«Iott, mein Iott!" hörte lch den Gastfreund, ,,'ne Säjemühle hat
er ooch im Halse. Det is jewiß'n Operntenor! Wat der Junge röchelt!
Un ick Hab' mir scheiden lassen, weil meine Olle schnarchte. Det is de
Berjeltung!"
«Da missen Se 'n nur de Waschganne voll Wasser iwwern Gobb
schidd'n, da heerd der schonn von alleene uff!" riet meine Wirtin
gemütvoll, und ich steckte den Kopf rasch unter die Decke.
Irgendwie schien man sich zu einigen,- denn als ich nach kurzem ein
Auge aus der Bettdecke lüpfte, war ich mit dem Dicken allein, der
offenbar etwas im Zimmer suchte. Er lag stöhnend und fluchend auf
dem Boden und leuchtete mit einer Taschenlampe herum. Endlich
richtete er sich auf und stieß mir rücksichtslos das Licht seiner Laterne
in die Augen. «Da zwinkert er ja!" schrie er und riß von meinem
Kopfkissen ein schwarzes steifes Hütchen, jenen schweren Gegenstand,
der mich vorhin getroffen hatte. Ich stellte mich wieder tot. Der Dicke
trat vor das Kanapee. „Uff det kleene Soffa soll ick mein Iebein
schichten!" meinte er. „Det wird 'n Nachtlager von Kanada! Sie!
Verehrter Zeit- und Bettjenosse," wandte er sich plötzlich an mich,
„helfen Se ma doch mal meen Köfferchen 'n bisken wegschieben! Der
Herkules vorhin hat 'n mittenmang in de sute Stube jestellt. Also,
wenn ick erjebenst engagieren dürste!" Und er rundete lieblich seinen
linken Arm.
Ich bin ein guter Mensch und das hat mir schon viel geschadet.
Ich rappelte mich im keuschen Nachtpaletot aus dem Bett und legte
mit dem Dicken gemeinsam Hand an den Riesenkoffer. „Awupp!"
rief derEigentümer, und
im nächsten Augenblick
lag der Koffer auf mir
und ich unter ihm, daß
mir sämtliche Zähne ge-
wackelt hätten, hätte ich
sie nicht vorher ins
Wasserglas getan.
„Nanu! Wat is n
det for 'n Mystikum!"
rief der Dicke. „Der
Koffer wiegt doch jut
un jerne seine hundert-
fuffzig Kilo lebend, un
uff eenmal is er leicht
wie 'n schlechtjefüttert
Siebenmonatskind. Da
ist doch wat passiert!"
Und er arbeitete mit
Schlüsseln, während ich
nicht ohne Mühe unter
dem Koffer hervor-
rutschte. Gerade wollte
ich wieder ins Bett
huschen, fest entschlossen,
nicht einmal der Lieb-
lingsfrau des Maha-
radscha Platz zu machen,
als ich einen furcht-
baren Schrei hörte und
den Dicken lang hin-
plauhen sah.
So leicht sträuben sich mir die Haare nicht, denn ich trage eine
Glatze, aber dieses Mal standen die letzten Reste der Locken pfeilgrad
nach oben, während meine Haut die Form einer ganzen Gänseherde
annahm. Beim Scheine der Taschenlampe sahen meine schreckgepeitsch-
ten Augen in dem Koffer — einen weiblichen Leichnam!
Ich muß wohl einige Zeit die Beute einer wohltätigen Ohnmacht
gewesen sein, denn als ich wieder zum Leben kam, lag der Dicke in
meinem Bett, hatte sich fest in die Decken gewickelt und machte der
Leiche Konkurrenz. Der Anblick der letzteren war wahrhaft grauen-
erregend. Sie war völlig bekleidet, aber ihre weiße Bluse wies Blut-
spuren auf. Am Halse klaffte eine schreckliche Wunde, die Zunge hing
bläulich heraus, und die Augen waren furchtbar verdreht. Kein Zweifel
war erlaubt: die Leiche war mausetot.
Ich hatte mal mit paolino einen Zwist wegen einer Dame, ich war
jahrelang mit einer Löwenbändigerin verlobt, ich habe mich mit dem
Wohnungsamt prozessiert — also mit einem Worte: schreckhaft bin ich
nicht, aber dieses Mal fiel mir das Herz doch in die Hose, die ich gar
nicht anhatte. Mit Mühe und Not stieß ich den in ähnlicher Gemüts-
verfassung befindlichen Dicken aus dem Bett, der eine schrecklich kon-
fuse Geschichte erzählte, aus der ich nur soviel entnahm, daß man seinen
Koffer mit dieser Morgue vertauscht haben mußte.
„Ick bin 'n ehrlicher, reeller Koofmich," schluchzte er, «ick kann
keene Taube 'n Hals abdreh'n, ick mache in prima emaillierte Teppe,
ick bin nich vorbestraft-un nu liejt 'ne Leiche in mein' hochacht-
baren Koffer. Ausjerechnet in mein' Koffer liejt se un rihrt sich nich
mehr.Wat mach'ick blos,
wat mach ick blos?"
Mit Mühe und Not
brachte ich ihn zu dem
Entschluß, sofort die
Polizei zu benachrichti-
gen,- ich würde ja be-
kunden, daß er kaum der
Mörder sein könne. «Ick
un 'n Merder! Wo ick
keen Hihnchen abwür-
jen kann, ohne det mir
schlecht wird!" greinte
er, während ich mit ihm
die Treppen hinunter-
stieg. Wir hatten ja nur
einen Haustorschlüssel.
Mit dem sollte ich ihm
aufschließen, und er
wollte dann klingeln,
wenn er mit der Polizei
zurückkehrte. Ich hatte
mir nur die Stiefel auf
die nackten Füße gezogen
und den Mantel übers
Nachthemd geworfen.
Unten schloß ich rasch mit
dem Drücker die erste
Tür und mit dem
Schlüssel die zweite
auf, als mir im letzten
Augenblick der Dicke
Rücksichtsvoll
«WeShalb arbeiten Sie nicht, wo Sie so groß und stark sind?" - «Wenn ich
anfange, werden doch nur vier oder fünf andere erwerbslos."
188
er ooch im Halse. Det is jewiß'n Operntenor! Wat der Junge röchelt!
Un ick Hab' mir scheiden lassen, weil meine Olle schnarchte. Det is de
Berjeltung!"
«Da missen Se 'n nur de Waschganne voll Wasser iwwern Gobb
schidd'n, da heerd der schonn von alleene uff!" riet meine Wirtin
gemütvoll, und ich steckte den Kopf rasch unter die Decke.
Irgendwie schien man sich zu einigen,- denn als ich nach kurzem ein
Auge aus der Bettdecke lüpfte, war ich mit dem Dicken allein, der
offenbar etwas im Zimmer suchte. Er lag stöhnend und fluchend auf
dem Boden und leuchtete mit einer Taschenlampe herum. Endlich
richtete er sich auf und stieß mir rücksichtslos das Licht seiner Laterne
in die Augen. «Da zwinkert er ja!" schrie er und riß von meinem
Kopfkissen ein schwarzes steifes Hütchen, jenen schweren Gegenstand,
der mich vorhin getroffen hatte. Ich stellte mich wieder tot. Der Dicke
trat vor das Kanapee. „Uff det kleene Soffa soll ick mein Iebein
schichten!" meinte er. „Det wird 'n Nachtlager von Kanada! Sie!
Verehrter Zeit- und Bettjenosse," wandte er sich plötzlich an mich,
„helfen Se ma doch mal meen Köfferchen 'n bisken wegschieben! Der
Herkules vorhin hat 'n mittenmang in de sute Stube jestellt. Also,
wenn ick erjebenst engagieren dürste!" Und er rundete lieblich seinen
linken Arm.
Ich bin ein guter Mensch und das hat mir schon viel geschadet.
Ich rappelte mich im keuschen Nachtpaletot aus dem Bett und legte
mit dem Dicken gemeinsam Hand an den Riesenkoffer. „Awupp!"
rief derEigentümer, und
im nächsten Augenblick
lag der Koffer auf mir
und ich unter ihm, daß
mir sämtliche Zähne ge-
wackelt hätten, hätte ich
sie nicht vorher ins
Wasserglas getan.
„Nanu! Wat is n
det for 'n Mystikum!"
rief der Dicke. „Der
Koffer wiegt doch jut
un jerne seine hundert-
fuffzig Kilo lebend, un
uff eenmal is er leicht
wie 'n schlechtjefüttert
Siebenmonatskind. Da
ist doch wat passiert!"
Und er arbeitete mit
Schlüsseln, während ich
nicht ohne Mühe unter
dem Koffer hervor-
rutschte. Gerade wollte
ich wieder ins Bett
huschen, fest entschlossen,
nicht einmal der Lieb-
lingsfrau des Maha-
radscha Platz zu machen,
als ich einen furcht-
baren Schrei hörte und
den Dicken lang hin-
plauhen sah.
So leicht sträuben sich mir die Haare nicht, denn ich trage eine
Glatze, aber dieses Mal standen die letzten Reste der Locken pfeilgrad
nach oben, während meine Haut die Form einer ganzen Gänseherde
annahm. Beim Scheine der Taschenlampe sahen meine schreckgepeitsch-
ten Augen in dem Koffer — einen weiblichen Leichnam!
Ich muß wohl einige Zeit die Beute einer wohltätigen Ohnmacht
gewesen sein, denn als ich wieder zum Leben kam, lag der Dicke in
meinem Bett, hatte sich fest in die Decken gewickelt und machte der
Leiche Konkurrenz. Der Anblick der letzteren war wahrhaft grauen-
erregend. Sie war völlig bekleidet, aber ihre weiße Bluse wies Blut-
spuren auf. Am Halse klaffte eine schreckliche Wunde, die Zunge hing
bläulich heraus, und die Augen waren furchtbar verdreht. Kein Zweifel
war erlaubt: die Leiche war mausetot.
Ich hatte mal mit paolino einen Zwist wegen einer Dame, ich war
jahrelang mit einer Löwenbändigerin verlobt, ich habe mich mit dem
Wohnungsamt prozessiert — also mit einem Worte: schreckhaft bin ich
nicht, aber dieses Mal fiel mir das Herz doch in die Hose, die ich gar
nicht anhatte. Mit Mühe und Not stieß ich den in ähnlicher Gemüts-
verfassung befindlichen Dicken aus dem Bett, der eine schrecklich kon-
fuse Geschichte erzählte, aus der ich nur soviel entnahm, daß man seinen
Koffer mit dieser Morgue vertauscht haben mußte.
„Ick bin 'n ehrlicher, reeller Koofmich," schluchzte er, «ick kann
keene Taube 'n Hals abdreh'n, ick mache in prima emaillierte Teppe,
ick bin nich vorbestraft-un nu liejt 'ne Leiche in mein' hochacht-
baren Koffer. Ausjerechnet in mein' Koffer liejt se un rihrt sich nich
mehr.Wat mach'ick blos,
wat mach ick blos?"
Mit Mühe und Not
brachte ich ihn zu dem
Entschluß, sofort die
Polizei zu benachrichti-
gen,- ich würde ja be-
kunden, daß er kaum der
Mörder sein könne. «Ick
un 'n Merder! Wo ick
keen Hihnchen abwür-
jen kann, ohne det mir
schlecht wird!" greinte
er, während ich mit ihm
die Treppen hinunter-
stieg. Wir hatten ja nur
einen Haustorschlüssel.
Mit dem sollte ich ihm
aufschließen, und er
wollte dann klingeln,
wenn er mit der Polizei
zurückkehrte. Ich hatte
mir nur die Stiefel auf
die nackten Füße gezogen
und den Mantel übers
Nachthemd geworfen.
Unten schloß ich rasch mit
dem Drücker die erste
Tür und mit dem
Schlüssel die zweite
auf, als mir im letzten
Augenblick der Dicke
Rücksichtsvoll
«WeShalb arbeiten Sie nicht, wo Sie so groß und stark sind?" - «Wenn ich
anfange, werden doch nur vier oder fünf andere erwerbslos."
188
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Rücksichtsvoll"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4211, S. 188
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg