Wohnung stürzt, sich heulend auf das Sofa fallen läßt, daß das alte
Familienmöbel in allen Fugen kracht, und ihrer Mutter den furchtbaren
Schwur ins Gesicht schleudert, einen solch ungebildetenDeppen, wie diesen
preuß', würde sie niemals heiraten. Lieber wolle sie von Kalbshaxen-
knöcherln und Weißwursthäuten wie 's Kaherl leben. Herr Maier muß
darauf, auf das Drängen der Gattin hin, dem besseren Herrn, jawohl,
einen Brief schreiben, der ain Anfang von Entrüstung strotzt und am
Schluß mit einer Einladung zu einer Tasse Tee behufs Aussprache endet
Welcher Tee nie getrunken wurde, da der bessere Herr, na so einer, es
vorzieht, sich schriftlich mit seiner fabelhafieit Kurzsichtigkeit zu entschuldi-
gen. Frau Maier war außer sich. In dieser bei Damen sehr häufigen
Stimmung stieg sie am nächsten Tage, den Marktkorb am Arm, die
Treppe hinab. Der Herr Lehmann kam auch gerade aus seiner Türe
und ging voraus. Fräulein Müller stand natürlich wieder holdselig
lächelnd vor der Glastüre und wischte wieder die bewußte Scheibe
links unten. Der bessere Herr kann unmöglich vorbei/ er hat einmal
etwas für hübsche Mädels übrig, ohne sie liebenswürdig zu begrüßen
„GutenMorgen. So ist's recht. Immer fleißig. Das findet man selten
heutzutage bei den jungen Damen. Sie begleiten mich doch ein bisserl,
mein liebes Fräulein Zenzerl?" — Frau Maier glaubte, der Boden
müsse sie verschlingen oder der Schlag sie treffen. Kochend vor Wut
stürzte sie auf den Markt. Jedoch, anstatt mitfühlende Seelen zu treffen,
denen sie ihr Herz bätte ausschütten können, stieß sie ausgerechnet auf
Frau Müller, die gerade mit Frau Dimpserl sich angelegentlich unter-
hielt. Aber was und wen, kann man sich ja leicht denken. Geladen wie
eine Räuberpistole, wollte Frau Maier, ohne zu grüßen, schnell vor-
bei. Aber da lachte Frau Müller höhnisch und triumphierend auf. Da
war es vorbei mit der Fassung der Frau Maier. „Elendige Kupplerin",
zischte sie ihr ins Gesicht. Ach und dann verließ sie, tief aufatmend,
äußerst erleichtert und stolz den Kopf zurückwerfend, den Marktplatz.
Der Gatte sollte zunächst nichts davon erfahren. Männer haben an
solchen Geschichten immer etwas auszusehen. Das Kunststück bringt
aber keine Frau fertig, zu verschweigen, daß sie der andern einmal
die Meinung gründlich gesagt hat. Sie erzählte es ihm also doch. Cr
hörte erst gelassen zu. Dann aber verfinsterte sich seine Miene immer
mehr und er sprach mit tiefem Ernst von einer kommenden Kata-
strophe, von einer Anklage wegen schwerer Beleidigung. Sodann von
der Aussicht auf eine längere Sitzgelegenheit fern vom trauten Heim
oder vom Blechen einer größeren Summe, wofür man den lang ge-
wünschten Pelzkragen hätte zweimal kaufen können. Oder gar von
einer eventuellen Bewährungsfrist, das hieße in diesem Falle „schwei-
gen". Das Schlimmste, was cs für eine Frau gäbe, nicht mehr über
die andere schimpfen zu dürfen. Frau Maier fing zerknirscht an zu
heulen. „O Vater, ich hab's ihr jagen müssen. Ich wär' ja sonst
erstickt." „Hoffentlich hat's niemand gehört und sie hat keine Zeugen!"
„?3ein, nein," beteuerte die Gattin großspurig, „ nur die Frau Dimpserl
is dabeig'standen, aber die verrat' nix, die is verschwiegen wie das
Grab." „Wer," brüllte Herr Maier, „dieKlatschbase, die gschlampete?
Die dir brühwarm immer jeden Stadttratsch erzählt?" „Ja, aber
nur mir," sprach Frau Maier sehr überlegen, „weil sie weiß, daß ich
auch schweigen kann." Herrn Maiers schwerer Hustenanfall bei dem
selbstbewußten Ausspruch seiner Gattin wurde jäh durch das scharfe
Läuten des Briefträgers unterbrocheit. Er ging selbst hinaus und
nahm dem Stinglmanne ahnungsvoll einen eingeschriebenen Brief
ab an seine Frau. Von: Rechtsanwalt. Mit einer tiefen Verbeugung
überreichte er ihn seiner hold errötenden Gattin mit der ebenso höf-
lichen wie energischen Bitte, ihn gleich vorzulesen. Das Schreiben
lautete also: „Im Auftrag meiner Klientin, der Frau Müller, fordere
ich Sie hiermit auf, die gefallenen Schimpfworte unverzüglich mit
dem Ausdrucke des Bedauerns zurückzunehmen, ferner als Sühne
eine Summe von fünfzig Mark dem Säuglingsheim zu stiften. Die
Kosten des Rechtsstreits haben Sie zu tragen. Sollten Sie sich nicht
dazu entschließen können, erfolgt eine Klage wegen schwerer öffent-
licher Beleidigung. Zeugin: Frau Dimpserl." Frau Maier schrie jetzt
auf: „Mir wird net gut. Die Kreatur, die miserable. Die kommt mir
in meinem ganzen Leben nimmer ins Haus." Herr Maier aber stand
auf, holte Papier, Tinte und Feder und sagte gebieterisch: „Schreib,
was ich dir diktier'!" Und Frau Maier mußte schreiben. Eine Ent-
schuldigung, eine Zurücknahme der Worte unter tiefem Bedauern.
Was sehr schmerzhaft war, so etwas schreiben zu müssen. Mit diesem
Schriftstück ging Herr Maier hin, legte es dem Rechtsanwalt vor und
blechte über hundert Mark. Doch als er wieder heimkam, den nagen-
den Wurm über das schöne Geld iin Herzen, glaubte er seinen Augen
nicht trauen zu dürfen.
Er ließ sich vor Stau-
nen auf einen Stuhl
fallen. Das Bild, das
sich ihm bot, war einfach
verblüffend. Aus dem
Sofa saßen Frau Mül-
ler, seine Gattin und die
beiderseitigen Töchter.
Sie hielten sich traulich umschlungen, als sei gar nichts vorgefallen.
Aber alle hatten gerötete verweinte Augen. Als Herr Maier, schnell
erholt, mit der Faust auf den Tisch schlug, daß es krachte, und gerade
fragen wollte: „Kruzitürken, no amal, seids ihr verrückt geworden?"
erhob sich Frau Müller, ging auf ihn zu mit einem Gesicht wie die
Riobe, der sämtliche Kinder geraubt worden waren, und hielt ihm
eine Bermählungsanzeige vor die Augen. Da stand groß und fett
gedruckt: Ihre Vermählung beehren jich anzuzeigen Finanzober-
inspektor Fritz Lehmann und Frau Or. Hannemann, geb. Knack-
fuß. Berlin. München. Da wurde auch der ruhige Herr Maier
fuchsteufelswild und fuhr jekne Frau bissig an: „Zwegen was
ham mir jetzt die hundert Mark aus dem Fenster g'schmissen? Hä?"
„Zwegen wem," kreischte Frau Maier schluchzend, „zwegen dem
dalketen Preuß', zwegen dem frechen." Und die andern Damen
nickten zustimmend und ließen ihre Tränen wieder sanft, aber reichlick
fließen.
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Familienmöbel in allen Fugen kracht, und ihrer Mutter den furchtbaren
Schwur ins Gesicht schleudert, einen solch ungebildetenDeppen, wie diesen
preuß', würde sie niemals heiraten. Lieber wolle sie von Kalbshaxen-
knöcherln und Weißwursthäuten wie 's Kaherl leben. Herr Maier muß
darauf, auf das Drängen der Gattin hin, dem besseren Herrn, jawohl,
einen Brief schreiben, der ain Anfang von Entrüstung strotzt und am
Schluß mit einer Einladung zu einer Tasse Tee behufs Aussprache endet
Welcher Tee nie getrunken wurde, da der bessere Herr, na so einer, es
vorzieht, sich schriftlich mit seiner fabelhafieit Kurzsichtigkeit zu entschuldi-
gen. Frau Maier war außer sich. In dieser bei Damen sehr häufigen
Stimmung stieg sie am nächsten Tage, den Marktkorb am Arm, die
Treppe hinab. Der Herr Lehmann kam auch gerade aus seiner Türe
und ging voraus. Fräulein Müller stand natürlich wieder holdselig
lächelnd vor der Glastüre und wischte wieder die bewußte Scheibe
links unten. Der bessere Herr kann unmöglich vorbei/ er hat einmal
etwas für hübsche Mädels übrig, ohne sie liebenswürdig zu begrüßen
„GutenMorgen. So ist's recht. Immer fleißig. Das findet man selten
heutzutage bei den jungen Damen. Sie begleiten mich doch ein bisserl,
mein liebes Fräulein Zenzerl?" — Frau Maier glaubte, der Boden
müsse sie verschlingen oder der Schlag sie treffen. Kochend vor Wut
stürzte sie auf den Markt. Jedoch, anstatt mitfühlende Seelen zu treffen,
denen sie ihr Herz bätte ausschütten können, stieß sie ausgerechnet auf
Frau Müller, die gerade mit Frau Dimpserl sich angelegentlich unter-
hielt. Aber was und wen, kann man sich ja leicht denken. Geladen wie
eine Räuberpistole, wollte Frau Maier, ohne zu grüßen, schnell vor-
bei. Aber da lachte Frau Müller höhnisch und triumphierend auf. Da
war es vorbei mit der Fassung der Frau Maier. „Elendige Kupplerin",
zischte sie ihr ins Gesicht. Ach und dann verließ sie, tief aufatmend,
äußerst erleichtert und stolz den Kopf zurückwerfend, den Marktplatz.
Der Gatte sollte zunächst nichts davon erfahren. Männer haben an
solchen Geschichten immer etwas auszusehen. Das Kunststück bringt
aber keine Frau fertig, zu verschweigen, daß sie der andern einmal
die Meinung gründlich gesagt hat. Sie erzählte es ihm also doch. Cr
hörte erst gelassen zu. Dann aber verfinsterte sich seine Miene immer
mehr und er sprach mit tiefem Ernst von einer kommenden Kata-
strophe, von einer Anklage wegen schwerer Beleidigung. Sodann von
der Aussicht auf eine längere Sitzgelegenheit fern vom trauten Heim
oder vom Blechen einer größeren Summe, wofür man den lang ge-
wünschten Pelzkragen hätte zweimal kaufen können. Oder gar von
einer eventuellen Bewährungsfrist, das hieße in diesem Falle „schwei-
gen". Das Schlimmste, was cs für eine Frau gäbe, nicht mehr über
die andere schimpfen zu dürfen. Frau Maier fing zerknirscht an zu
heulen. „O Vater, ich hab's ihr jagen müssen. Ich wär' ja sonst
erstickt." „Hoffentlich hat's niemand gehört und sie hat keine Zeugen!"
„?3ein, nein," beteuerte die Gattin großspurig, „ nur die Frau Dimpserl
is dabeig'standen, aber die verrat' nix, die is verschwiegen wie das
Grab." „Wer," brüllte Herr Maier, „dieKlatschbase, die gschlampete?
Die dir brühwarm immer jeden Stadttratsch erzählt?" „Ja, aber
nur mir," sprach Frau Maier sehr überlegen, „weil sie weiß, daß ich
auch schweigen kann." Herrn Maiers schwerer Hustenanfall bei dem
selbstbewußten Ausspruch seiner Gattin wurde jäh durch das scharfe
Läuten des Briefträgers unterbrocheit. Er ging selbst hinaus und
nahm dem Stinglmanne ahnungsvoll einen eingeschriebenen Brief
ab an seine Frau. Von: Rechtsanwalt. Mit einer tiefen Verbeugung
überreichte er ihn seiner hold errötenden Gattin mit der ebenso höf-
lichen wie energischen Bitte, ihn gleich vorzulesen. Das Schreiben
lautete also: „Im Auftrag meiner Klientin, der Frau Müller, fordere
ich Sie hiermit auf, die gefallenen Schimpfworte unverzüglich mit
dem Ausdrucke des Bedauerns zurückzunehmen, ferner als Sühne
eine Summe von fünfzig Mark dem Säuglingsheim zu stiften. Die
Kosten des Rechtsstreits haben Sie zu tragen. Sollten Sie sich nicht
dazu entschließen können, erfolgt eine Klage wegen schwerer öffent-
licher Beleidigung. Zeugin: Frau Dimpserl." Frau Maier schrie jetzt
auf: „Mir wird net gut. Die Kreatur, die miserable. Die kommt mir
in meinem ganzen Leben nimmer ins Haus." Herr Maier aber stand
auf, holte Papier, Tinte und Feder und sagte gebieterisch: „Schreib,
was ich dir diktier'!" Und Frau Maier mußte schreiben. Eine Ent-
schuldigung, eine Zurücknahme der Worte unter tiefem Bedauern.
Was sehr schmerzhaft war, so etwas schreiben zu müssen. Mit diesem
Schriftstück ging Herr Maier hin, legte es dem Rechtsanwalt vor und
blechte über hundert Mark. Doch als er wieder heimkam, den nagen-
den Wurm über das schöne Geld iin Herzen, glaubte er seinen Augen
nicht trauen zu dürfen.
Er ließ sich vor Stau-
nen auf einen Stuhl
fallen. Das Bild, das
sich ihm bot, war einfach
verblüffend. Aus dem
Sofa saßen Frau Mül-
ler, seine Gattin und die
beiderseitigen Töchter.
Sie hielten sich traulich umschlungen, als sei gar nichts vorgefallen.
Aber alle hatten gerötete verweinte Augen. Als Herr Maier, schnell
erholt, mit der Faust auf den Tisch schlug, daß es krachte, und gerade
fragen wollte: „Kruzitürken, no amal, seids ihr verrückt geworden?"
erhob sich Frau Müller, ging auf ihn zu mit einem Gesicht wie die
Riobe, der sämtliche Kinder geraubt worden waren, und hielt ihm
eine Bermählungsanzeige vor die Augen. Da stand groß und fett
gedruckt: Ihre Vermählung beehren jich anzuzeigen Finanzober-
inspektor Fritz Lehmann und Frau Or. Hannemann, geb. Knack-
fuß. Berlin. München. Da wurde auch der ruhige Herr Maier
fuchsteufelswild und fuhr jekne Frau bissig an: „Zwegen was
ham mir jetzt die hundert Mark aus dem Fenster g'schmissen? Hä?"
„Zwegen wem," kreischte Frau Maier schluchzend, „zwegen dem
dalketen Preuß', zwegen dem frechen." Und die andern Damen
nickten zustimmend und ließen ihre Tränen wieder sanft, aber reichlick
fließen.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die verschwiegene Waschfrau"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1926
Entstehungsdatum (normiert)
1921 - 1931
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 164.1926, Nr. 4215, S. 236
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg