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ich antwor-
ten konnte, ,
stürzte eine
Dame, eine '
junge, ent-
zückende,
sehr elegante
Dame ins
Zimmer und
riegelte hin-
ter sich ab.

„Denken
Sie nicht

schlecht von mir!" rief sie, noch ebe ich Zeit dazu gehabt hätte. Ich erhob
mich galant und verneigte mich.

„Darf ich meine freudige Überraschung ausd-" begann ich

galant, aber die Dame schnitt mir das Wort im Satze durch. „Was
soll jetzt aus meiner armen Schwester werden, die Sie ins Unglück
gestürzt haben?" Sie trat nahe vor mich hin und schien zu jedem
Mord entschlossen. „Das könnte Ihnen so passen: einem braven
Mädchen die Ersparnisse abgaunern, ihr die Ehe versprechen und dann
verduften! Aber ich habe, Gott sei Dank, in Berlin erfahren, das;
Sic nach Chemnitz gereist sind, und deshalb bin ich nun hier, um Sie
an Ihre Pflichten zu erinnern. Entweder Sie erfüllen sie, oder ich
gehe auf die Polizei und lasse Sie verhaften!"

Man wird mir glauben, daß ich bestürzt war. Dieser Steuermann
mußte eine nette Pflanze sein! Da segelte ich ja unter angenehmer
Flagge. Und was das Schlimmste war: ich durfte mich nicht zu er-
kennen geben, sonst flog ich aus dem Hotel hinaus, und da ich zahlungs-
unfähig war, drohten mir ernsthafte Komplikationen. Ich mußte die
um Geld und Ehe geprellte Schwester dilatorisch behandeln.

Mein liebes Fräulein", bemerkte ich leidvoll und legte ein ge-
dämpftes Tremolo in meine Stimme. „Zugegeben — es bestehen da

Mißverständnisse-wollen Sie nicht Platz nehmen — vielleicht ein

Glas Sekt-so jung komm-"

„Was fällt Ihnen ein?" brauste die Dame los wie ein mittlerer
Zimmcrtorpedo. „Bin ich hicrhergekommen, um eine Orgie mit Ihnen
zu feiern? Sie scheinen mir ja ein sauberer Herr zu sein, Herr Steuer-
inann! Am Ende genügt Ihnen eine Schwester nicht — Sie wollen
meine ganze Familie in Schmach und Schande stürzen!"

Ich deutete durch Gesten an, daß mir nichts ferner läge. Aber die
Dame raste im Zimmer umher, stieß furchtbare Drohungen aus, geriet
ins Schluchzen und sank schließlich erschöpft in einen Sessel. Hierauf
trank sie hastig zwei Gläser Sekt.

Ich gab zu bedenken, daß wir vielleicht morgen früh-Um acht

wird die Post geöffnet — um ll?9 war ich verduftet-ja also,

morgen früh nach 9 Uhr die Sache regeln könnten. Ich sei willens,
alles zu tun, was man von einem Ehrenmann verlangen könne, ja,
ich würde auch nicht vor einer Ehe zurückschrecken, aber-

„Morgen früh??" fauchte die Dame und goß sich noch ein Glas
Sekt ein. „Morgen früh?? Bein — sofort!! Hier" und sie zog ein
Wcchselformular aus der Tasche — „diesen Wechsel werden Sie unter-
schreiben! Eher verlasse ich das Zimmer nicht!"

Der Wechsel war seiner Batur nach ein Primawechsel, lautete auf
6734 Mark, fällig drei Tage nach Sicht und war ausgestellt von Selma
Bratfisch, gezogen auf Herrn Karl Steuermann in Berlin. Es blieb mir
nichts anderes übrig,als mit„Karl Steuermann";» akzeptieren.Sovicl ich

mich dunkclgrau erinnerte,wardasWechselfälschung und wurde mitZucht-
haus nicht unter lebenslänglich geahndet.Für meine Zukunft wargesorgt.

„So!" sagte die Schwester der Bratfisch und kniffte das Korpus
delikti zusammen. „Hätte ich Sic früher kennengelernt, hätte ich meine
arme Schwester warnen können! Man sieht Ihnen ja den geborenen
Verbrecher an. Sie enden noch im Zuchthause!" Die Situation sprach
leider für die Richtigkeit der Prognose.

Immerhin wurde ich die energische Vertreterin ihrer Schwester für
den Augenblick los. Sie ging mit allen Insignien der Verachtung,
und ich verbrachte die schauderhafteste Bacht meines Lebens seit dem
Abiturientenexamen.

Schon vor 7 Uhr frühmorgens war ich auf den Straßen Chem-
nitzens und lief wie ein schlechkgefangencr Tiger um den Platz herum,
der unter anderm das Hauptpostgebäude ziert. Endlich wurde cs 8 Uhr,
und ich stürzte zum Schalter.

Ja — das Geld war da. Ja — Onkel Kasimir hatte 500 Mark an-
gewiesen. Ja - ich könnte cs gleich haben, wenn ich mich durch Paß
ausweisen könnte.

Ich hatte keinen Paß mit! Der lag bei mir zu Hause, wohl versperrt
im Schreibtisch, damit ihn nur ja niemand stehle. Als ich das dem
Beamten sagte, meinte er, dann ginge das Geld zurück, und schmiß das
Schaltcrfenster klirrend herunter. Meine Haare reckten sich igelförmig.

Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, auf dem schmalen
Brett vor dem Schalterfenster auf Knien herumzurutschen und den
Beamten anzuflehen, mir das Geld auszuhändigen. Vergeblich! Der
Mann wollte wissen, wo ich wohne, dann könne mir der Betrag zugestellt
werden. Aber ich konnte doch unmöglich gestehen, daß ich unter falschem
Bamen im komfortabelsten Hotel logiere! Ich brach in Tränen aus, die
jedes Krokodil neidisch gemacht hätten, aber eher hätte ich einen Beton-
block zum Schmelzen gebracht als das Herz jenes Schalterpräsidcnten.

Verzweifelt wollte ich Onkel Kasimir telegraphieren, er möge mir
das Geld nochmals unter „Steuermann" ins Hotel Colorado Claro
senden, ich hatte ja noch drei Mark. Aber soviel ich in den Taschen
wühlte, das Geld war verschwunden. Man hatte es mir geklaut.

Da entfloh ich. Drei Meilen Himer Chemnitz rastete ein Wander-
zirkus. Ich hatte schon in jungen Jahren ein schönes Talent in der
Verkörperung weiblicher Rollen bei Vereinsfestlichkeiten offenbart.
Das sollte mir zum Heile werden. Bei freier Station, Lieferung der
Kostüme und 30 Pfennig Gage pro Tag engagierte mich der Direktor
als Damenimitator, und ich gelangte im Verlaufe von sechs Wochen
via Biederwiesa, Flöha, Falkenau, Klcinschirma,Müldenhütten, Bieder-
bobrihsch, Klingenberg, Tharandt, Hainsbcrg, Deuben und Potschappel
in meine Heimatstadt. An Körper, Seele und Geist zerrüttet, hüte ich seit-
dem ein hitziges Fieber im Bett, um Jahre gealtert. Ich habe nie erfahren,
was aus Steuermann, der Bratfisch und meinem Wechsel geworden ist.

Vorgestern hätte ich in ein erstklassiges Porzellan- und Steingut-
unternehmen einhciraten können. Leider wurde es in Chemnitz betrieben
und zerschlug sich infolgedessen.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mit allem Komfort"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Flechtner, Otto
Entstehungsdatum
um 1925
Entstehungsdatum (normiert)
1920 - 1930
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 163.1925, Nr. 4194, S. 294

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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