worauf der Lord eine lange Lifte durchlas und beinahe freundlich
bemerkte, es stimme, und ich hätte Bummer \\0. Worauf ich mich
durch Ausfüllung des Meldezettels mit dem Bamen Karl Steuermann
aus Berlin der Urkundenfälschung schuldig machte, aber ich hätte das
ganze Strafgesetzbuch von vorn nach hinten und retour begangen, um
ein Unterkommen zu haben.
Das Zimmer war wirklich pompös und mit dem von Herrn Steuer-
mann gelobten Komfort ausgestattet. Ich geriet ln eine verzweifelte
Selbstmörderstimmung und bestellte mir ein feines Abendessen mit
Sekt - natürlich aufs Zimmer, weil es da in Rechnung gestellt wurde,
während ich im Restaurant hätte Baranschaffung nrachen müssen.
Bach dem Essen legte ich mein bastseidenes Pyjama mit violetter
Verschnürung an und sah auö wie ein Mitternachtshusar. Dann
streckte ich mich auf dem Divan aus, den Sekt zu meinen Häupten,
knipste eine diskrete Stehlampe an und versank allgemach in Revcric.
Meine Lage wäre vollkommen gewesen, wenn ich gewußt hätte,
ob ich bereits durch Qnkel Kasimir auf der Post akkreditiert sei. Blin
- das würde ich morgen früh wissen. Der Sekt war gut,- er sprach
allerdings nur gebrochen französisch, aber immerhin schien er in Luxem-
burg auf Flaschen gefüllt worden zu sein. Zigarettenrauch schlcierte
um das warme Licht der Lampe,- ich streckte mich behaglich auf der
breiten Ottomane tind war langsam bereit, mit Gott und der Welt zu
°>0 Prozent zu akkordieren. Da klopfte cs bastig an der Tür, und noch ehe
dicke Herr mit dem herkulischen
Brillantring vor, der llns seit
uv ei Stunden mit seinen reichen
Reiscerfahrungen unterhalten
batte. Es war in der zweiten
Klasse eines O-Zuges. Ich mutzte
die Fahrt in Chemnitz unterbre-
chen, weil ich mir telegraphisch
und Hauptpost lagcrttd Geld dorthin bestellt hatte. Augenblicklich betrug
mein Barvermögen etwas über drei Mark.
Ich weis; nicht: irgendwie flötztc Chemnitz mir Furcht und Mitleid
ein. Ich kannte dort keine Katze, war im Leben nicht dort gewesen,
und wer weis;, ob mir die Post das Geld so ohne weiteres aushändigen
würde? Vorausgesetzt, das; es überhaupt kam.Ich hatte meinen alten
Cnfel herzbewegend darum gebeten, den Onkel Kasimir, der mich schon
als Kind auf den Knien gesäugt hatte, aber Verwandte sind eigentlich
immer mehr oder weniger Duzfeinde und die Zeiten für ungewisse
Kapitalanlagen wenig geeignet.
„Wohin fahren Sic denn?" fragte mich Herr Steuermann und
sah mich freundlich mit schwimmenden Äuglein an.
„Bach Chemnitz", sagte ich betrübt.
„Chemnitz — alle Achtung!" lobte der Feistling, als ob ich von den
Quellen des Amazonas gesprochen hätte. „Da werden Sie Ihre Freude
haben!"
„Hoffentlich!" seufzte ich wahrheitsgetreu.
„Sie kriegen nämlich gar kein Quartier. Da ist doch jetzt die große
Tagung der mitteldeutschen Wcchselprotestgegncr. Jedes Hotel ausver-
kaust. Ich weiß es zufällig, ich muß nämlich übermorgen auch hin —
ick bin da so - in dem Verein meine ich — so'ne Art Ehrenmitglied."
Ich erschrak baß und Tenor! Keine Unterkunft! Und der Zug kam
erst nach? Uhr abends an, wenn diepostschonFeierabend geblasen hat.
„Glauben Sie wirklich, daß ich nicht doch ein bescheidenes Zim-
merchcn-"
„Ausgeschlossen!" sagte Steuermann ehern und cs klang nach
Schwur in der zweiten Instanz. „In Chemnitz können Sie überhaupt
nur im Hotel Colorado Claro wohnen — das einzige moderne Haus
am Platze. Mit allem Komfort. Fließendes Wasser, Dampfheizung,
Vakuum, Zimmertelephon, Bad in jedem Zimmer. Aber Sie hätten
vorbestellcn müssen. Ich habe vorbestellt!"
„jedenfalls versuche ich cs!"
„Wie Sie meinen! Übrigens — Sic könnten mir'nen Gefallen tun,
wenn Sie doch schon mal in Ihr Unglück rennen wollen. Ich habe nämlich
mein Zimmer für heute vorbcstellt, kann aber erst übermorgen kommen.
Sagen Sie doch dem Portier, er soll sich die Bestellung für übermorgen
vornotieren — vergessen Sie nicht: Karl Steuermann, Berlin!"
Ein Hoffnungsblih zuckte durch die Bacht meiner Verzweiflung.
..Dann könnte ich ja vielleicht das Zimmer für heute nacht nehmen,
denn-" Aber Herr Steuermann lachte häßlich, daß die Gold-
,-chnc blitzten: „Bcc, Männeken, da werden Sic kein Glück habe»!
Wenn ich heute nicht komme, warten schon zehn andre, die auch vor-
bestellt haben, und die werden natürlich eher berücksichtigt!"
Hiernach schien allerdings keine Möglichkeit vorhanden, im Hotel
Colorado Claro zu Chemnitz mein müdes Haupt zu deponieren. Als
ich aber eine halbe Stunde später nach herzlichem Abschied von Herrn
Steuermann vor dem eleganten Hotel stand, zischte in meinem Schädel
die blendende Rakete eines genialen Einfalls hoch. Kolumbus hatte
wieder einmal, wie schon so oft in höchster Bot, ein Ei gelegt, und cs
war nicht das schlechteste. Mit mannhaften Schritten, die Reisetasche
verwegen schwenkend, trat ich durch die Drehtür in die strahlende Helle
des Empfangsraums und sagte kühl zu dem tadellosen Qbek äe
reception, wie in Deutschland die Hotelzimmervermieter heißen, mein
Bame sei Karl Steuermann aus Berlin, und ich hätte vorbestellt.
Worauf der Lord eine lange Lifte durchlas und beinahe freundlich
bemerkte, es stimme, und ich hätte Bummer \\0. Worauf ich mich
durch Ausfüllung des Meldezettels mit dem Bamen Karl Steuermann
aus Berlin der Urkundenfälschung schuldig machte, aber ich hätte das
ganze Strafgesetzbuch von vorn nach hinten und retour begangen, um
ein Unterkommen zu haben.
Das Zimmer war wirklich pompös und mit dem von Herrn Steuer-
mann gelobten Komfort ausgestattet. Ich geriet ln eine verzweifelte
Selbstmörderstimmung und bestellte mir ein feines Abendessen mit
Sekt - natürlich aufs Zimmer, weil es da in Rechnung gestellt wurde,
während ich im Restaurant hätte Baranschaffung nrachen müssen.
Bach dem Essen legte ich mein bastseidenes Pyjama mit violetter
Verschnürung an und sah auö wie ein Mitternachtshusar. Dann
streckte ich mich auf dem Divan aus, den Sekt zu meinen Häupten,
knipste eine diskrete Stehlampe an und versank allgemach in Revcric.
Meine Lage wäre vollkommen gewesen, wenn ich gewußt hätte,
ob ich bereits durch Qnkel Kasimir auf der Post akkreditiert sei. Blin
- das würde ich morgen früh wissen. Der Sekt war gut,- er sprach
allerdings nur gebrochen französisch, aber immerhin schien er in Luxem-
burg auf Flaschen gefüllt worden zu sein. Zigarettenrauch schlcierte
um das warme Licht der Lampe,- ich streckte mich behaglich auf der
breiten Ottomane tind war langsam bereit, mit Gott und der Welt zu
°>0 Prozent zu akkordieren. Da klopfte cs bastig an der Tür, und noch ehe
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mit allem Komfort"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4194, S. 293
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg