Die verschwiegene Waschfrau
Humoreske von Fritz Lindner-Karlsruhe
Vor ganz kurzer Zeit waren Frau Müller und Frau Maier noch
Busenfreundinnen. Jetzt herrscht Todfeindschaft zwischen den beiden.
Solche Temperaturstürze der Freundschaft vom Siedegrad bis zum Ge-
frierpunkt sollen bei Damen sehr oft Vorkommen. An der ganzen Bruch-
kiste war aber nur einer der sogenannten Herren der Schöpfung schuld.
Frauen unter sich sind immer friedlich. Frau Müller, die unbestrittene
Vorstandsdame ihres Eheklubs, wohnt im ersten Stock Birkenweg
Vr. 11. Im dritten Geschoß des gleichen Betonknusperhäuschens be-
findet sich der häusliche Zirkus, dessen energische Direktorin Frau
Maier ist. Das ist weiter nichts Besonderes. Das, respektive der Be-
sondere, wohnt seit einigen Tagen in der zweiten Etage bei der jungen
Doktorswitwe, Frau Hannemann. Ein Herr, der sich in diesen be-
lämmerten Zeiten zwei erstklassig möolierte Zimmer leisten kann, gilt
bei den andern Hausgenossen unumstößlich als besserer Herr. Sein
Aussehen steigt noch bei dem weiblichen Teile der Mitbewohner ins
Unermeßliche, wenn er morgens erst gegen neun Uhr mit der Akten-
mappe unterm Arm das Haus verläßt, zweitens, wenn er eine Horn-
brille trägt und drittens, wenn es ruchbar wird, daß er noch ledig ist.
Daß er den Vamen Lehmann führt und ein preuß' ist, fällt diesen
Tatsachen gegenüber weniger ins Gewicht. Bei Ermittelung seines
Lebenszweckes ist ein Detektiv durchaus entbehrlich, wenn das ganze
Haus die gleiche Waschfrau hält, welche als ungemein verschwiegen
gilt. Eben diese diskrete Dame, Frau Dimpferl, machte nämlich am
Montag früh, als sie in der Waschküche die schmutzige Wäsche der
Familie Müller verwalkte, eine
größere Kunst- und Klatschpause,
stemmte die Arme in die Hüsten
und begann also zu Frau Müller,
die ihr gerade das Frühstück ge-
bracht hatte, zu reden: „3 müßt'
scho' a Bardie für Eahna ihre
Dochter, a Bardie, sie blieb
im Bilde, die sich g'waschen hätt'.
Daß Sie als Mutter no' nix g'merkt hab'n, daß Ihr Fräulein Zen-
zerl do' scho' in die Jahr is, wo ma' nach anem Zukinstigen sich a
wen'g umschaugt." Frau Müller, die an ihrem Gatten die einwand-
freie Erfahrung gemacht hatte, daß zur Belebung des Redeflusses nichts
dienlicher war als ein oder besser noch mehrere Maaßerl Bier, ließ
gleich der Frau Dimpferl noch ein solches Beförderungsmittel holen.
Mit ausgezeichnetem Erfolg. Denn als Herr Müller zum Mittagessen
heimkam, fand er zwar, daß die Suppe einen rührend anhänglichen
Beigeschmack hatte, dafür war aber seine teure Gattin und Köchin
lückenlos über den Herrn Lehmann informiert. Sofort entwickelte sie
auch einen heiratsstrategischen Feldzugsplan, den sie aber um keinen
Preis ihrem Gatten anvertraute. Männer plappern immer gern zu früh.
Man stellt sie daher am besten vor vollendete Tatsachen. Am nächsten
Morgen stand Frau Dimpferl wieder in der dampferfüllten Wasch-
küche. Diesmal trug die Wäsche, welche in der heißen Seifenbrühe
brodelte, das Monogramm der Familie Maier. Als Frau Maier wie
üblich auch mit dem Frühstück erschien, schilderte sie Herrn Lehmann
als die einzig richdigc Bardie für Marianderl, das hübsche Töchterl
der Frau Maier. Daraufhin holte die glückstrahlende Mutter eine
noch ganz neue seidene Bluse aus dem vorigen Jahrhundert als Ge-
schenk für Frau Dimpferl aus dem dritten Stock herunter, ferner ein
paar Halbschuhe Marianderls, auf denen keine Gummisohlen mehr
halten wollten. Sie erreichte mit diesen Spenden, daß sie restlos über
den besseren Herrn unterrichtet wurde. Dann fing das Drama an, in
welchem der ahnungslose Herr Lehmann die Hauptrolle spielen sollte.
Als er am Mittwoch früh die
Treppe herabkam, stand Fräu-
lein Zenzerl Müller, eine schnee-
weiße Tändelschürze vorgebun-
den, in ihrem schönsten Krepp-
kleid, mit frisch gebrannten
Locken, Lackschuhen und Flor-
strümpfen vor der Glastüre der
elterlichen Wohnung und wischte
graziös die unterste Scheibe links.
Diese Scheibe ausgerechnet, weil sie am leichtesten zu erreichen war
und man sich da die Fingerchen nicht so leicht schmutzig machen konnte.
Mit dieser reizenden Szene sollte der bessere Herr auf die häuslich
erzogene Tochter der Familie Müller aufmerksam gemacht werden.
Kommt der Herr Lehmann vom Mittagstisch nach Hause, so steht die
bewußte Glastüre sperrangelweit offen. Er kann dann mit eigenen
Augen sehen, wie Fräulein Müller das Geschirr vom Eßzimmer in
die Küche trägt. Außerdem muß er doch riechen, daß Müllers nicht
schlecht kochen. Ein solcher Film muß doch auf die Dauer einen ge-
wissen Eindruck hervorzaubern. Aber auch die Frau Maier im dritten
Stock erscheint jetzt aus der Bildfläche mit Eheanbandelkniffen. Ihr
Marianderl muß den Gang nach dem Markte so einrichten, daß sie
um dreiviertel neun die Treppe mit frischen Blumen oben auf dem
Korbe die Treppe hinaufgeht. Man hat doch oft genug hinunter-
gefthielt, just um die Zeit also, wenn der bessere Herr seine Wohnung
verläßt. Natürlich hat 's Marianderl auch einen frischfrisierten Bubi-
kopf, Lackschuhe, Florstrümpfe und das blauseidene Kleid an, das ihr
so gut steht, weil es so tief ausgeschnitten ist. Frau Maier weiß als
Wirtstochter, daß tiefe Ausschnitte besseren Herren immer sehr gefallen.
Bevor Fräulein Müller sich nun an der Glastüre in ihrer Austritts-
nummer produzieren kann, begegnet
auch FräuleinMaier dem, den ihr Herz
und ihre Mutter ersehnt. Der Bessere
stutzt auch wirklich über das dralle
niedliche Mädel. Da sie aber von der
Mutter her einen Stich ins Ländliche'
hat und sie ihn auch ganz selig an-
lächelt, kneift er ihr dreist in die Backe
undfrägt - ihre Taille umfassend-
„Na, mein kleines Gold-Käferchen,
Sie dienen wohl da droben? "Worauf
das Marianderl fassungslos in ihre
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Humoreske von Fritz Lindner-Karlsruhe
Vor ganz kurzer Zeit waren Frau Müller und Frau Maier noch
Busenfreundinnen. Jetzt herrscht Todfeindschaft zwischen den beiden.
Solche Temperaturstürze der Freundschaft vom Siedegrad bis zum Ge-
frierpunkt sollen bei Damen sehr oft Vorkommen. An der ganzen Bruch-
kiste war aber nur einer der sogenannten Herren der Schöpfung schuld.
Frauen unter sich sind immer friedlich. Frau Müller, die unbestrittene
Vorstandsdame ihres Eheklubs, wohnt im ersten Stock Birkenweg
Vr. 11. Im dritten Geschoß des gleichen Betonknusperhäuschens be-
findet sich der häusliche Zirkus, dessen energische Direktorin Frau
Maier ist. Das ist weiter nichts Besonderes. Das, respektive der Be-
sondere, wohnt seit einigen Tagen in der zweiten Etage bei der jungen
Doktorswitwe, Frau Hannemann. Ein Herr, der sich in diesen be-
lämmerten Zeiten zwei erstklassig möolierte Zimmer leisten kann, gilt
bei den andern Hausgenossen unumstößlich als besserer Herr. Sein
Aussehen steigt noch bei dem weiblichen Teile der Mitbewohner ins
Unermeßliche, wenn er morgens erst gegen neun Uhr mit der Akten-
mappe unterm Arm das Haus verläßt, zweitens, wenn er eine Horn-
brille trägt und drittens, wenn es ruchbar wird, daß er noch ledig ist.
Daß er den Vamen Lehmann führt und ein preuß' ist, fällt diesen
Tatsachen gegenüber weniger ins Gewicht. Bei Ermittelung seines
Lebenszweckes ist ein Detektiv durchaus entbehrlich, wenn das ganze
Haus die gleiche Waschfrau hält, welche als ungemein verschwiegen
gilt. Eben diese diskrete Dame, Frau Dimpferl, machte nämlich am
Montag früh, als sie in der Waschküche die schmutzige Wäsche der
Familie Müller verwalkte, eine
größere Kunst- und Klatschpause,
stemmte die Arme in die Hüsten
und begann also zu Frau Müller,
die ihr gerade das Frühstück ge-
bracht hatte, zu reden: „3 müßt'
scho' a Bardie für Eahna ihre
Dochter, a Bardie, sie blieb
im Bilde, die sich g'waschen hätt'.
Daß Sie als Mutter no' nix g'merkt hab'n, daß Ihr Fräulein Zen-
zerl do' scho' in die Jahr is, wo ma' nach anem Zukinstigen sich a
wen'g umschaugt." Frau Müller, die an ihrem Gatten die einwand-
freie Erfahrung gemacht hatte, daß zur Belebung des Redeflusses nichts
dienlicher war als ein oder besser noch mehrere Maaßerl Bier, ließ
gleich der Frau Dimpferl noch ein solches Beförderungsmittel holen.
Mit ausgezeichnetem Erfolg. Denn als Herr Müller zum Mittagessen
heimkam, fand er zwar, daß die Suppe einen rührend anhänglichen
Beigeschmack hatte, dafür war aber seine teure Gattin und Köchin
lückenlos über den Herrn Lehmann informiert. Sofort entwickelte sie
auch einen heiratsstrategischen Feldzugsplan, den sie aber um keinen
Preis ihrem Gatten anvertraute. Männer plappern immer gern zu früh.
Man stellt sie daher am besten vor vollendete Tatsachen. Am nächsten
Morgen stand Frau Dimpferl wieder in der dampferfüllten Wasch-
küche. Diesmal trug die Wäsche, welche in der heißen Seifenbrühe
brodelte, das Monogramm der Familie Maier. Als Frau Maier wie
üblich auch mit dem Frühstück erschien, schilderte sie Herrn Lehmann
als die einzig richdigc Bardie für Marianderl, das hübsche Töchterl
der Frau Maier. Daraufhin holte die glückstrahlende Mutter eine
noch ganz neue seidene Bluse aus dem vorigen Jahrhundert als Ge-
schenk für Frau Dimpferl aus dem dritten Stock herunter, ferner ein
paar Halbschuhe Marianderls, auf denen keine Gummisohlen mehr
halten wollten. Sie erreichte mit diesen Spenden, daß sie restlos über
den besseren Herrn unterrichtet wurde. Dann fing das Drama an, in
welchem der ahnungslose Herr Lehmann die Hauptrolle spielen sollte.
Als er am Mittwoch früh die
Treppe herabkam, stand Fräu-
lein Zenzerl Müller, eine schnee-
weiße Tändelschürze vorgebun-
den, in ihrem schönsten Krepp-
kleid, mit frisch gebrannten
Locken, Lackschuhen und Flor-
strümpfen vor der Glastüre der
elterlichen Wohnung und wischte
graziös die unterste Scheibe links.
Diese Scheibe ausgerechnet, weil sie am leichtesten zu erreichen war
und man sich da die Fingerchen nicht so leicht schmutzig machen konnte.
Mit dieser reizenden Szene sollte der bessere Herr auf die häuslich
erzogene Tochter der Familie Müller aufmerksam gemacht werden.
Kommt der Herr Lehmann vom Mittagstisch nach Hause, so steht die
bewußte Glastüre sperrangelweit offen. Er kann dann mit eigenen
Augen sehen, wie Fräulein Müller das Geschirr vom Eßzimmer in
die Küche trägt. Außerdem muß er doch riechen, daß Müllers nicht
schlecht kochen. Ein solcher Film muß doch auf die Dauer einen ge-
wissen Eindruck hervorzaubern. Aber auch die Frau Maier im dritten
Stock erscheint jetzt aus der Bildfläche mit Eheanbandelkniffen. Ihr
Marianderl muß den Gang nach dem Markte so einrichten, daß sie
um dreiviertel neun die Treppe mit frischen Blumen oben auf dem
Korbe die Treppe hinaufgeht. Man hat doch oft genug hinunter-
gefthielt, just um die Zeit also, wenn der bessere Herr seine Wohnung
verläßt. Natürlich hat 's Marianderl auch einen frischfrisierten Bubi-
kopf, Lackschuhe, Florstrümpfe und das blauseidene Kleid an, das ihr
so gut steht, weil es so tief ausgeschnitten ist. Frau Maier weiß als
Wirtstochter, daß tiefe Ausschnitte besseren Herren immer sehr gefallen.
Bevor Fräulein Müller sich nun an der Glastüre in ihrer Austritts-
nummer produzieren kann, begegnet
auch FräuleinMaier dem, den ihr Herz
und ihre Mutter ersehnt. Der Bessere
stutzt auch wirklich über das dralle
niedliche Mädel. Da sie aber von der
Mutter her einen Stich ins Ländliche'
hat und sie ihn auch ganz selig an-
lächelt, kneift er ihr dreist in die Backe
undfrägt - ihre Taille umfassend-
„Na, mein kleines Gold-Käferchen,
Sie dienen wohl da droben? "Worauf
das Marianderl fassungslos in ihre
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die verschwiegene Waschfrau"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4215, S. 235
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg